Warum hat Kants kategorischer Imperativ keinen Inhalt?

Der "Kategorische Imperativ" Immanuel Kants (1724 - 1804), der von ihm in der "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" (1785) entwickelt wird, ist wohl einer der bekanntesten Pr�fsteine moralischen Handelns. Er wird meist in der folgenden Fassung zitiert (sogenannte 'Gesetzesformel'):

"Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde."
(Hier und im Folgenden zitiert nach Werkausgabe, Hg. W. Weischedel, Frankfurt a. M., Suhrkamp Verlag, Bd. VII, S.51.)

Etwas verwirrend ist, dass Kant den Kategorischen Imperativ unterschiedlich formuliert hat. Da die verschiedenen Formeln in ihrem Bedeutungsgehalt nicht v�llig gleich sind, erscheint es angebracht, sich vorerst auf die Er�rterung dieser einen Fassung des Kategorischen Imperativs zu beschr�nken.

Diese Fassung enth�lt eine Reihe von Ausdr�cken, von denen nicht ohne weiteres feststeht, welche Bedeutung Kant mit ihnen verbindet. So ist die Rede von "Maximen" des Handelns, von "wollen k�nnen" und von einem "allgemeinen Gesetz". Au�erdem ist zu kl�ren, warum diese Formel als "kategorischer Imperativ" bezeichnet wird.

Um die Bedeutung dieser Ausdr�cke und damit die Bedeutung des ganzen Satzes zu kl�ren, soll der Gedankengang dargestellt werden, der Kant zum Kategorischen Imperativ f�hrt.

Dies wird allerdings dadurch erschwert, dass Kant dabei seine vorangegangenen Untersuchungen als bekannt voraussetzt (zu nennen ist insbesondere die vier Jahre zuvor erschienene "Kritik der reinen Vernunft", die als Kants Hauptwerk gilt). Au�erdem hat Kant eine eigene Begrifflichkeit entwickelt, die sich nicht immer mit dem �blichen Sprachgebrauch deckt. Erschwerend kommt das Alter der Texte hinzu, mit heute un�blichem Satzbau und z. T. gewandelter Wortbedeutung, etwa eines Wortes wie "gemein".


2.)  Kants Auffassung von der menschlichen Erkenntnis

Kant �bernimmt die traditionelle Dreiteilung der Philosophie in Physik, Ethik und Logik. Physik ist die Wissenschaft von den Naturgesetzen, nach denen alles geschieht. Ethik ist die Wissenschaft von den sittlichen Gesetzen, nach denen alles geschehen soll (S.11). (Anstelle von "sittlich" und "Sittlichkeit" sagt man heute meist "moralisch" und "Moral".)

Der Mensch besitzt f�r Kant zwei Quellen der Erkenntnis: die Vernunft und die Erfahrung.

Mit "Erfahrung" oder "Empirie" (griechisch empeiria) ist die Sinneswahrnehmung gemeint, also das, was man durch Sehen und H�ren etc. erf�hrt.

Durch den Gebrauch seiner Vernunft erkennt der Mensch die Ideen (z. B. Freiheit, Pflicht, Gesetz). Mit Hilfe der Vernunft bildet der Mensch auch bestimmte Begriffe. So entspringt f�r Kant der Begriff der "Pflicht" aus dem "Vernunftverm�gen".

Die von jeglicher Erfahrung unabh�ngige Theorie nennt Kant "Metapyhsik" (S.12). Solche Erkenntnis aus reiner Vernunft bezeichnet Kant auch als "Erkenntnis a priori" (lateinisch: "von vornherein"), w�hrend eine Erkenntnis, an der die Erfahrung beteiligt ist, von ihm "Erkenntnis a posteriori" (lateinisch: "im nachhinein") genannt wird.

Die "Metaphysik der Sitten" ist demnach die von jeder vorg�ngigen Erfahrung unabh�ngige Erkenntnis der sittlichen Gesetze allein mit den Mitteln der menschlichen Vernunft (S.11). In der "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" wird das "oberste Prinzip der Moralit�t" (S.16) bestimmt. Dies ist f�r Kant der Kategorische Imperativ.

Dass es eine Moralphilosophie aus reiner Vernunft geben m�sse, steht f�r Kant fest, denn dies "leuchtet von selbst aus der gemeinen [allgemein verbreiteten] Idee der Pflicht und der sittlichen Gesetze ein" (S.13).

