Im Folgenden wird nach den ›Beweggründen‹ Karl Mays für die Darstellung der Pferde geforscht, wobei besonderes Augenmerk auf die Biographie des Autors gerichtet ist. Untersucht werden die Beziehung Mays zu Pferden, seine Erfahrungen (positiv oder negativ) im Umgang mit Tieren - soweit nachvollziehbar - und eventuell auffindbare Gründe für die Darstellung insbesondere der eigenständigen Gestalten auf vier Hufen, wie Rih und Hatatitla. Eine Übersicht darüber, aus welchen Quellen und/oder literarischen Werken May seine Informationen bezogen hat, ist schon deshalb recht schwierig zu erstellen, da viele der von May benutzten Werke nicht mehr herangezogen werden können, weil sie aus Bibliotheken - insbesondere den Gefängnisbüchereien - entliehen waren, deren Kataloge nicht (mehr) zugänglich oder nicht mehr vorhanden sind. Jedoch wird für einige sehr detaillierte Beschreibungen in späteren Werken der Nachweis von ›Anleihen‹ bei anderen Autoren zu erbringen sein. Show Es werden hauptsächlich die Amerika- und Orientromane Karl Mays näher untersucht. Diese Reduzierung der benutzten Primärliteratur auf eine ›Auswahl‹ aus dem Werk hat vor allem inhaltliche Gründe: Für eine lohnende Sicht auf das Pferdemotiv sollten in den Werken Vierhufer als Reit- und/oder Transportmittel nicht nur kurz erwähnt werden, wie es z. B. in den meisten Kolportageromanen Mays der Fall ist, sondern sie sollten als (möglichst eigenständige) eingehend beschriebene ›Gestalten‹ vorkommen. Zwar sind Pferde auch in frühen Erzählungen als Transportmittel erwähnt, u. a. werden die Kutschen von Pferden gezogen, und manche der Reiter sitzen im wirklichen wie im übertragenen Sinn auf mehr oder weniger ›hohen Rössern‹, aber es existieren keine ›unvergleichlichen Tiere‹, die namentlich genannt werden, wie z. B. Rih oder Hatatitla in den späteren Romanen (eine Ausnahme bildet Swallow, mein wackerer Mustang1). Ein Grund dafür liegt sicherlich zum großen Teil im Handlungs-Schauplatz der Geschichten: Weder im Erzgebirge noch im übrigen Deutschland spielte das Pferd als Transportmittel eine derartig entscheidende, ›tragende‹ Rolle wie beispielsweise im Wilden Westen oder an den Schauplätzen der Orientromane, außerdem neigt(e) man hierzulande nicht zu einer derartigen Idealisierung und glorifizierenden Überhöhung der Pferde, sondern sah sie eher als Mittel zum (Transport-)Zweck. //88// Karl May bringt die Bedeutung der Pferde seinen Lesern durch treffende Beispiele nahe:
1. Theoretische Möglichkeiten
Eine Möglichkeit wäre etwa, dass sich hier die Bestätigung finden lässt, dass der Autor eigene Erfahrungen in seinen Schriften verarbeitet hat, wie etwa ein Schlüsselerlebnis, welches den Menschen in Bezug auf den zu untersuchenden Zusammenhang geprägt hat - in diesem Falle hieße das, dass Karl May nachweislich - in positiver oder negativer Weise prägenden - Umgang mit Pferden hatte. Eine andere Möglichkeit besteht in dem (theoretischen) Fall, dass der Lebensweg des ›Menschen hinter dem Werk‹ vielleicht nur kurze Zeit (oder mit geringer Intensität) dem zu untersuchenden Gegenstand verbunden war, dass also z. B. einige kurze, unbedeutende Begegnungen Karl Mays mit Pferden zwar nachzuweisen, aber für die Verarbeitung im schriftstellerischen Werk bedeutungslos sind. Wieder eine andere, ganz entgegengesetzte Möglichkeit besteht darin, dass sich schlüssig nachweisen lässt, dass der Autor überhaupt keine Verbindung zum Gegenstand der Untersuchung hatte, dass also Karl May allein aus seiner Phantasie heraus geschrieben hat. Es gilt also zu untersuchen, ob Karl May selbst ›nähere Bekanntschaft‹ mit Pferden gehabt hat, um die oben beschriebenen Möglichkeiten zu bestätigen bzw. zu widerlegen. Inwieweit haben eventuell vorhandene Kenntnisse und Erfahrungen Mays - im Reiten und im Umgang mit Pferden - seine vierbeinigen Gestalten geprägt? Welche persönlichen Eindrücke und/oder Erfahrungen mit Pferden könnten ihn zu der Darstellung der ›un- //89// vergleichlichen‹ Rappen Hatatitla, Iltschi, Rih, Syrr und der vielen anderen Pferde veranlasst haben? Zur Beantwortung dieser Fragen soll zunächst die Biographie Mays im Hinblick auf Umgang mit Pferden untersucht werden, hierauf wird das historische Umfeld einer näheren Betrachtung unterworfen, und zum Schluss werden Rückschlüsse gezogen durch die Analyse aussagefähiger Ausschnitte aus dem Werk auf den (die Pferde betreffenden) Kenntnisstand des M e n s c h e n und S c h r i f t s t e l l e r s May. 2. Pferde im Leben des Karl Friedrich May
Aus diesen Quellen ergibt sich zwangsläufig die Erkenntnis, dass Karl May kein Reiter war, d. h. dass er niemals Unterricht genoss, der ihn in die Lage versetzt hätte, korrekt auf einem Pferd zu sitzen und zu reiten. Das Reiten soll hier nicht verstanden werden im Sinne der heutigen, ›modernen‹ Auffassung einer ›sportlichen Betätigung‹ im so genannten ›Leistungssport‹ auf Turnieren, es ist vielmehr jene Fähigkeit (die das Ich in den May'schen Werken so vollendet beherrscht) damit gemeint, ein Pferd dem Willen des Reiters zu unterwerfen, es (durch korrekte ›Hilfengebung‹) zu beherrschen, somit seine Kräfte zur Entfaltung kommen zu lassen, es aber dabei unter Kontrolle zu halten. Die Erkenntnis, dass May eine solche Kunst nicht beherrschte, ergibt sich aus mehreren Aspekten: Erstens äußert sich May selbst in seiner Autobiographie mit keinem Wort darüber, dass (oder gar wann, wo und von wem) er die hohe Schule der Reitkunst erlernt hätte. Sein oftmals belegter Hang zum ›Imponiergehabe‹ - z. B. die Zueignung eines Doktortitels ebenso wie seine behaupteten Sprachkenntnisse7 - hätte ihn eine