Was braucht man wenn man nicht Stillen kann?

Gerne sagen wir Stillberaterinnen, dass sich die allermeisten Stillprobleme bei guter Unterstützung – möglichst von Anfang an – lösen lassen. Das ist auch so. Aber in dem Wörtchen „allermeisten“ steckt auch die Tatsache, dass es manchmal nicht gelingt, eine schmerzlose oder entspannte Stillsituation wieder herzustellen – ganz egal, welche Tricks, Techniken oder auch Medikamente zum Einsatz kommen.

Manchmal gelingt das Stillen einfach nicht. Und wenn sich Beschwerden über lange Zeit nicht bessern, alle Stillversuche frustriert verlaufen oder die Muttermilch nicht reicht, muss meist irgendwann eine Entscheidung getroffen werden. Eine Entscheidung, die alltagskompatibel ist. Denn oft ist es fast übermenschlich, was Mütter leisten in dem Wunsch, ihr Baby zu stillen. Es wird angelegt, gepumpt, alternativ zugefüttert. Da werden Hausmittelchen und Medikamente eingenommen. Das Stillen bestimmt den Tag. Und die Nacht. Es ist eine anstrengende Zeit. Für alle Beteiligten, vor allem für die Mutter.

Wie traurig und frustrierend ist es dann, wenn es am Ende doch nicht klappt – aus welchen Gründen auch immer? Die Ursache zu kennen, macht es manchmal etwas leichter. Aber der Schmerz über die verpasste schöne Stillzeit bleibt. Und dann kommen die, die sagen, dass das alles nicht so schlimm sei. Dass es ja gute Flaschennahrung gebe. Dass das Kind ja gut wächst und gedeiht. Dass sich Mutterliebe nicht an der Stilldauer oder am Stillen überhaupt messen lässt. Ja, das stimmt sicher alles irgendwie – aber es hilft nicht wirklich in dieser Situation.

Emotionen sind ganz normal und richtig

Das ist wie das „Hauptsache dem Kind geht es gut“-Argument, wenn aus der erträumten Spontangeburt in der Badewanne der Kaiserschnitt auf dem OP-Tisch wird. Diese Argumente können den Schmerz nicht einfach wegwischen, den diese Mutter verspürt. Ganz im Gegenteil. Zusätzlich wird sie ihre Gefühle in Frage stellen und sie deshalb wahrscheinlich für sich behalten. Stillen ist eine ganz besondere Zeit, die man mit seinem Kind verbringt. Jene Frauen, die so um das Stillen kämpfen, wissen das in der Regel ganz genau. Oder kennen es vielleicht sogar, weil sie davor schon ein Kind gestillt haben.

Und es tut weh oder macht vielleicht sogar wütend, all die anderen Mütter zu sehen, bei denen es scheinbar so einfach und mühelos funktioniert. All diese Emotionen sind ganz normal und richtig. Es heißt auch nicht, dass man deshalb alles andere oder gar sein Kind selbst nicht genießen und wertschätzen kann. Sondern eben nur, dass es an dieser einen Stelle weh tut. Doch es wird besser werden, wenn man die Traurigkeit darüber auch zulässt. Wenn man statt sich Schuldgefühle einzureden irgendwann sagen kann: „Ich habe an der Stelle alles getan, was ich konnte.“ Und vielleicht sogar stolz darauf ist, wie sehr man gekämpft hat, ganz egal wie es am Ende ausgegangen ist.

Niemand hat an dieser Stelle versagt oder etwas falsch gemacht

Auch Hebammen und Stillberaterinnen müssen immer wieder mal einsehen, dass das Stillen in manchen seltenen Fällen nicht gelingt. Trotz aller Maßnahmen, die doch sonst auch immer helfen. Und dann kann man auch als Hebamme einfach mit der Frau traurig darüber sein. Ihr Raum zum Reden geben, wenn sie möchte.