Bemerkenswert ist Kants Argument, dass dabei die "moralischen Gesetze ... aus dem allgemeinen Begriffe eines vern�nftigen Wesens �berhaupt abzuleiten" sind, weil sie "f�r jedes vern�nftige Wesen �berhaupt gelten sollen" (S.40).


3.)  Der menschliche Wille ist nicht v�llig der Vernunft gem��

Im Unterschied zu den Dingen der Natur, die dem Wirken der Naturgesetze unterliegen, hat ein vern�nftiges Wesen "das Verm�gen, nach der Vorstellung der Gesetze, d. i. nach Prinzipien zu handeln" (S.41). Dies Verm�gen bezeichnet Kant als "Willen". Die Vernunft erkennt die Prinzipien des Handelns "als praktisch notwendig, d. i. [das ist] als gut" (S.41). "Da zur Ableitung der Handlungen von Gesetzen Vernunft erfordert wird, so ist der Wille nichts anderes, als praktische Vernunft" (S.41).

F�r Kant ist der Mensch jedoch ein Wesen, dessen "Wille nicht v�llig der Vernunft gem�� ist" (S.41).

Zwar kann der Mensch durch den Gebrauch seiner Vernunft erkennen, was moralisch gut ist, doch gehorcht der menschliche "Wille seiner Natur nach diesen [Gr�nden der Vernunft] nicht notwendig" (S.41). Denn der menschliche Wille wird nicht nur durch Gesetze der Vernunft sondern auch durch "nat�rliche Triebfedern" beeinflusst, die Kant "Neigungen" nennt.

Deshalb treten die Gesetze der Vernunft dem Menschen als Imperative oder Gebote gegen�ber und werden durch ein Sollen ausgedr�ckt. Bei vollkommenen Vernunftwesen wird der Wille vollst�ndig durch die Vernunft bestimmt, sodass die Moral f�r diese keinen Soll-Charakter besitzt.


4.)  Hypothetische Imperative und kategorische Imperative

Wie Kant betont, ist nicht jedes Sollen ein moralisches Sollen und nicht jeder Imperativ ein moralischer Imperativ. Kant unterscheidet zwischen hypothetischen (von griechisch hypothesis "Annahme, Unterstellung" ) und kategorischen (von griechisch kategorikos "behauptend") Imperativen.

Zu den hypothetischen Imperativen geh�ren die Imperative der Geschicklichkeit ("Wenn man nicht will, dass die Milch beim Erhitzen anbrennt, dann muss man sie umr�hren"). Auch bei den Imperativen der Klugheit ("Wer gl�cklich werden will, der darf nicht mit seinem Schicksal hadern") handelt es sich um hypothetische Imperative.

Damit ein hypothetischer Imperativ f�r eine bestimmte Personen Geltung erlangt, muss angenommen werden, dass diese Person eine bestimmte Absicht hat ("Ich will, dass die Milch nicht anbrennt" oder "Ich will gl�cklich werden"). Sie gelten insofern nur bedingt (nur unter der Annahme bzw. der Hypothese, dass jemand diese Absicht hat).

Ein kategorischer Imperativ ist dagegen ein Imperativ, "der ohne irgendeine Absicht als Bedingung zum Grunde zu legen, dieses Verhalten unmittelbar gebietet ... " Er stellt "eine Handlung als f�r sich selbst, ohne Beziehung zu einem andern Zweck, als objektiv-notwendig" hin. "Er betrifft nicht die Materie der Handlung und das, was aus ihr folgen soll, sondern die Form und das Prinzip, woraus sie [die gute Handlung] selbst folgt ..." (S.45).


5.)  Die Gebote der Sittlichkeit sind kategorische Imperative

Die Forderungen der Sittlichkeit oder Moral treten dem Menschen als Gebote gegen�ber. "Gebote sind Gesetze, denen ... Folge geleistet werden muss" (S.46), auch wenn dies den eigenen Neigungen widerspricht. "Nur das Gesetz f�hrt den Begriff einer unbedingten und zwar objektiven und mithin allgemein g�ltigen Notwendigkeit bei sich" (S.46).  Dieser Gesetzescharakter unterscheidet die Moral z. B. von Ratschl�gen zum eigenen Wohlergehen.