solche (tatsächlich besessene) Fertigkeit sicherlich nicht verschweigen lassen. Zweitens wird in keiner der Schriften, die sich umfassend und eingehend mit dem Leben und Werk des Menschen und Schriftstellers May befassen,8 jemals erwähnt, dass Karl May die Zeit und die (nötigen) finanziellen Mittel - die zum Erlernen der Reiterei Voraussetzung waren und sind - hätte aufwenden können. Bekanntlich war Karl May der Sohn blutarmer Webersleute. In seiner Kindheit und Jugend war das Hauptaugenmerk auf das blanke Überleben, die Ernährung, das Lernen und die Arbeit gerichtet. Von den ›Unterrichtsstunden‹, die May im jugendlichen Alter von seinem Vater erhielt und die aus dem Abschreiben und Auswendig-Lernen aller (un-)möglichen Bücher bestanden, soll hier einmal abgesehen werden. //90// Für den Zeitraum seiner Schulzeit bis zum Eintritt Karl Mays ins Lehrerseminar in Waldenburg im Herbst 1856 kann ein wie auch immer gearteter Umgang mit Pferden völlig ausgeschlossen werden; allein vom zeitlichen Faktor wäre dies ein ›Ding des Unmöglichen‹ gewesen. Für die spätere Ausbildungs-, Seminar- und Lehrerzeit (1856-1862) gilt �hnliches: Der Unterricht bzw. eine sachkundige Anleitung wie auch das unabdingbare (auch für die Beherrschung anderer - nicht nur sportlicher - ›Fertigkeiten‹ unverzichtbare) regelmäßige Üben hätten sich über einen Zeitraum von mehreren Monaten - eventuell sogar Jahren - erstrecken müssen. Erst seit Ende des 19. Jahrhunderts befand sich Karl May, als die bereits geschriebenen Werke mit den phantastischen Pferden wie Hatatitla und Rih in Buchform erschienen waren, in der entsprechenden finanziellen Lage, an eine derartige Weiterbildung zu denken. Der 1842 geborene May war zu dieser Zeit jedoch nicht mehr der Jüngste, er war außerdem körperlich schwer angeschlagen und zeitlich durch das Schreiben und die Prozesse sehr eingespannt. Nur aus der ›Vagabondage und Haftzeit‹ Mays (1864-1874) ist ein einziges Mal ein ›nahes Verhältnis‹ zu einem Pferd durch das erhaltene, umfangreiche Aktenmaterial verbürgt. Daraus ergibt sich folgender ›Tatbestand‹: Im Rahmen einer ganzen Serie von Diebstählen befand Karl May sich für kurze Zeit - wenige Stunden - einmal im (unrechtmäßigen) ›Besitz‹ eines Pferdes. Claus Roxin beschreibt die Diebstahl-Serie Mays in jenen Maitagen des Jahres 1869 wie folgt: »Am 27. 5. verbarg er sich in Ernstthal im Hause seines Paten Weißpflog; von dort nahm er allerlei geringwertige Gegenstände (auch Dietriche) mit (...).«9 Es ist nicht bewiesen, ob der Patenonkel die Mitnahme und Benutzung dieser Dinge erlaubt bzw. toleriert hat; er musste jedoch später Anzeige erstatten, um nicht in den Verdacht der Beihilfe und Begünstigung zu kommen. Mit dem erbeuteten Gut kam der flüchtige May jedoch nicht allzu weit; er brachte die Gegenstände in einer Höhle nahe bei Hohenstein unter und beging in der folgenden Woche recht merkwürdige Diebstähle, die mit seiner bisherigen ›Diebstahl-Taktik‹ und Vorgehensweise, welche meist mit Hochstapelei verbunden war, aber auch gar nichts mehr gemein hatte: »Am 31. 5. 1869 ließ er in einem Restaurant in Limbach (...) fünf Billardbälle mitgehen, die er in Chemnitz für fünf Taler verkaufen konnte.«10 Es käme wohl niemand auf den Gedanken, dass May diese Billardkugeln gestohlen haben könnte, weil er eine (heimliche) Freude am Billard-Spiel entwickelt hätte. Vielmehr kam es ihm wohl auf den Gegenwert der Kugeln von immerhin 5 (!) Talern an. �hnlich verhält es sich nach Meinung der Verfasserin mit dem nächsten und für diese Arbeit recht wichtigen Diebstahl, der gleichzeitig die einzige beurkundete Begegnung Mays mit einem Pferd darstellt: //91// In der Nacht vom 3. 6. zum 4. 6. stahl er in dem kleinen Ort Bräunsdorf (acht km nördlich von Hohenstein) aus einem unverschlossenen Stalle ein Pferd, das er am Tage darauf in Höckendorf verkaufen konnte (für 15 Taler). Doch war ihm der Eigentümer nachgeeilt, so daß er wiederum schleunigst - und diesmal ohne das Geld erhalten zu haben - die Flucht ergreifen mußte.11
//92// Die Tatsache, dass eines der ›Objekte‹ ein Tier war, das zur Erreichung des finanziellen Gegenwertes sein Leben lassen sollte, spielte wohl keine Rolle, sondern war vermutlich beim Transport eher ein ›Hindernis‹. Vom weiteren Schicksal des Pferdes, nachdem sein Besitzer es nach diesem unbeabsichtigten ›Schlachtpferde-Transport‹ von seiner Bestimmung noch erretten konnte, ist leider nichts bekannt. Auch kann diese kurze Begegnung, zumal sie unter den geschilderten, erschwerenden Bedingungen stattfand, wohl kaum das oben angesprochene ›Schlüsselerlebnis‹ Mays für seine spätere Schilderung der Pferde darstellen. 3. Pferde in der Umgebung Mays
Es ist aber anzunehmen, dass er diese in der Jahrhundertwende zum Straßenbild gehörenden ›Transportmittel‹ - wie heute Autos - als solche wahrnahm. Auch sein späterer Wohnsitz in Radebeul (ab 1895; in Dresden und Umgebung lebte er schon seit 1883) begünstigt diese Annahme: Etwa 15 km nördlich von Radebeul liegt das Schloss Moritzburg, dessen ehemalige Marställe (erbaut 1733 vom sächsischen König) seit 1766 die in Sachsen bestehenden Hengststationen übernahmen und später zum Landgestüt wurden.17 Durch die Einführung einiger Oldenburger Beschäler (ab 1872) hatte Moritzburg nachweislich eine tief greifende Bedeutung für (und erfolgreichen Einfluss auf) die sächsische Landespferdezucht. Dieser Oldenburger-Einfluss äußerte sich besonders in der Hervorbringung geeigneter Wagenpferde, die im Typ des trockenen, gängigen, ›modernen‹ schweren Warmblutpferdes standen und - ähnlich ihren norddeutschen Vorfahren - zum großen Teil