Niemand hat an dieser Stelle versagt oder etwas falsch gemacht. Das gilt auch und vor allem für Mütter, die erst später erfahren, welche Optionen und Unterstützungsmöglichkeiten sie noch hätten ausprobieren können. Zum individuellen Zeitpunkt wussten sie es aber nicht besser. Darum sind Schuldgefühle falsch an dieser Stelle. Abschiedsschmerz vom Stillen ist aber okay und richtig. Und den muss sich auch keine Mutter ausreden lassen.

Das gilt natürlich auch umgedreht, wenn eine Mutter merkt, dass es ihr nach dem Abstillen eigentlich viel besser geht und es für sie der passendere Weg ist. Das Leben hat an vielen Stellen einen anderen Plan, als wir ihn haben. Es darf etwas Zeit brauchen, den alten Plan loszulassen und sich auf etwas Neues einzulassen. Das ist ein ganz normaler Prozess, der nicht dadurch beschleunigt wird, in dem andere sagen, dass doch „alles nicht so schlimm“ sei. Wunde Brustwarzen oder eine Brustentzündung können sicherlich große Schmerzen verursachen. Aber auch das Nichtstillen kann manchmal einfach weh tun.

Früher mussten sich stillende Mütter noch rechtfertigen - heute ist es eher anders herum: Wer seinem Baby die Flasche gibt, wird als Rabenmutter beschimpft. ELTERN-Autorin Nora Imlau fragt sich, wozu diese Grabenkämpfe gut sein sollen.

Nora Imlaus Pläydoyer gegen Grabenkämpfe unter Müttern

Was braucht man wenn man nicht Stillen kann?

© Feverpitched / iStock

T atjana wollte ihrem Sohn gern die Brust geben, bekam zum Start aber nicht die richtige Unterstützung. Emma nimmt Medikamente ein, die mit dem Stillen unvereinbar sind. Und Lisa konnte sich schlicht nicht vorstellen, für Monate die einzige Nahrungsquelle ihrer Tochter zu sein. Dass die Babys meiner drei Bekannten das Fläschchen bekommen, hat also ganz unterschiedliche Gründe. Doch eine Erfahrung teilen sie alle: Man kann heute nicht nicht stillen, ohne von anderen Müttern schräg angeguckt zu werden.
Ob in der Krabbelgruppe oder im Eiscaf: Wer statt der Brust das Fläschchen auspackt, erntet missbilligende Blicke und bekommt immer wieder dieselbe Frage zu hören: "Was, du stillst nicht? Aber warum denn nicht?"