Bei den Gesetzen der Sittlichkeit kann es sich nicht um hypothetische Imperative handeln, denn "was blo� zur Erreichung einer beliebigen Absicht zu tun notwendig ist, besitzt nicht diejenige Notwendigkeit ..., welche wir zum [von einem] Gesetze verlangen" (S.46). Nur ein kategorischer Imperativ hat diesen Gesetzescharakter. Deshalb handelt es sich bei den Geboten der Sittlichkeit um kategorische Imperative.


6.)  Wie kann eine Handlung ohne Beziehung zu einem andern Zweck geboten sein?

Kant stellt dann in Bezug auf die kategorischen Imperative die Frage, "wie ... die N�tigung des Willens, die der Imperativ ... ausdr�ckt, gedacht werden k�nne" (S.46). Er fragt: "Wie sind all diese Imperative m�glich?"

Diese etwas ungew�hnliche Fragestellung macht deutlich, dass es Kant bei seiner Untersuchung nicht um die Berechtigung von Moral �berhaupt geht oder um deren Inhalte. Beides ist f�r Kant vorgegeben und unstrittig.

Kant will das Besondere an der Moral, das spezifisch Moralische aufdecken, indem er die besondere Art der "N�tigung des Willens" durch die Gesetze der Moral aufzeigt.

Bei den Imperativen der Geschicklichkeit und der Klugheit ergibt sich das Tun-sollen, die "N�tigung des Willens", problemlos aus den hypothetisch vorausgesetzten Absichten der jeweiligen Person selber: Wenn jemand nicht will, dass die Milch anbrennt, dann folgt daraus f�r ihn die Notwendigkeit, sie umzur�hren. Wenn jemand gl�cklich werden will, dann folgt daraus f�r ihn die Notwendigkeit, bestimmte Handlungen - wie das Hadern mit dem eigenen Schicksal - zu unterlassen.

Aber was n�tigt die Menschen, die Gebote der Sittlichkeit zu befolgen? Wie kann eine Handlung unmittelbar - also ohne Beziehung zu einem andern Zweck - geboten sein? Wie kann eine solche M�glichkeit gedacht werden?

Durch ein faktisches Beispiel moralischen Verhaltens kann diese M�glichkeit nicht erwiesen werden, denn - wie Kant ausf�hrt - ist es z. B. "immer m�glich, dass insgeheim Furcht f�r Besch�mung ... Einfluss auf den Willen" (S.49) hat und die Befolgung des moralischen Gebotes bewirkt. Dann handelt es sich jedoch nicht mehr um einen kategorischen Imperativ, sondern um einen verdeckten hypothetischen Imperativ ('Wenn Du nicht vor andern besch�mt werden willst, dann musst Du die moralischen Gebote befolgen.') Deshalb kann die M�glichkeit eines kategorischen Imperativs der Moral f�r Kant nur durch den Gebrauch der reinen Vernunft, also a priori erwiesen werden.


7.)  Die Form der allgemeinen Gesetzm��igkeit als Grund f�r das Gebotensein der Moral

Zum einen geht Kant von Menschen aus, die - mit einem Willen versehen - nicht v�llig den Kausalgesetzen unterworfen sind, sondern nach bestimmten Grunds�tzen bzw. Prinzipien handeln k�nnen. Kant nennt die Grunds�tze, die sich ein Mensch f�r sein eigenes Handeln setzt, "Maximen". Die Maximen des Handelns k�nnen dabei von Mensch zu Mensch je nach Einsicht und Neigung verschieden sein. Eine Maxime meines Handelns k�nnte etwa lauten: 'Meine Schulden zahle ich erst dann, wenn mir deswegen eine Klage vor Gericht droht'.

Zum andern enth�lt jedes sittliche Gesetz in sich die unmittelbare kategorische Forderung, dass die Maximen des Handelns aller Menschen diesem Gesetz entsprechen.

Die Frage ist: 'Was begr�ndet f�r die Menschen die Pflicht, dieser Forderung Folge zu leisten?'

Man k�nnte die Frage einfach beantworten und sagen: 'Die Furcht vor Strafe n�tigt den Menschen, moralisch zu handeln.' Damit w�rde man aber dem moralischen Gesetz nicht gerecht, denn unser Gewissen sagt uns z. B., dass es auch dann nicht richtig ist, einen andern Menschen um des eigenen Vorteils willen zu bel�gen oder gar zu t�ten, wenn man keine Strafe deswegen bef�rchten m�sste.

