Was passiert wenn man sich erhängt

Selbstmord ist keine „Krankheit“, aber oft Abschluss einer krankhaften Entwicklung, die man an folgenden drei Phasen erkennt:

1. Erwägungsphase

In diesem ersten Stadium wird der Selbstmord als mögliche Problemlösung in Betracht gezogen.

Äußerlich spielen dabei oft Vorbilder eine wichtige Rolle, z.B. Suizide in der Familie, der Umgebung, literarische Figuren (man denke z.B. an Goethe’s Werther), etc.

Innerlich gibt es darüber hinaus tief in der Persönlichkeit verankerte Ursachen wie Aggressionen, die nicht nach außen abgeführt werden können und sich so gegen die eigene Person wenden.

2. Ambivalenzphase

Der Suizidalität liegt eine Ambivalenz zwischen Leben und Tod zugrunde. Ist der Gedanke an Selbstmord einmal ernsthaft in Erwägung gezogen, kommt es zu einem Kampf zwischen selbsterhaltenden und selbstzerstörenden Kräften.

In diesem Stadium gibt die/der mit sich Kämpfende Appelle und Notrufe von sich, die man unbedingt wahr- und ernst nehmen sollte.

Die Fähigkeit zu dieser Wahrnehmung ist in der Umgebung oft durch eigene Angst und Ambivalenz blockiert. Dabei braucht der Gefährdete in diesem Zeitraum die volle Aufmerksamkeit einer Bezugsperson.

3. Ein Entschluss ist gefasst

Jetzt tritt oft eine Beruhigung ein, die von der Umwelt gerne falsch interpretiert wird: In Wirklichkeit kann man nie wissen, in welche Richtung die Entscheidung tatsächlich gefallen ist!

Immerhin kann Nachfragen hilfreich sein, und wer sich tatsächlich für ein Weiterleben entschieden hat, kann in der Regel auch klare Gründe dafür angeben.

Fehlt auf Nachfragen eine positive Antwort, so ist dies eher als Alarmzeichen zu werten.

Ist schon jede Ankündigung ernst zu nehmen, so gilt das noch mehr für jeden Selbstmordversuch. „Leichten“ Suizidversuchen folgen oft weitere. 10% aller, die je eine Suizidhandlung überlebt haben, sterben letztendlich durch Selbstmord.

4. Die Entwicklung insgesamt - zunehmende Einengung:

Insgesamt ist die Entwicklung zum Suizid durch eine zunehmende Einengung gekennzeichnet:

Werden die Selbstmordfantasien erst intendiert, so drängen sie sich später auf. Die sozialen Kontakte werden zunehmend eingeschränkt. Das Gefühl der Einengung, keinen Ausweg außer dem Tod zu haben, umfasst zunehmend alle Lebensbereiche. Besonders hervorzuheben ist noch die affektive Einengung, fehlendes affektives Mitschwingen, welche wie eine Beruhigung wirkt, jedoch wie bereits erwähnt, eher einen Entschluss anzeigt.

Fall: Ein depressiver Mann wird von seiner Frau erhängt aufgefunden. Aber warum ist seine Kettensäge blutig - Mord oder Selbstmord?

Wer als Notarzt zu einer schwer depressiven Person gerufen wird, die sich erhängt hat, geht in der Regel von einem Suizid aus. Hat der Tote jedoch auffallende frische offene und zudem ausgedehnte Wunden, kann sich der Verdacht auf einen Unfall oder auf einen als Suizid vorgetäuschten Mord oder Totschlag aufdrängen.

Für Klarheit können dann meist nur noch Kriminaltechniker und Rechtsmediziner sorgen, so wie in dem Fall eines 58-jährigen Mannes, den die Rechtsmedizinerin Dr. Barbara Gualco und ihre Kollegen von der Universität von Florenz im Journal of Medical Case Reports schildern [1].

  • Referenzen

Medscape © 2022 WebMD, LLC

Die dargestellte Meinung entspricht der des Autors und spiegelt nicht unbedingt die Ansichten von WebMD oder Medscape wider.

Diesen Artikel so zitieren: Fall: Ein depressiver Mann wird von seiner Frau erhängt aufgefunden. Aber warum ist seine Kettensäge blutig - Mord oder Selbstmord? - Medscape - 11. Jul 2022.