Ein kleiner Rückblick

Rückblick: In den 60er- und 70er-Jahren war das gesellschaftliche Klima genau umgekehrt. Man hielt Flaschenmilch nicht nur für gesünder, sondern auch für praktischer als Muttermilch. Wer trotzdem stillen wollte, musste einen starken Willen haben. In den 80er-Jahren war dann plötzlich die "sanfte Geburt" ein großes Thema, und im Zuge dieser Wiederentdeckung der Natürlichkeit kam auch das Stillen in Mode.
In den neu eingerichteten Geburtsvorbereitungskursen lernten Frauen nun erstmals, was heute jede Schwangere zu hören bekommt: dass Muttermilch die beste Ernährung für Menschenbabys ist und dass Stillen nicht nur fürs Kind große gesundheitliche Vorteile hat, sondern auch für die Mutter.
Es folgte eine kurze Zeitspanne, in der Brust- und Flaschenernährung gleichberechtigt waren: Manche Mütter stillten eben, andere gaben die Flasche - und den wenigsten kam es in den Sinn, über ihre Entscheidung groß zu diskutieren.
In den 90er-Jahren begann dann die Stillförderung in großem Stil. Nachdem immer mehr wissenschaftliche Untersuchungen den Wert des Stillens belegt hatten, forderte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 1992, dass es die Aufgabe eines jeden Staates sei, sich für "den Schutz, die Förderung und die Unterstützung des Stillens" einzusetzen. In der Folge entstand 1994 in Deutschland die "Nationale Stillkommission", die im Auftrag der Bundesregierung dazu beitragen sollte, dass Stillen die normale Ernährung für Säuglinge wird. An sich keine schlechte Idee - doch irgendwie ist im Zuge dieser Stillförderungskampagnen die Waagschale gekippt. Plötzlich galt Muttermilch nicht mehr nur die wünschenswerte Form der Babyernährung, sondern als die einzig akzeptable. Was daraus für viele freiwillige oder unfreiwillige Fläschchenmamas folgt, ist Müttermobbing der übelsten Sorte.
"Mich hat mal eine militante Stillmutter gefragt, ob ich nachts eigentlich ruhig schlafen könne, wenn ich meinem Kind tagsüber diese Giftbrühe verfüttere!", erzählt mir Emma. Und Tatjana bekam immer wieder zu hören, wer bei Stillproblemen abstille, habe sich eben nicht richtig Mühe gegeben. "Jede Frau kann stillen!", sagt sie verbittert. "Wenn ich diesen Satz schon höre! Mag ja sein, dass das theoretisch möglich ist, aber ich hatte keine Kraft mehr zum Kämpfen - kann man das nicht einfach so stehen lassen?“ Den schwersten Stand haben heute sicher Frauen wie Lisa, die sich aus freien Stücken gegen das Stillen entscheiden. "Manche Leute geben mir zu verstehen, dass ich doch auf ein Kind hätte verzichten können", sagt sie. "Wenn ich schon nicht bereit bin, diese erste Mutterpflicht zu erfüllen." Zur Erinnerung: Wir schreiben das Jahr 2012. Wir leben in einer Zeit, in der Frauen zum Glück das Recht haben, über ihren eigenen Körper zu bestimmen. Und dann beschimpfen erwachsene Frauen tatsächlich andere Mütter, weil sie es wagen, ihren Babys eine andere Milch zu geben? Haben wir sie eigentlich noch alle? Als eine Mutter, die ihre beiden Töchter gern und lange gestillt hat, finde ich: Wir müssen endlich aufhören, uns gegenseitig das Leben schwer zu machen! Es ist nämlich nicht die Brust oder die Flasche, die uns zu guten Müttern macht. Sondern die Fähigkeit, unseren Kindern, aber auch einander, mit Respekt zu begegnen.

"Jede Mutter will das Beste für ihr Kind!"

Stillbücher gibt es wie Sand am Meer. Nun erscheint endlich der erste Ratgeber speziell für Mütter, die nicht stillen können oder wollen. Nora Imlau hat sich mit der Autorin von "Wie, du stillst nicht?" unterhalten.

"Jede Mutter will das Beste für ihr Kind!"

Stillbücher gibt es wie Sand am Meer. Nun erscheint endlich der erste Ratgeber speziell für Mütter, die nicht stillen können oder wollen: In "Wie, du stillst nicht?" räumt Regina Masaracchia, dreifache Mutter und Stillberaterin, mit vielen Vorurteilen rund um die Fläschchen- Ernährung auf. Nora Imlau hat mit ihr gesprochen.

ELTERN: Welche Frage beschäftigt Ihrer Erfahrung nach Fläschchenmütter am meisten?
Regina Masaracchia: Ganz klar die, ob sie ein schlechtes Gewissen haben müssen. Dass Stillen das Beste fürs Kind ist, weiß inzwischen jeder - es steht ja sogar auf den Pulvermilchpackungen. Der gesellschaftliche Druck ist groß: Wer seinem Baby nicht die Brust gibt, sieht sich schnell als Rabenmutter abgestempelt.

Was hilft gegen die Schuldgefühle?
Sich klarzumachen, dass Stillen eben nicht unbedingt das Beste fürs Kind ist. Denn ein Baby merkt, wenn seine Mutter beim Stillen gestresst und überfordert ist. Es spürt genau, wenn die Mutter es nur widerwillig an die Brust legt. Das heißt natürlich nicht, dass Stillen immer Spaß machen muss. Schwierige Phasen sind ganz normal. Aber wenn eine Frau spürt, dass sie mit dem Stillen nicht mehr glücklich wird, kann Abstillen die richtige Entscheidung für beide Seiten sein.