Als gl�ubiger Christ k�nnte Kant auch sagen: 'Ich bin gen�tigt, den moralischen Gesetzen Folge zu leisten, weil sie Gottes Gebot sind.' Aber dann w�re Kant kein Philosoph der Aufkl�rung, der sich allein auf die Vernunft st�tzt, sondern er w�re ein Theologe, der die g�ttliche Offenbarung auslegt.

Beide L�sungsm�glichkeiten scheiden also f�r Kant aus.

Kants Antwort lautet:
Da ein kategorischer Imperativ keinen inhaltlich bestimmten Zweck enth�lt, auf den man sich berufen k�nnte (wie z. B. bei den Imperativen der Klugheit das Ziel, gl�cklich zu werden), bleibt nur noch die Form des Gesetzes, seine Allgemeinheit �brig. Der Allgemeinheit des Gesetzes muss die Maxime, die sich ein Individuum f�r sein eigenes Handeln setzt, entsprechen. Das hei�t: Ein Mensch muss die Maximen seines Handelns - d. h. die selbstgesetzten Regeln seines Handelns - auch dann noch wollen k�nnen, wenn sie allgemein - also von jedermann - angewendet werden. Oder, um einen modernen Ausdruck zu verwenden: Die Maxime des Handelns muss "verallgemeinerbar" sein. Nur dann ist sie moralisch zul�ssig.

Mit den Worten von Kant hei�t das: Da ein kategorischer Imperativ "au�er dem Gesetze nur die Notwendigkeit der Maxime enth�lt, diesem Gesetz gem�� zu sein, das Gesetz aber keine Bedingung enth�lt, auf die es eingeschr�nkt war, so bleibt [als Grund f�r die N�tigung, dem Imperativ Folge zu leisten] nichts, als die Allgemeinheit eines Gesetzes �berhaupt �brig, welchem die Maxime der Handlung gem�� sein soll und welche Gem��heit allein den Imperativ eigentlich als notwendig vorstellt" (S.51).

Daraus folgt f�r Kant der anfangs zitierte Kategorische Imperativ: "Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde."

F�r Kant hat damit "eine Handlung ... ihren moralischen Wert nicht in der Absicht, die dadurch erreicht werden soll" (S.26), und auch "nicht in der Wirkung, die daraus erwartet wird" (S.27), sondern nur "in der Maxime, nach der sie beschlossen wird" (S.25). Wenn etwas "moralisch gut sein soll, ist es nicht genug, dass es dem sittlichen Gesetzte gem�� ist, es muss auch um desselben [Gesetzes] willen geschehen" (S.14) oder anders ausgedr�ckt: "Pflicht ist die Notwendigkeit einer Handlung aus Achtung f�rs [vor dem] Gesetz" (S.26).

Zur obigen Formulierung noch eine Anmerkung: Man muss dabei beachten, dass Kant als "Wille" das Verm�gen bezeichnet, gem�� Prinzipien der praktischen Vernunft zu handeln. Dies entspricht nicht dem �blichen Gebrauch des Wortes "Wille". In dem Ausdruck "wollen k�nnen" ist mit "wollen" also nicht irgendein Streben oder Begehren gemeint ist, sondern ausschlie�lich ein Wollen, das den Prinzipien der Vernunft entspricht und das deshalb diesen Prinzipien nicht widersprechen darf. Der kategorische Imperativ w�rde nach �blichem Wortgebrauch dann lauten: 'Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich [vern�nftig] wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.'


Kritik:

8.)  Problematische Vernunfterkenntnis

Wie im Vorangegangenen dargelegt wurde, geht Kant von moralischen Prinzipien aus, die durch das Erkenntnisverm�gen der Vernunft bestimmt werden k�nnen. Diese Prinzipien der praktischen Vernunft sind auch im Kategorischen Imperativ vorausgesetzt. Da es sich beim "wollen k�nnen" ausschlie�lich um den Willen handelt, insofern er nicht durch Neigungen sondern durch Prinzipien der Vernunft bestimmt wird, sind die von Kant vorausgesetzten Prinzipien der Vernunft f�r die Interpretation des Kategorischen Imperativs von zentraler Bedeutung.