Rappen (!) waren, was - gemäß den Mendel'schen Gesetzen der Farbvererbung - darauf schließen lässt, dass die Nachzucht dieser Beschäler überwiegend dunkle Farben mit wenig Abzeichen aufwies. Diese Pferde wurden um die Jahrhundertwende sowohl in städtischen Gebieten als Kutschpferde genutzt als auch in der Landwirtschaft als Arbeitspferde eingesetzt. Die Annahme, dass Karl May den geschilderten Pferdetyp beständig vor Augen hatte, lässt sich noch durch folgende Zusammenhänge untermauern: Traditionell stellten (und stellen noch heute) die - staatlich subventionierten - Landgestüte nur qualitativ hochwertige Beschäler auf; sie boten (und bieten noch heute), ganz im Gegensatz zu privaten Hengsthaltern, für //93// eine verhältnismäßig niedrige Decktaxe dem Stutenbesitzer die Möglichkeit, ordentliche Nachzucht zu züchten. Somit bestand auch für den ärmsten Bauern in der Umgebung Dresdens die Möglichkeit, seine zur Feldarbeit eingesetzten Stuten von Hengsten des Landgestüts decken zu lassen. Diese Möglichkeit wurde denn auch - insbesondere nach Einführung der Oldenburger in den 80er und 90er Jahren des 19. Jahrhunderts - verstärkt genutzt,18 da bessere Pferde nicht nur mehr, sondern auch länger und härter arbeiten konnten und somit eine nützlichere, weil effizientere und längerlebige Kapitalanlage darstellten. Man darf nicht vergessen, dass Pferde ein überlebenswichtiger Faktor waren, nicht nur für Transport- und Kutschdienste, sondern - aus züchterischer Sicht - vor allem für das Militär, für das Auswahl-Kommissionen jedes Jahr eine bestimmte Anzahl von Remonten rekrutierten, was einen immensen Absatzmarkt für die Züchter bedeutete. Für eine planvolle, qualitativ hochwertige Zucht wurden damals während der Decksaison (etwa Februar bis Juli) vermehrt Stuten zur Deckstation gebracht. Durch die geographische Lage Moritzburgs führt der direkte Weg von Dresden dorthin jedoch durch den Ort Radebeul.19 Es ist daher anzunehmen, dass in Radebeul mehr und öfter Pferde - insbesondere die der Landespferdezucht - zu sehen waren als in anderen, süd- und östlich von Dresden gelegenen Orten der Umgebung. Karl May muss demzufolge also den für die damalige Zeit in der sächsischen Umgebung gängigen, relativ schweren, etwas groben Arbeitspferdetyp, der in der bäuerlichen Feldarbeit ebenso eingesetzt wurde wie zum Ziehen von Kutschen in der Stadt, oftmals vor Augen gehabt haben. Es existiert jedoch kein Material darüber, inwiefern er diese ›Fortbewegungshilfen‹ bewusst wahrgenommen hat. Vielleicht ist der oben beschriebene Pferdetyp, der in seiner nächsten Umgebung für ihn jederzeit sichtbar war, jedoch ein um so wichtigerer Grund dafür, dass die meisten vierbeinigen ›Gestalten‹ in seinen Werken Rappen sind, jedoch nicht etwa der Typ des schweren Arbeitspferdes. Die Pferde in Mays Werken zeichnen sich stets durch besondere Leichtigkeit, Schönheit, Schnelligkeit, Adel und Eleganz aus: Als schwere, zugkräftige Warmblüter, unter deren kräftigem, ausdauerndem, schwerfälligem Hufgestampfe die Erde bebt, hätten Rih, Hatatitla & Co. wohl nie die Herzen der Leser derart bewegt. Es bleibt die oben gestellte Frage, ob May außer mit den zum alltäglichen Straßenbild gehörenden Vierbeinern noch weitere ›Bekanntschaft‹ mit Pferden gehabt haben könnte, ob er sich also vielleicht sogar zum Zwecke der verbesserten Authentizität der Darstellungen seiner Roman-Gestalten selbst reiterlich ›gebildet‹ haben könnte. Aber auch gegen eine solche Annahme sprechen die Tatsachen: Bei den Photographien, die zumeist Klara Plöhn während der Orient-Reise (1899/1900) machte, gibt es Aufnahmen, die Karl May auf einem ›Wüstenschiff‹ zeigen,20 es existiert jedoch interessanterweise nicht ein einziges Bild, welches Karl May - alias Old Shatterhand alias Kara Ben Nemsi - im Sattel auf dem Pferderücken zeigt! //94// 4. Die Darstellung der Pferde und der Reitkunst im Werk Mays
Allein die Beschreibung des Exterieurs, der Leistungsfähigkeit und der Intelligenz der beiden unvergleichlichen Rapphengste Rih und Hatatitla und insbesondere die Schilderung der Reaktionsweise des fast menschlich erscheinenden Pferdes Syrr im vierten Band von ›Im Reiche des silbernen Löwen‹ lassen vermuten, dass es im konkreten Fall keine vierbeinigen Vorbilder in der Realität gab: Die Tiere sind in Bezug auf Schönheit, Charakter, Treue, Schnelligkeit, Temperament, Adel, Intelligenz, Gehorsam, Vertrauen und - last, but not least - Ausbildung ›unübertroffen‹, wie von ihrem Reiter Old Shatterhand resp. Kara Ben Nemsi immer wieder betont wird, und wahrhaftig, kein lebendes Tier könnte diesen Phantasie-Gestalten auch nur annähernd gleichkommen, geschweige denn, sie übertreffen.21 Insofern passen sie natürlich auch vortrefflich zu ihren Reitern, für die kein Weg zu weit, kein Berg zu hoch, kein Fluss zu tief, keine Zeit zu lang und keine Anstrengung zu mächtig ist, wenn es darum geht, das Böse in Wüste und Prärie zu bekämpfen, Feinde zu verfolgen, Verbrechen zu verhindern oder wenigstens zu sühnen, Unschuldige zu retten und für Freunde einzustehen. Tage- und wochenlang bestehen sie ein Abenteuer nach dem anderen und sitzen stundenlang im Sattel. Interessanterweise ist es für sämtliche Reiter kaum jemals eine Belastung, stundenlang im Sattel zu sitzen, nur die ganz unerfahrenen Wegbegleiter Old Shatterhands und Kara Ben Nemsis sind nach einem langen Ritt ›angestrengt‹ (so z. B. Carpio und Rost in ›»Weihnacht!