Interessenkonflikte

Autor und Experten

Dr. Thomas Kron

Es liegen keine Interessenkonflikte vor. 

Gualco B: Es liegen keine Angaben zu Interessenkonflikten vor. 

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Letzte Aktualisierung: 7.9.2022

Abstract

Bei Suizidgedanken oder Sorgen um Betroffene sei auf die von der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention gelisteten Hilfsangebote verwiesen, siehe Tipps & Links.

Erhängen, Erwürgen und Erdrosseln sind aus rechtsmedizinischer Sicht Folgen einer Strangulation (gewaltsames Abschnüren des Halses). Beim Tod durch Erhängen wird zwischen Erhängen im klassischen Sinne (Gleitknoten dorsal am Nacken) und atypischem Erhängen, bei dem der Gleitknoten nicht am Nacken, sondern seitlich oder submental liegt, unterschieden. Weiterhin müssen nach einem Erhängungstod Vitalitätszeichen beurteilt werden, um ein nachträgliches Umsetzen einer Leiche in die Erhängungsposition auszuschließen. Beim gewaltsamen Ersticken kann zwischen Erdrosseln (mithilfe eines Werkzeuges) und Erwürgen (mit den Händen) unterschieden werden, wobei ein Tod durch Erwürgen nur durch Fremdbeibringung möglich ist. Ein Tod durch Erdrosseln kann im Gegensatz dazu auch durch Selbstbeibringung erfolgen.

Typisches vs. atypisches Erhängen

Beim Tod durch Erhängen wird zwischen der typischen Form mit freiem Hängen (und Gleitknoten dorsal am Nacken) und der atypischen Form unterschieden, zu der alle anderen Varianten zählen (z.B. abgestütztes Hängen bei autoerotischen Unfällen).

  • Weitere Befunde, die sowohl bei typischem als auch bei atypischem Erhängen vorkommen
    • Vitalitätszeichen
      • Simon-Blutungen: Einblutungen in das Ligamentum longitudinale anterius und in die Bandscheiben der Lendenwirbelsäule
      • Speichelabrinnspur am Mundwinkel
      • Verletzung des Rückenmarks durch frakturbedingte Abscherung des Dens axis bei typischem Erhängen möglich (Bruch des Genicks)
      • Ggf. Kehlkopffraktur (z.B. Schildknorpeloberhörnerfraktur) mit Blutungen in die Halsmuskulatur
      • Zerrungsblutungen an den klavikulären Befestigungsstellen der Mm. sternocleidomastoidei
    • Meist eintouriger Verlauf des Strangwerkzeugs
  • Bewusstlosigkeit tritt sowohl beim typischen als auch beim atypischen Erhängen i.d.R. innerhalb weniger Sekunden ein

Bei V.a. vorsätzliche Selbstschädigung siehe: Suizidalität

Ersticken

Man unterscheidet zwischen innerer und äußerer Erstickung.

  • Äußere Erstickung: Verminderter Sauerstoffgehalt in der Lunge durch Verlegung der Atemwege, Strangulation, sauerstoffarme Umgebung
  • Innere Erstickung: Verminderter Sauerstoffgehalt im Blut durch verminderte Bindung an Hämoglobin bei Kohlenmonoxidvergiftung oder Blockade der Atmungskette bei Zyanidvergiftung

Weiterhin unterscheidet man zwischen asphyktischem, hypoxischem und histotoxischem Ersticken.

  • Asphyktisch: Kreislaufschwäche führt zu verminderter O2-Aufnahme und verminderter CO2-Abgabe
  • Hypoxisch: Verminderte Oxygenierung des Bluts unterschiedlicher Ursachen mit vermehrter CO2-Abgabe
  • Histotoxisch: Behinderung der Gewebeatmung oder des O2-Transports z.B. bei Zyanid- oder Kohlenmonoxidvergiftung; dabei sind O2-Aufnahme und CO2-Abgabe normal

Stadien

  1. Dyspnoe (nach 60 s): CO2-Anstieg, Tachykardie
  2. Konvulsivisches Stadium (nach 90 s): O2-Abfall, Blutdruckanstieg, Bewusstseinsverlust, Bradykardie, Urinabgang
  3. Präterminale Atempause (nach 120 s): Apnoe, Vaguslähmung mit Tachykardie
  4. Terminale Schnappatmung (nach 150 s): Terminale Schnappatmung, Herzrhythmusstörungen

Sauerstoffmangel im Gehirn führt nach 2–3 Minuten zu irreversiblen Schäden und nach 8–10 Minuten zum Hirntod!