Die dem Vernunftverm�gen zugeschriebene Bildung der Ideen und der metaphysischen Begriffe wie "Freiheit", "Pflicht" oder "Vernunftwesen" ist jedoch nicht nachvollziehbar - zumindest nicht auf Basis der "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten". Die Bildung dieser Begriffe wird in dieser Schrift weitgehend vorausgesetzt, obwohl es sich um eine "Grundlegung" handeln soll.

Man k�nnte versuchen, dies Problem durch eine Hinzuziehung weiterer Schriften und eine Bezugnahme auf das gesamte Denksystem Kants zu beheben. Dies kann und soll hier nicht geleistet werden. Deshalb sollte bei den folgenden Ausf�hrungen im Ged�chtnis bleiben, dass die Herkunft der metaphysischen Begriffe offen bleibt.


9.)  Handlungsmaximen, die sich bei allgemeiner Befolgung selbst aufheben

Bei einer bestimmten Art von individuellen Handlungsmaximen wird sofort deutlich, dass sie sich bei ihrer Verallgemeinerung zu einem allgemeinen Gesetz letztlich nicht praktizieren lassen.

Ein Beispiel hierf�r ist die von Kant er�rterte Maxime: "Wenn ich mich in Geldnot zu sein glaube, so will ich Geld borgen, und versprechen es zu bezahlen, ob[wohl] ich gleich wei�, es werde niemals geschehen" (S.53). Diese Maxime erweist sich klar als nicht verallgemeinerbar, "denn die Allgemeinheit eines Gesetzes, dass jeder, nachdem er in Not zu sein glaubt, versprechen k�nne, was ihm einf�llt, mit dem Vorsatz, es nicht zu halten, w�rde das Versprechen und den Zweck den man damit haben mag, selbst unm�glich machen, indem niemand glauben w�rde, dass ihm etwas versprochen sei." (S.53)

Mit andern Worten: Niemand wird sich vertraglich zu etwas verpflichten, wenn er davon ausgehen muss, dass der Vertragspartner gar nicht die Absicht hat, seine vertraglichen Verpflichtungen zu erf�llen. Deshalb hebt sich die Maxime, derart "unehrliche" Vertr�ge abzuschlie�en, bei allgemeiner Anwendung selber auf.

Der Kategorische Imperativ �berzeugt vor allem bei der Anwendung auf derartige, sich selbst aufhebende Maximen.

Zu dieser Art von Maximen geh�ren z. B. Maximen wie :
'Ich muss Gesetze nicht befolgen',
'Ich muss mich an Mehrheitsbeschl�sse nicht halten',
'Ich muss bei eidlichen Aussagen nicht die Wahrheit sagen',
'Ich muss geliehene Sachen nicht zur�ckgeben' usw..

Die hier im Hintergrund stehenden Verfahren und Institutionen (legitimierte Gesetzgebung, legitimierte Regeln der Gruppenentscheidung, �ffentliche Bekr�ftigung eigener Aussagen, zeitweise �berlassung von Eigentum an andere bei Versprechen der R�ckgabe usw.) dienen der Setzung verbindlicher Normen. Individuelle Maximen, die die Verbindlichkeit der durch derartige Institutionen gesetzten Normen misachten, zerst�ren deshalb bei ihrer Anwendung durch alle Individuen diese Institutionen. Wenn man aber die gesetzten Normen doch nicht befolgen muss, so wird letztlich niemand mehr derartige normsetzende Institutionen anwenden. Dies kann aber niemand vern�nftigerweise wollen.


10.)  Die Definition des Begriffs "kategorischer Imperativ" und der Kantische Rigorismus

Kant unterscheidet zwischen Klugheitsregeln, die sich aus pers�nlichen Zielen des Handelnden ableiten ('Wenn Du Deine Z�hne m�glichst lange erhalten willst, dann musst Du sie regelm��ig putzen') und moralischen Normen  ('Qu�le nie ein Ter zum Scherz'), die unabh�ngig davon gelten, was der mit der Norm Angesprochene selber will.

Kant definiert (auf den Seiten 45f.) den Ausdruck "kategorischer Imperativ" jedoch nicht nur durch die Unabh�ngigkeit von den Absichten des Angesprochenen, sondern er sagt dar�ber hinaus, dass ein kategorischer Imperativ "nicht die Materie der Handlung und das, was aus ihr folgen soll, sondern die Form" betrifft.