«‹ oder der Schwarze Bob in ›Der Sohn des Bärenjägers‹). Es wird jedoch nie erwähnt, dass jemand durch zu langes Sitzen im Sattel sich mehr als nur innerlichen Muskelkater ›erworben‹ hat, sich nämlich auch äußerlich die Haut an Sitzfläche und Beinen wundschabt - umgangssprachlich unter Reitern ausgedrückt: ›sich einen Wolf geritten hat‹. Lediglich in der 1888/89 als Zeitschriften-Fortsetzungswerk im ›Deutschen Hausschatz‹ erschienenen Erzählung ›Der Scout‹, in der der (später Old Shatterhand genannte) Ich-Erzähler nicht nur - wie in den folgenden Erzählungen so oft - das Greenhorn spielt, sondern es in jeder Beziehung auch ist, erhält der Leser noch einen Hinweis darauf, dass ein begnadeter Reiter nicht geboren wird, sondern auch eine gewisse Ausbildung und - vor allen Dingen - Übung braucht. Der Autor Karl May versteht es, seinen Lesern die Wirkung des ungewohnten Reitens drastisch - und nicht ohne eine gewisse Portion Ironie - vor Augen zu führen, natürlich stets mit dem Authentizitäts-Gedanken im Hintergrund:
//95// die schöne Aussicht hat, am nächsten Tage einen Ritt von fünfzig Meilen durch glühendes, wüstes Land machen zu müssen, der dürfte wohl nicht geträumt haben, daß er bei einem Glase Sect und mit einer Nummer des »Deutschen Hausschatzes« in der Hand im Schaukelstuhle sich wiege.22
//96// fach beschriebenen Lasso-Einfang-Szenen schlicht unmöglich sind: Die in Deutschland gebräuchlichen, ursprünglich englischen Reitsättel hatten - ebenso wie die Armeesättel - keinen Sattelknauf! Mays Greenhorn jedoch scheint hier - wie auch Old Shatterhand später mehrfach beim Zureiten wilder Pferde - seine Beine, insbesondere die Schenkel (ob Ober- oder Unterschenkel lässt sich hierbei nicht genau sagen, was weitere Rückschlüsse auf Karl Mays reiterliche Kenntnisse zulässt), in wahrhaft ungewöhnlicher Weise zu benutzen: Ein weiteres sicheres Indiz dafür, dass der Schriftsteller seine Anschauungen lediglich aus der Theorie, nicht jedoch aus eigener Praxis bezogen hat. Im folgenden Teil über die Reiter und ihre Reitkunst wird hierauf noch detailliert eingegangen. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Karl May aufgrund seines Lebenslaufes, so wie er schriftlich dokumentiert ist, wie auch wegen seiner Darstellung der Pferde im Werk keinerlei Kontakt und Erfahrung mit Pferden und Reiten gehabt haben kann. Die oben dargestellte geringe hippologische Sachkenntnis Mays ist jedoch sehr gut verborgen und somit für die meisten Leser, so sie zu dem Kreis der ›nicht-reitenden Laien‹ zählen, nicht sofort erkenntlich. Dadurch bekommt der Einwand, dass Mays Werk an verschiedenen Stellen dem Leser hippologische Fakten und ebensolche - sachlich korrekten - Informationen bietet, durchaus seine Berechtigung. Es stellt sich also die Frage, wie der Autor zu diesen Fakten gekommen ist. Hierfür bietet es sich an, die Pferdebücher in der May'schen Bibliothek näher zu betrachten. 5. Der Authentizitätsbeweis und die Pferdebücher in der Bibliothek Mays: Ursprünge der hippologischen Sachkenntnis des Autors
Nichtsdestotrotz lässt sich für einige - übrigens nicht nur die Pferde betreffenden - Textstellen der Amerika- und Orientromane durchaus belegen, dass May sie (teilweise sogar wortgetreu) aus anderen Büchern ›entliehen‹ hat. //97// Exemplarisch sollen an dieser Stelle einige übereinstimmende Textstellen aufgezeigt werden, die in den gleichen Worten bei May und anderen Autoren wieder zu finden sind. Zum Teil weisen die benutzten Bücher in Mays Bibliothek an jenen übereinstimmenden Textstellen sogar recht deutliche Spuren der Bearbeitung auf, wie etwa Einleger mit Zeitschriften- und Zeitungsartikeln, Anstreichungen und Unterstreichungen.
Ich war voll Bewunderung über die Eleganz und Schnelligkeit, mit welcher es dahinflog.32
//98// Beispiel 2: Kennzeichen des Vollblutarabers
Doch zurück zu der Szene im ›Silberlöwen‹, in der der vermeintliche Nedjed-Hengst wie folgt beschrieben wird:
//99// b r e i t e B r u s t , k u r z e n , aber nicht mit unnötigem Fett beladenen R u m p f , s e h n i g e B e i n e , k l e i n e , s e h r r u n d e u n d h a r t e H u f e , s c h ö n e n S c h w e i f a n s a t z und feines, nicht zu dichtes Schweifhaar.36
Die Begutachtung des Pferdes wird durch das Vorreiten in allen Gangarten39 abgeschlossen, erst dann wird das Urteil gesprochen. Der Hengst hat Fehler, kann also kein Nedjed sein:
Hörr bedeutet hochedel und wird bei solchen Pferden gebraucht, deren Eltern beide fehlerfrei waren. //100// »Nein, es ist nicht ›hörr‹, sondern nur ›mekueref‹, lieber Halef.« Mekueref bezeichnet ein Pferd, dessen Mutter edel, der Vater aber unedel war.41
›hörr‹, hochedel, in welchem Falle beide Eltern fehlerfrei sind; ›hadschine‹, fehlerhaft, wenn die Mutter unedel war; ›mekueref‹, wenn der Vater unedel war, und ›berdune‹, wenn beide Eltern mit Fehlern behaftet waren.42
Fazit: Aus den genannten persönlichen Verhältnissen Mays wie auch aus der schriftstellerischen Bearbeitung des Pferdemotivs geht wohl eindeutig hervor, dass May mit Pferden in der Realität nichts, aber auch gar nichts zu tun gehabt haben kann. Eine solcherart mythische Überhöhung, wie sie z. B. mit Rih verbunden ist, wäre sonst nicht möglich gewesen. Zwar haben auch Träume nur wenig mit der Realität zu tun, aber hier handelt es sich um eine andere Art der Darstellung: Neben den Berichten über all jene Qualitäten der Pferde ist es letztendlich eben jener realistische ›Touch‹ (Rih an Halef zu verschenken), der den (meist hippologisch unbelasteten) Leser davon überzeugt, dass Mays ›Überflieger-Pferde‹ wirklich zu all jenen Leistungen in der Lage sind, die beschrieben werden. //101// 6. Reiter und ihre Reitkunst
Welch ein Glück, dass auf den Helden Old Shatterhand/Kara Ben Nemsi jeweils alle genannten Forderungen zutreffen!