Gewaltsames Ersticken

Definitionen

  • Erdrosseln: Werkzeugunterstützte Strangulation durch Zuziehen einer Schlinge
    • Horizontale Drosselmarke
    • Ggf. Kehlkopffraktur
  • Erwürgen: Strangulation durch Kompression des Halses mit den Händen
    • Ggf. Fingernagelspuren im Kehlkopfbereich
  • Oronasale Okklusion: Gewaltsames Ersticken durch Zuhalten von Nase und Mund
    • Direkte oronasale Okklusion: Hinweise sind Hämatome und Exkoriationen, die dem Tatwerkzeug bzw. der zuhaltenden Hand entsprechen
    • Burking : Ersticken durch Behinderung der Thoraxexkursion (z.B. Sitzen auf dem Brustkorb) mit gleichzeitigem Zuhalten des Mundes und der Nase (z.B. mit einem Kissen)

Eine Erdrosselung kann sowohl Fremd- als auch Selbsthandlung sein! Erwürgen ist immer eine Fremdhandlung, ein Suizid ist auf diese Weise unmöglich!

Befunde

  • Deutliche Stauungsblutungen
    • Diverse Einblutungen (Augenlider, Mundschleimhaut) und Petechien durch venöse Abflussbehinderung bei erhaltener arterieller Blutversorgung ; ein ausgeprägter Befund spricht für einen langen Zeitraum der Gewalteinwirkung
    • Dunsung des Gesichts
    • Ggf. weitere Verletzungen der Haut und der Weichteile: Braune Hautvertrocknungen
  • Tardieu-Flecken: Punktförmige Blutaustritte in Pleura und Herzbeutel, die wahrscheinlich aufgrund von Blutdrucksteigerungen im Rahmen des Erstickungsvorgangs entstehen (auch beim nicht-gewaltsamen Ersticken)
  • Perthes-Druckstauung: Deutliche Stauungsblutungen an der Brust, am Hals und im Gesicht, die durch ein Ersticken bei Behinderung der Thoraxexkursion bei freien Atemwegen entstehen

Klinischer Hinweis: Auch wenn ein versuchtes gewaltsames Ersticken überlebt wird, besteht weiterhin Erstickungsgefahr! Infolge der Gewalteinwirkung kann es nämlich zu einer progredienten Schwellung der Atemwege im Kehlkopfbereich kommen!

Weitere Formen

Kodierung nach ICD-10-GM Version 2022

  • T71: Erstickung
    • Inklusive: Ersticken (durch Strangulation)
      • Systemischer Sauerstoffmangel durch:
        • mechanische Behinderung der Atmung
        • niedrigen Sauerstoffgehalt der Umgebungsluft
    • Exklusive: Asphyxie durch: Aspiration von Nahrungsmittel oder Fremdkörper (T17.‑); Kohlenmonoxid (T58); sonstige Gase, Dämpfe oder sonstiger Rauch (T59.‑); Atemnot beim Neugeborenen (P22.‑); Atemnotsyndrom des Erwachsenen (J80.‑); Sauerstoffmangel in großer Höhe (T70.2)
  • X59.-!: Akzidentelle Exposition gegenüber sonstigen und nicht näher bezeichneten Faktoren
    • X59.9!: Sonstiger und nicht näher bezeichneter Unfall
      • Strangulierung

Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2022, DIMDI.

Quellen

  1. Madea, Dettmeyer: Basiswissen Rechtsmedizin. 1. Auflage Springer 2007, ISBN: 978-3-540-71428-6 .
  2. Madea: Praxis Rechtsmedizin. 2. Auflage Springer 2006, ISBN: 978-3-540-33719-5 .
  3. Skriptum Rechtsmedizin .