Das legt den Schluss nahe, dass S�tze wie 'Nimm R�cksicht auf die Bed�rfnisse anderer' oder 'F�ge niemandem ohne Begr�ndung einen Schaden zu', die auf die "Materie" Bezug nehmen, f�r Kant keine kategorischen Imperative und damit auch keine Gebote der Sittlichkeit sind. Da diese Normen auch keinen Bezug auf irgendwelche Absichten des jeweils Angesprochenen nehmen, handelt es sich bei ihnen auch nicht um hypothetische Imperative im Sinne Kants. Dies Resultat ist unbefriedigend, da Kant nicht die Frage er�rtert, ob es neben den hypothetischen und den kategorischen Imperativen noch weitere moralisch bedeutsame Arten von Imperativen gibt.

Auch wenn Handlungen durch Absichten wie die "Bef�rderung fremder Gl�ckseligkeit" bestimmt werden, bekommen sie f�r Kant dadurch keinen moralischen Wert. Seine Begr�ndung f�r diese erstaunliche Ansicht lautet: "... Alle diese Wirkungen konnten auch durch andere Ursachen zu Stande gebracht werden, und es brauchte also dazu nicht des Willens eines vern�nftigen Wesens ..." (S.27)

Allein im Vernunftwesen "wird das h�chste und unbedingte Gute ... angetroffen"(S.27)   "... Nichts anderes als die Vorstellung des Gesetzes .. kann das so vorz�glich Gute, welches wir sittlich nennen, ausmachen " (S.27). Diese Sittlichkeit ist "in der Person selbst schon gegenw�rtig, die darnach handelt". Sie darf deshalb "nicht aber allererst aus der Wirkung [der Handlung] erwartet werden ..." (S.27).

Kant zieht aus dem Umstand, dass die Menschen - wenn auch unvollkommene -  Vernunftwesen sind - die Schlussfolgerung, dass dies auch einem bestimmten Zweck haben muss. Es muss also etwas geben, wof�r nur Vernunftwesen geeignet sind, und was nicht durch Anderes erbracht werden kann. Dies ist die Pflicht als die N�tigung zu einem sittlichen Handeln allein aus Achtung vor dem Gesetz.

Mit dieser Argumentation setzt Kant etwas voraus, was - zumindest heutzutage - h�chst strittig ist. Er bezieht sich auf eine Welt bzw. eine Sch�pfung, in der alles bestm�glich eingerichtet ist. Wenn es dort Menschen gibt, die Vernunftwesen sind, dann muss dies auch einen bestimmten Zweck erf�llen. Dieser Zweck besteht darin, dass nur Vernunftwesen die sittlichen Gebote allein aus Pflicht erf�llen und damit das h�chste Gut verwirklichen k�nnen.

Kant definiert einen kategorischen Imperativ dar�ber hinaus als einen "unbedingten", "unmittelbar gebotenen" notwendigen Imperativ. Hier stellt sich die Frage, was mit der unbedingten und unmittelbaren Notwendigkeit der kategorischen Imperative gemeint ist.

Eine M�glichkeit der Interpretation ist die, dass die allgemeinsten Gebote der Sittlichkeit wie: 'Man darf nicht l�gen' in dem Sinne "unbedingt" gelten, als es keine g�ltige moralische Norm von der Art geben kann: 'Wenn die Bedingungen x, y, z ... gegeben sind, darf man l�gen.'

Wie Marcus G. Singer gezeigt hat (siehe seine Arbeit: Generalization in Ethics, New York 1971, Kap. VIII), hat Kant zumindest teilweise in diesem Sinne argumentiert, wodurch er zu fragw�rdigen moralischen Positionen gelangte, etwa was die Strafe angeht.

Ein derartiger moralischer Rigorismus ist jedoch nicht notwendigerweise mit dem Kategorischen Imperativ verbunden.

Singer verdeutlicht die Problematik an dem folgenden Beispiel: A versteckt sich wegen einer Morddrohung im Haus von B. Der M�rder erscheint und fragt B, der zuf�llig C zu Gast hat, ob sich A im Haus befindet. Er droht damit, B und C zu erschie�en, wenn B nicht antwortet.