Die folgende Beschreibung des Reitsitzes Winnetous, der sein Pferd Iltschi hier in vollem Galopp gehen lässt, um einigen anderen, vermeintlich fremden Reitern den Weg abzuschneiden, ist beispielhaft für die oft ungewöhnliche Art des Sitzes bei Karl May. Grob vereinfacht kann man sagen, dass ein Reiter sich, je schneller das Pferd rennt, umso mehr in die Bügel stellen sollte, um den Rücken des Tieres zu entlasten und die Galopp-Bewegungen in den Knien abfedern zu können. (Deshalb reiten die Jockeys bei den Rennen auch immer mit ganz kurzen Bügeln, so dass sich die Knie über dem Widerrist berühren könnten.) Ein zweiter Aspekt ist die Windschlüpfrigkeit des Reiters, denn je näher sich dieser an das Pferd ›duckt‹, desto geringer ist der Luftwiderstand; folglich gibt es eine reduzierte Anstrengung für das Pferd, was wiederum Kraft spart, die in Schnelligkeit umgesetzt werden kann. All diese graue Theorie kommt bei May nicht zum Tragen:
//102// ›überragende‹ Gestalt ist - so jedoch wird überdeutlich, dass er eine ebensolche Symbiose mit seinem Iltschi eingegangen ist wie Old Shatterhand mit Hatatitla. Der gute, korrekte Sitz des Reiters, wie er in den oben erwähnten Reitlehren beschrieben wird, ist für die Reiter im Werk Mays völlig unwichtig. Die Beherrschung des Pferdes geschieht nicht so sehr durch ›Hilfengebung‹, sondern bei den guten Reitern und ihren - oft indianisch dressierten - Pferden verhält es sich so, dass die edlen Tiere die Gedanken und Absichten ihres Reiters vorausahnen und diese ausführen, ohne dass der Reiter viel dazu tun muss:
Sowieso muss man die edlen Rapphengste oft nur mit einem Pfiff in Galopp setzen oder das Wort ›Kawahm‹ sagen, um sie anzutreiben; dann ist es, als ob er bisher nur im Schritt gelaufen sei. Er flog.46 Bei der Verfolgung des Schut braucht sich Kara Ben Nemsi sogar nur in den Bügeln zu heben; sobald Rih merkt, dass sein Herr ihm die Last erleichtern will, greift er noch weiter aus, da dies sein Selbstgefühl (beleidigte).47 Der Ich-Held ist auch in dieser Beziehung allen anderen überlegen: Durch Ruhe und Gut-Zureden erreicht er mit und bei seinen Pferden mehr als andere mit Gewalt; auch in einer schier aussichtslosen Situation, als er auf der Flucht einen schmalen Pfad direkt am Abgrund entlang geritten ist, der plötzlich zu Ende ist, gibt er nicht auf:
... Ich redete ihm [Rih] freundlich zu und ließ ihn rückwärts gehen. Er gehorchte und tastete sich mit ungeheurer Vorsicht, aber schnaubend und zitternd zurück. ... der beruhigende und ermutigende Ton meiner Stimme schien ihm doppelten Scharfsinn zu verleihen. Wenn es auch langsam ging, so gelangten wir doch ... endlich an eine Stelle, wo der Platz mehr als doppelt so breit war, als bisher. ... ... Ich drängte den Rappen hart an den Felsen hinan, damit er rückwärts die Platte überblicken könne. Dann ... gab ich dem Tiere die Schenkel, zog es empor und riß es herum. //103// Einen Augenblick lang schwebten seine Vorderhufe über der Tiefe, dann faßten sie festen Fuß; die gefährliche Wendung war geglückt.48
Es soll nochmals betont werden, dass es nicht die guten Pferde oder die begnadeten Reiter allein sind; die Einzelnen ragen zwar unter ihresgleichen (Mensch oder Pferd) hoch hinaus, aber nur zusammen bilden sie ein unübertreffliches Paar. Ein schlechter Reiter auf einem guten Pferd wird von einem guten Reiter auf einer Mähre eingeholt. Im Falle eines Diebstahls ist dann auch jedes Mittel recht, um auf dem minderwertigen Pferd den Dieb einzuholen. So geschieht es auch, als Kara Ben Nemsi sein Rih gestohlen wird. Als der Dieb auf Rih flieht, schwingt sich Kara Ben Nemsi auf ein anderes Pferd: Ich sprang auf, stieß dem Tiere die Sporen ein, daß es mit allen vieren in die Luft ging, riß es herum und galoppierte dem Diebe nach.49 Er versucht, trotz des schlechten Pferdes vor dem Dieb an einer Brücke anzukommen; aber:
Im Werk Mays gibt es auch einige unerfahrene Reiter. Da kommt es dann auch vor, dass der Held mit einem von ihnen das Pferd tauscht und ihn eine Weile von seinem Rapphengst tragen lässt, während er das andere Pferd ›bändigt‹: So darf der Neger Bob den Rapphengst Hatatitla reiten, und er hat seine eigene Vorstellung von dem Bild, das er abgibt: »Rappe sein sehr gutes Pferd, und Bob sein sehr vortrefflicher Reiter. Beide einander gut kennen und fahren wie Blitz über Prairie dahin!«52 //104// Dieses noble Bild von einem Reiter auf einem ›Blitz‹ wird jedoch durch die Preisgabe der Vergangenheit jäh zerstört:
Auch Rih muss manchmal einen anderen, schlechten Reiter tragen:
//105// Romanfigur im Sattel den Rhythmus des Pferdes (auch im Galopp) nicht spürt: Reiten ohne (spürbare) Bewegung also, ein Widerspruch in sich! Die unrealistische Vorstellung des Bewegungsablaufs eines Pferdes im Galopp (Dreitakt mit Schwebephase, allein dieser ›Sprung‹ ist spürbar, bei manchen Pferden sogar sehr stark) beweist einmal mehr die hippologische Unkenntnis des Autors. Diese Stelle erinnert an das Dichter-Ross Pegasus: Der Dichter schwingt sich als Reiter auf das Pferd, das ihn inspirieren soll. Bei May geht es sogar noch weiter: Sein Musenpferd hat alle Grundvoraussetzungen, um dem Reiter das Schreiben im Sattel zu ermöglichen - auch eine Art der Größenphantasie. Gerhard Linkemeyer geht in seiner Interpretation dieser Zusammenhänge noch weiter: »Rih symbolisiert bekanntermaßen Mays Schriftstellertalent.«58 In der Tat: Wenn Rih bei Anwendung des Geheimnisses ›fliegt‹ und sein Reiter dabei auch noch schreiben kann, sitzt er auf dem Musenross, welches seine dichterische Inspiration ›beflügelt‹. Überdeutlich werden die Anklänge an das Dichterross Syrr in ›Im Reiche des silbernen Löwen‹: »Das war das Roß der Himmelsphantasie, der treue Rappe mit der Funkenmähne, der keinen andern Menschen trug als seinen Herrn ...«59 Die enge Verknüpfung zwischen dem Erleben des Abenteuers und - zumindest der Möglichkeit - der Niederschrift des Erlebten soll natürlich auch die Authentizität der Handlung unterstreichen und ist somit ein weiterer Versuch, die Person Karl May mit der fiktiven Heldengestalt Kara Ben Nemsi/Old Shatterhand für den Leser (und den Dichter selbst) zu vereinen.