Viele Frauen wollen durchaus stillen, und dann klappt es einfach nicht.
So ging es mir mit meinem zweiten Kind. Nachdem ich meinen ersten Sohn problemlos neun Monate lang gestillt hatte, kam Samuel mit einer Gaumenspalte zur Welt. Ich wusste nicht, dass auch Kinder mit dieser Behinderung gestillt werden können, und hatte auch nicht die richtige Unterstützung dafür. Samuel wurde deshalb ein Flaschenbaby – und ich eine jener Mütter, die in Cafs verstohlen das Milchpulver auspacken und missbilligende Blicke ernten.

Woher kommt dieser Still-Druck?
Ich würde eher von einem sehr engen Normalitätsbegriff reden. In unserer Gesellschaft gilt es gerade als normal, dass Babys in den ersten Lebensmonaten gestillt und dann auf Brei und Flaschennahrung umgestellt werden. Jede Mutter, die es anders macht, muss mit Gegenwind rechnen – vor allem von anderen Müttern. Ich würde mir sehr wünschen, dass sich Frauen bereits in der Schwangerschaft mit der Frage auseinandersetzen, ob sie stillen wollen oder nicht. So können sie gut informiert und ohne Reue den Weg finden, der zu ihnen passt – und sich dafür die Unterstützung organisieren, die sie brauchen. Vor allem aber sollten wir Mütter untereinander endlich solidarischer werden: Nicht-Stillen hat viele Gründe und Facetten, und niemand sollte sich dafür rechtfertigen müssen.

Was ist Ihr wichtigster Tipp für Fläschcheneltern?
Dass sie vieles, was das Stillen so wertvoll macht, ihrem Baby auch ermöglichen können. Schließlich geht es beim Stillen ja nicht nur um gesunde Ernährung, sondern vor allem auch um den innigen seelischen und körperlichen Kontakt. Der entsteht aber beispielsweise auch beim Tragen im Tragetuch. Oder wenn die Mutter das Fläschchen immer wieder einmal mit nacktem Oberkörper gibt. Dabei hört das Baby beim Trinken den vertrauten Herzschlag, es spürt die weiche, warme Haut, die wunderbar nach Mama riecht. Welche Milch es dabei trinkt, ist dann gar nicht mehr so entscheidend. Es entsteht eine feste Eltern-Kind-Bindung, das ist das Wichtigste.

Zum Weiterlesen

Regina Masaracchia: "Wie, du stillst nicht?" Ein Praxisbuch für Mütter, die nicht stillen wollen oder können. Kösel, 15,99 Euro
Für Kinder mit Geschwistern erscheint von derselben Autorin "Finja kriegt das Fläschchen", Edition Riedenburg, 14,90 Euro

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Was brauche ich wenn ich nicht Stillen kann?

Auch wenn nicht gestillt wird, gibt es eine gute Alternative, mit der ein Baby gut wachsen und gedeihen kann: eine Säuglingsanfangsnahrung auf Pulverbasis.

Kann es sein dass man nicht Stillen kann?

Manchmal ist Stillen nicht möglich. Durch viel Körper- und Augenkontakt beim Füttern wird die innige Beziehung zwischen Mutter und Kind gefördert.

Welche Tablette wenn man nicht Stillen möchte?

In diesem Fall gibt es die Möglichkeit, die Milchbildung durch Medikamente zu hemmen. Ihre Frauenärztin, Ihr Frauenarzt oder die Hebamme geben Ihnen direkt nach der Geburt eine sogenannte “Abstilltablette” mit dem Wirkstoff Cabergolin, der die Produktion des Stillhormons Prolaktin unterdrückt.

Ist es sehr schlimm wenn man nicht stillt?

So ist es medizinisch kein Problem mehr, wenn eine Frau sich entscheidet, nicht zu Stillen. Frauen, die nicht so viel Milch produzieren können, sehen so auch genauer, wie viel ihr Kind trinkt.