B hat drei M�glichkeiten zu handeln: 1. Er sagt die Wahrheit. Dann wird A erschossen. 2. Er sagt gar nichts. Dann wird er selber und der unschuldige C erschossen. Oder 3.: Er l�gt den M�rder an, um damit sowohl das Leben von A als auch sein eigenes und das von C zu retten. Die 3. M�glichkeit ist hier offenbar die moralisch gebotene Handlungsalternative.

Sie steht auch im Einklang mit dem Kategorischen Imperativ. Man kann die Maxime, in einer derartigen Situation zu l�gen, ohne weiteres auch dann noch wollen, wenn sie zu einem allgemeinen Gesetz erhoben w�rde. Die Gefahr, dass man dann niemandem mehr etwas glauben k�nnte, besteht hier sicherlich nicht.


11.)  Kritik an der Herleitung des Kategorischen Imperativs

Nachdem Kant alles Materielle und Empirische als mit der Notwendigkeit eines Gesetzes unvereinbar ausgeschlossen hat, bleibt f�r ihn nur noch die Form der allgemeinen Gesetzm��igkeit als dasjenige Element, von dem das Gebotensein der sittlichen Imperative ausgehen kann.

Dieser Schluss ist jedoch keineswegs logisch zwingend.

So k�nnte man stattdessen auch die Position vertreten, dass die Verpflichtung durch eine moralische Norm darauf beruht, dass diese richtig ist und dass die Richtigkeit eingesehen werden kann.

Wenn auf die Frage: 'Was darf man unter keinen Umst�nden tun?' die Norm: 'Man darf andere Menschen nicht um des eigenen Vorteils willen t�ten' eine richtige Antwort ist, dann bedarf es keiner weiteren Begr�ndung daf�r, dass man entsprechend dieser Norm handeln soll. Denn dass man das Richtige tun soll, ist eine Tautologie.

(Die Schwierigkeiten einer solchen Position - etwa in Bezug auf den Begriff der "Richtigkeit" in der Anwendung auf Normen - k�nnen hier nicht diskutiert werden. Es soll damit nur aufgezeigt werden, dass die von Kant gegebene Antwort nicht die einzig denkbare ist.)

Wenn ich aufgrund �berzeugender Argumente einsehen kann, warum es richtig ist, dass man einen andern Menschen nicht um des eigenen Vorteils t�ten darf, so ergibt sich ein anderes Verst�ndnis von moralischer Pflicht als bei Kant. Die Verpflichtung, moralisch zu handeln, ergibt sich dann nicht aus der "Achtung vor dem sittlichen Gesetz" sondern aus der Einsicht in dessen Richtigkeit.


12.)  Unterschiedliche Ergebnisse bei unterschiedlichen sozialen Positionen

Bemerkenswert ist, dass die Anwendung der Kategorischen Imperativ keinerlei Kenntnis vom Wollen anderer Personen erfordert: Wenn ich den Kategorischen Imperativ anwenden will, so muss ich mir vorstellen, dass alle andern Personen meinen Grundsatz des Handelns (die Maxime meines Handelns) �bernehmen, und ich muss mich fragen, ob ich die dann entstehenden Verh�ltnisse wollen kann. Wenn ich das nicht vern�nftig wollen kann, dann ist dieser Grundsatz unmoralisch. Ich handle unmoralisch, wenn ich trotzdem nach diesem Grundsatz handle.

Eine Erkl�rung f�r diese Beschr�nkung auf die Perspektive des einzelnen Menschen k�nnte der bereits angesprochene Umstand sein, dass mit dem Ausdruck "mein Wollen" von Kant nicht das von mir faktisch Angestrebte gemeint ist, sondern ausschlie�lich die Prinzipien der Vernunft und die daraus abgeleiten Handlungen, die f�r alle Individuen die gleichen sind. Dann treten die Individuen in ihrer tats�chlichen Beschaffenheit gar nicht als solche in Erscheinung sondern sind v�llig gleichartige Vernunftwesen. Wie eine derartige Ableitung inhaltlicher moralischer Normen aus dem Begriff des Vernunftwesens erfolgen kann, wird von Kant in der "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" nicht nachvollziehbar dargelegt.

Die Folgenden soll deshalb das 'wollen k�nnen' in seiner �blichen Bedeutung als 'begehren k�nnen' verstanden werden und nicht im spezifisch Kantschen Verst�ndnis des Willens als praktischer Vernunft.