//106// aber, hineinzukommen. Kaum war dies geschehen, so begann der Gaul zu bocken; als dies nichts fruchtete, ging er zur Wand, um mich an derselben abzustreifen; die Peitsche aber brachte ihn rasch von derselben fort. Hierauf gab es einen bösen, beinahe für mich gefährlichen K a m p f z w i s c h e n R e i t e r u n d P f e r d . Ich bot alles auf, das wenige Geschick und die unzureichende Uebung, welche ich damals nur besaß, und die Kraft der Schenkel, die mich schließlich doch zum Sieger machte. Als ich abstieg, zitterten mir die Beine vor Anstrengung; aber das Pferd triefte vor Schweiß und schäumte große, schwere Flocken; es gehorchte nun jedem Drucke und Rucke.60
Ebenso wie die Überlegenheit beim Schießen und seine Körperkraft den späteren Ruhm des jungen Hauslehrers ahnen lassen, begründet auch das Einreiten des Pferdes seine ›reiterliche Laufbahn‹: Zwar besitzt er bisher nur viel Talent, aber im Laufe des Lebens im Wilden Westen kommt auch die nötige Praxis-Erfahrung hinzu, so dass er seinen Lehrer Sam Hawkens schon bald überflügelt. Die Zähmungen wilder Pferde können eigentlich vom Zeitpunkt des Zureitens des Rotschimmels an nur noch Wiederholungen sein. May findet jedoch eine Abwandlung, die das Einreiten von Sam Hawkens' Maultier interessant gestaltet: Der Held, jetzt schon mit einem Kriegsnamen ausgestattet, der übrigens durchaus einen Beigeschmack von Gewalttätigkeit hat, zieht die Schlinge des Lassos, das um den Hals des Maultiers geschlungen ist, fest zu und quetscht dem Tier außerdem mit den Beinen die Luft zu - eine wahre Meisterleistung, die vor ihm und nach ihm wohl kaum jemand geschafft hat: //107// Ich schlang den Lasso von der Wurzel ab und stellte mich mit weit ausgespreizten Beinen über das Tier. Sobald es Luft bekam, sprang es auf. Jetzt kam es vor allen Dingen auf den kräftigsten Schenkeldruck an, und da war ich dem kleinen Sam wohl über. Eine Pferderippe muß sich unter dem Schenkel des Reiters biegen; das drückt die Eingeweide zusammen und macht Todesangst. ... Es war ein böser Kampf, ich möchte sagen, Kraft gegen Kraft; ich begann, aus allen Poren zu schwitzen; aber das Maultier schwitzte noch weit mehr; der Schweiß rann ihm vom Leibe, und vom Maule troff der Schaum in großen Flocken. Seine Bewegungen wurden schwächer und mehr unwillkürlich; ... dann endlich brach es unter mir zusammen, nicht mit Willen, sondern weil es von seiner letzten Kraft verlassen worden war. Da blieb es bewegungslos und mit verdrehten Augen liegen.63
Jedenfalls ist das Tier jetzt gezähmt, es lässt sich auch von Sam problemlos reiten, und die beiden bilden jetzt - durch die Hilfe des Helden - eine ähnliche Einheit, zwar nicht so heroisch, sondern eher komisch anzusehen, aber dafür passen sie zueinander: Die komische Gestalt des kleinen Sam auf seinem Maultier ist - wenn auch auf andere Weise - ebenso ›erhebend‹ für den Leser wie die Gestalt des Helden auf seinem (späteren) Rapphengst. Das Kunststück mit dem Zureiten wiederholt Old Shatterhand später noch einmal, allerdings geht dem Ritt eine arglistige Täuschung voraus: Im ersten Band des ›Old Surehand‹ nimmt der Held aus dem Lager der Komantschen, dem Kaam-kulano, das junge Lieblingspferd Vupa-Umugis mit, jenen Schwarzschimmel, den er später an Old Surehand weiter verschenkt. Damit das Indianerpferd bei dem zu erwartenden Kampf, wenn es einen Weißen tragen soll, nicht das ganze Lager aufweckt, maskiert sich der Held: er wälzt sich tüchtig in einigen Mugwartpflanzen und hängt sich dazu noch eine Decke um, wie es die Indianer thun.66 So getarnt, lässt sich das Pferd täuschen: der Kampf wird auf den nächsten Tag und in die offene Prärie verlegt. //108// Dieser Kampf weist Elemente der beiden Bändigungsszenen aus dem ersten ›Winnetou‹-Band auf: Das Pferd steigt, bockt, rennt, kämpft, wälzt sich; es ergeht sich in allen den Mucken, die einem sogenannten Bucking-horse andressiert werden ...67 Ein junges Indianerpferd und Bucking-Horse? Davon einmal abgesehen, dass die Indianer nicht zu Cowboy-Rodeos zugelassen waren, scheint es - gelinde gesagt - unwahrscheinlich, dass ein junges Pferd schon so gut dressiert sein soll, dass es in puncto Abwerfen mit allen Wassern gewaschen ist. Die Anstrengungen des Tieres (deren Schilderung immerhin vier Seiten einnimmt) sind sowieso alle vergeblich: Old Shatterhand bleibt der Sieger, was ihm die grenzenlose Bewunderung der Anwesenden (Old Surehand, Old Wabble und Bob) einbringt und somit ihren Respekt vor seiner Autorität erhöht:
Old Surehand stand still und sagte nichts; aber seine Augen leuchteten. »Schön, schön, oh schön!« schrie Bob. »Massa Shatterhand das schon oft machen mit fremden und mit wildem Pferd. Masser Bob dabei sein und es sehen!«68
Im Zusammenhang mit dieser Bändigung gibt Old Shatterhand noch etwas über die eigenen Reitkünste preis:
Ich habe auf Pferden gesessen, die fünfzigtausend Dollars und noch mehr gekostet hätten, wenn sie überhaupt zu verkaufen gewesen wären. Nun schließt von einem solchen Tiere einmal auf seinen Reiter! Versucht doch einmal, ein zugerittenes Kirgisenpferd, einen kurdischen Streithengst oder eine nach der altparthischen Reitkunst geschulte Perserstute zu besteigen! Ihr seid nach hiesigen Begriffen ein vorzüglicher Reiter; dort aber würdet Ihr ausgelacht!« »Kirkisisch-kurdisch-altparthisch - - -? Ich lasse mich aufhängen, wenn ich weiß, was das ist! Habt denn Ihr auf solchen Pferden gesessen?« »Ja, und unser Bob würde an meiner Stelle sagen: Wir sind gut aufeinander geritten.«70 //109// Der Held belegt mit wenigen Worten seine kosmopolitische Existenz - wie gut für den Verlauf der Handlung, dass kein reitender Angehöriger dieser fremdartigen Völker in der Nähe weilt, um den Helden vom Sockel zu stoßen. Das ›Imponiergehabe‹ ist unverkennbar: Die soeben vollbrachten Taten sprechen für sich, aber ein derartig ausdauernder Zweifler wie Old Wabble wird jetzt auch mit Worten ›überredet‹, Überlegenheit und die daraus resultierende Vormachtstellung Old Shatterhands als ›charismatischer Führer‹ anzuerkennen. Wenn dem Helden jedoch die gebändigten Pferde so bald gehorchen, was muss dann erst eine schon länger existierende Ross-Reiter-Symbiose für Leistungen zu bringen imstande sein. Auch Kara Ben Nemsi ist durchaus in der Lage, jedes Pferd zu reiten, und es ist wohl keine allzu große Überraschung, dass er es auf dieselbe Art und Weise (durch Schenkeldruck) schafft wie Old Shatterhand. In ›Von Bagdad nach Stambul‹ will er von einem Händler ein Pferd für Allo, den Köhler, erstehen und merkt schnell, dass der Besitzer ihn betrügen will, da das Tier - vermutlich aufgrund schlechter Erfahrungen - sich weigert, einen Reiter zu tragen. Kara Ben Nemsi handelt den Preis auf die Hälfte hinunter und ›bezwingt‹ das Pferd:
Die wirklich wichtigen und guten Pferde konnte der Held nur durch Aufbietung (fast) aller Kräfte (entweder beim Zureiten oder durch die Lösung anspruchsvoller Aufgaben) erringen, dagegen wird dieses - für die weitere Handlung völlig bedeutungslose und schon kurze Zeit und wenige Seiten später bei einem Überfall erschossene - Pferd durch einmaligen Schenkeldruck (in nur 10 Zeilen) zugeritten.
//110// Selbstverständlich schafft er das nur mit Hilfe seines unvergleichlichen Pferdes, dessen Leistungsfähigkeit im Verbund mit seiner reiterlichen Fähigkeit erst richtig zur Geltung kommt. Als im dritten ›Old Surehand‹-Band Tibo taka das Gewehr auf den - auf sein Pferd gefesselten - Old Shatterhand anlegt, wehrt sich dieser wie folgt:
»Tschka, Hatatitla, tschka!« [Fußnote: »Hoch, Blitz, hoch!«] Dieser Zuruf, den der Rappe sehr wohl verstand, mußte die Nachteile, welche meine Fesseln mir als Reiter brachten, ausgleichen. Der Hengst zog den Körper wie eine Katze zusammen und brachte mich mit einem gewaltigen Satze so eng, daß sich die Pferde streiften, an Thibaut vorüber. Mein Bein traf mit aller Kraft dieses Satzes das seinige und, mitten im Sprunge die Zügel fallen lassend, stieß ich ihm die zusammengebundenen Fäuste so in die Seite, daß er, grad als sein Schuß losging, halb abgestreift und halb abgeschleudert auf der andern Seite aus dem Sattel und in einem weiten Bogen auf die Erde flog. ... Mein prächtiger Hengst hatte nur diesen Satz gethan, keinen einzigen weitern Schritt, und stand dann so ruhig, wie aus Erz gegossen, da.72
In dieser Szene wird die Wunschvorstellung Mays, seine Feinde, die ihre Waffen auf ihn richten, durch schnelles Handeln außer Gefecht setzen zu können, klar erkennbar. Man darf nicht vergessen, dass sich der Schriftsteller May auf dem Höhepunkt seines Erfolgs befand, als der ›Surehand‹-Band 1896 bei Fehsenfeld erschien: Nicht nur, was den Bekanntheitsgrad seiner Werke und seiner Person anging, sondern auch aus materieller Sicht ging es Karl May gut.73 Der hässliche Konflikt mit seinen Widersachern, der sich vergiftend durch die letzten Lebensjahre des Schriftstellers zog, war noch nicht absehbar: Der Held kann seine Feinde immer noch mit den bloßen Fäusten ›zur Erde fliegen‹ lassen. Als schwache literarische Komposition könnte man die dreimalige Wiederholung desselben Motivs (›über den Haufen reiten‹) werten: Als erstes reitet Dick Hammerdull mit zwei ›Angriffssprüngen‹ den Cowboy Bell um, weil der sich über das Aussehen der haarlosen alten Stute Hammerdulls lustig macht.74 Der zweite Sprung, der schon höher, weiter und gefährlicher ist und darum auch ausführlicher geschildert wird, ist der oben erwähnte, bei dem Old Shatterhand sein Leben retten muss durch den Sprung seines Pferdes. Der dritte ›Angriff‹ ist der verwegenste. Apanatschka führt ihn in wahrer Indianerart aus: Er wagte sein Leben dabei, weil er gefesselt ist, //111// aber durch sein reiterliches Geschick (Als sein Pferd den Boden berührte, hätte es sich beinahe überschlagen, - er warf sich schnell nach hinten und riß es dabei vorn empor75) schafft er es. Old Wabble wird dabei jedoch verletzt (Armbruch), was ihm im weiteren Verlauf der Handlung schwer zu schaffen macht. Gleich dreimal werden also die reiterlichen Glanzleistungen der ›Guten‹ ins rechte Licht gerückt. Zur Funktion der Glanzleistungen innerhalb der Handlung gehört es auch, dass Ross-Reiter-Paare mit ihren ›Stunts‹ die monotone Kette des ›Fangen - Gefangen werden - Entfliehen - Verfolgen - Fangen‹ unterbrechen: Etwas ›action‹ erzeugt eine gewisse Spannung, und der Roman sollte nicht zu kurz sein, da für die Buchform schon eine größere Seitenzahl erwünscht war. Natürlich darf auch nicht übersehen werden, dass sich die Reiter durch die Demonstration ihres und ihrer Pferde Können bei der anderen Partei Respekt verschaffen. Außerdem rücken sowohl Old Shatterhand als auch Apanatschka - der im ›Identifizierungs-Rätsel‹ des Handlungsverlaufs eine Schlüsselstellung einnimmt, ohne es zu ahnen - vermehrt in den Blickpunkt des Leser-Interesses. In diesem Zusammenhang kann die Glanzleistung eines Reiter-Pferde-Paares in Mays Werk nicht unerwähnt bleiben: gemeint ist jener wagemutige Sprung des Hengstes Rih unter seinem Reiter Kara Ben Nemsi über die breite Spalte, die dem Schut zum (tödlichen) Verhängnis wird:
Ich ließ die Arme mit dem Lasso sinken, nahm den Kopf des Rappen hoch, legte ihm die linke Hand abermals zwischen die Ohren und schrie, nein, ich brüllte: »Rih, Rihti, Rithi et taijib, natt, natt, natt - Rih, mein Rih, mein guter Rih, springen, springen, springen!«76
Das brave, unvergleichliche Tier setzte an und schoß hoch empor. Einen halben Augenblick lang befand ich mich über der grauenhaften Tiefe. Ich ließ die Zügel schießen und warf mich nach hinten, so gefährlich und unsinnig dies auch erscheinen mag [allerdings!]. Ich mußte das thun, um das Vorderteil des Pferdes zu entlasten und nicht abgeworfen zu werden. Hätte ich mich nicht nach hinten geworfen, so //112// wäre ich verloren gewesen; denn trotz der Unvergleichlichkeit des Rappen und trotz der Kraft, mit welcher er sich über den Abgrund schnellte, gelang der Sprung nicht vollständig. Rih faßte nur mit den Vorderhufen das Gestein.78
Rih rennt in vollem Lauf auf die Spalte zu, bekommt den (verbalen) Hinweis auf Springen, springt auf Zuruf hoch und drückt ab, schafft es jedoch nicht ganz, aber klammert sich mit den Vorderhufen (wie ein Affe) am Gestein der gegenüberliegenden Kante fest. Sein Reiter ›hilft‹ weiter:
Die Reaktion des Hengstes auf den Schlag lässt nicht lange auf sich warten:
//113// Die Überlegenheit und der daraus resultierende Sieg des Guten über den Bösen ließen sich zwar sicherlich realistischer darstellen, aber keinesfalls ergreifender. Das Herz des Lesers ›rast‹ nach diesem Sprung, die Erleichterung über das Gelingen der reiterlichen Meisterleistung Kara Ben Nemsis löst die Spannung. Die symbolträchtige Fähigkeit Rihs, als einziges Pferd mit seinem Reiter den tödlichen Abgrund zu überwinden, liegt klar auf der Hand. Es war, als ob er sehr genau wisse, daß w i r e i n a n d e r d a s L e b e n g e r e t t e t h a t t e n .82 Bisher wurden ausschließlich die reiterlichen Leistungen des Ich-Erzählers betrachtet, es soll jedoch noch kurz die Gelegenheit ergriffen werden, den Blick schweifen zu lassen, um ähnliche Reit-Kunststücke weiterer Personen im Werk Mays zu betrachten. An anderer Stelle ist es Winnetou, der durch seine Reitkunst auf sich und sein Pferd aufmerksam macht. Er ist jedoch nicht nur ein ›Spring-Reiter‹ wie Kara Ben Nemsi, sondern führt (vollendet) auch ›Dressur-Lektionen‹ vor. Dabei spielt das Reiten als solches hier nur deshalb eine so große Rolle, weil es in ungewöhnlicher Umgebung - im Inneren eines Hauses - stattfindet:
Dieser herrliche Mann befand sich jetzt, hoch zu Pferde, hier im Zimmer ... Zu Pferde in das Gastzimmer eines Hotels zu kommen, konnte nur der Gedanke eines Winnetou sein, der so ein Reiter war, daß er nichts beschädigt hätte, selbst wenn die Tische und Stühle von Glas gewesen wären.83
Er ließ das Pferd zwischen den Tischen hintänzeln, was bei der Lebhaftigkeit und dem feurigen Temperamente des Tieres gefährlich aussah, obwohl es dabei dem Drucke jedes seiner Muskeln gehorchte.84 //114// Diese beeindruckende Darstellung von klassischer Dressur-Reiterei erfüllt ähnliche Funktionen wie der vorher geschilderte Sprung Old Shatterhands: Die Achtung vor Winnetous Person und Persönlichkeit wird gesteigert, sowohl innerhalb der Handlung wie auch beim Leser. Gleichzeitig beweist Winnetou durch sein bloßes Erscheinen, aber auch durch sein furchtloses Auftreten und seinen Einsatz die Identität seines Blutsbruders Old Shatterhand. Dieser war (wieder einmal) inkognito - als Mr. Meier - gereist und (diesmal) infolge seiner unscheinbaren Gestalt, der unauffälligen Kleidung und der Dummheit der anderen des Diebstahls verdächtigt worden. Winnetous Respekt gebietendes Auftreten macht dieser Verdächtigung ein rasches Ende. Sein ›Auftritt‹ bewirkt jedoch noch etwas: Die Personen in der Gaststube werden durch das feurige Pferd eingeschüchtert, viele von ihnen rennen hinaus - nur der Leser erfährt, dass die Szene aufgrund der Klasse des Pferdes und des Reiters eigentlich harmlos ist. Es entsteht also so etwas wie eine geheime Mitwisserschaft zwischen Erzähler und Leser. Das Pferde- (und Reiter-)Motiv hat an dieser Stelle nicht nur Auswirkungen auf den Text und die Handlung, sondern wirkt besonders im Hinblick auf die Vertiefung der Beziehungen zwischen Autor und Leser. Die Pferde im Werk Karl Mays brauchen demnach also nicht realistisch zu sein, ganz im Gegenteil: Sie erfüllen ihre Funktion weit besser dadurch, dass sie Phantasiegestalten sind - ins Leben gerufen von einem Autor, dessen Phantasie kaum getrübt wurde durch seine überaus geringen hippologischen Fachkenntnisse. Der Wirkung auf den - in den meisten Fällen sicherlich ebenso hippologisch ungebildeten - Leser tut das keinen Abbruch, ganz im Gegenteil: Durch die Darstellung der normalen Reittieren meilenweit überlegenen edlen Hengste gewinnen sowohl deren (meilenweit überlegene) Reiter als auch deren Abenteuer und Heldentaten an Glaubwürdigkeit. Wie heißt das Pferd von winnetouch?Indianer-Häptling Winnetou und sein Freund Old Shatterhand bestehen im Wilden Westen zahlreiche Abenteuer mit ihren Pferden Iltschi und Hatatitla. Die Handlung: Winnetou ist der edle, gute Indianer. Sein weißer Freund Old Shatterhand begleitet ihn bei allen Schwierigkeiten.
Wie heißt das Pferd von Old Surehand?SWALLOW. Swallow (Schwalbe) ist der Name des Pferdes, das Old Shatterhand im Roman Winnetou II (1892, Vorversionen Old Firehand (1875) und Im fernen Westen (1879)) geschenkt wird. Es trägt seinen Namen wegen seiner Schnelligkeit.
Welche Rasse ist das Pferd von Winnetou?Durch ihre selektive Auswahl der Pferde entstand die Appaloosa-Rasse, die dank der Winnetou-Romane Weltruhm erlangte. Es gibt sie in vielen verschiedenen Farben; charakteristisch ist die gefleckte Haut. Ebenso legendär wie die Appaloosas ist der Reitstil der Indianer.
Wie heißt das Pferd von Nscho Tschi?Pferde in Karl Mays Erzählungen und Romanen. |