Nach Kant bildet der Kategorische Imperativ das oberste Prinzip der Sittlichkeit. Die entscheidende Frage ist, ob verschiedene Personen bei Anwendung des Kategorischen Imperativs zu �bereinstimmenden Ergebnissen gelangen, denn nur dann kann ein Kriterium die Grundlage f�r die allgemeing�ltige Beantwortung moralischer Fragen bilden. Einander widersprechende Antworten k�nnen gar keine Frage beantworten.

Der Kategorische Imperativ f�hrt offenbar nur dann zu intersubjektiv �bereinstimmenden Antworten, wenn die Personen, die ihn anwenden, hinsichtlich der allgemein angewandten Grunds�tze des Handelns das Gleiche wollen. Dies kann man aber nicht immer voraussetzen. Wenn sich zwei Personen in unterschiedlichen Positionen und Lebenslagen befinden, ist es nichts Ungew�hnliches, dass sie unterschiedliche Grunds�tze des Handelns als allgemein zu befolgende Gesetze wollen.

Zum Beispiel kann Herr Meier nach der Maxime handeln: 'An der Hausarbeit beteilige ich mich als Mann nicht sondern �berlasse dies meiner Frau'. Dabei kann Herr Meier ohne Schwierigkeiten wollen, dass alle andern seine Maxime �bernehmen und entsprechend handeln.

Frau Meier dagegen handelt nach der Maxime: 'Als berufst�tige Frau �bernehme ich nur die H�lfte der Hausarbeit und �berlasse die andere H�lfte meinem Mann.' Auch sie kann ohne Schwierigkeiten wollen, dass alle andern ebenfalls nach ihrer Maxime handeln.

Wie man sieht, kann die Anwendung des Kategorischen Imperativs durch verschiedene Personen zu Ergebnissen f�hren, die nicht miteinander vereinbar sind.

Dies Problem l�sst sich im Rahmen des Kantschen Denkens wohl nur l�sen durch den Bezug auf vorg�ngige Prinzipien der reinen praktischen Vernunft.


13.)  In bestimmten F�llen ist der direkte Handlungsbezug des Kategorischen Imperativs problematisch

Der Kategorische Imperativ pr�ft die Maximen auf ihre moralische Zul�ssigkeit unter der Voraussetzung ihrer allgemeinen Befolgung. Daraus kann man schlie�en, dass nach Kants Ansicht die Verpflichtung zum eigenen moralischen Handeln ganz unabh�ngig vom tats�chlichen Handeln der andern besteht.

In einigen F�llen kommt es jedoch zu Problemen, wenn die isolierten Einzelnen ein moralisches Gebot befolgen, das einer Maxime entspricht, die die Anforderungen des Kategorischen Imperativs erf�llt. Denn eine Handlungsnorm kann ideal sein, solange sie ausnahmslos befolgt wird, aber sie kann in ihren Auswirkungen katastrophal sein, wenn sich nicht alle daran halten.

Jemand kann z. B. der Maxime folgen, auf den Besitz und den Einsatz von milit�rischen Waffen zu verzichten. Er kann wohl auch ohne Probleme wollen, dass seine Maxime ein allgemeines Gesetz wird. Trotzdem sollte er nicht nach dieser Maxime handeln, denn es w�re fatal, wenn auch nur ein Einziger nicht nach dieser Maxime handelt und nun den Unbewaffneten mit Waffengewalt seinen Willen aufzwingen kann.

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Siehe auch die folgenden thematisch verwandten Texte in der Ethik-Werkstatt:
    Einzelinteresse und Gesamtinteresse, � 30.1
   Kants Konzeption synthetischer Urteile a priori *** (42 K)
   Kant: Der gute Wille als h�chstes Gut ** (16 K)
   Institutionelle Normen * (7 K)

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Letzte Bearbeitung 23.12.2008 / 12.11.2014 / Eberhard Wesche

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Auf welches Problem gibt der kategorische Imperativ eine Antwort?

Der kategorische Imperativ nach Kant verlangt also, dass du deine eigenen Handlungsmaxime hinterfragst. Aber was ist eine Maxime eigentlich? Maxime sind so etwas wie die Regeln, nach denen du gerne handeln willst. Laut Kant überlegst du dir vor jeder Handlung als erstes, warum du überhaupt so handeln möchtest.

Was spricht gegen den kategorischen Imperativ?

Das liegt daran, dass Kant den Kategorischen Imperativ in seiner philosophischen Abhandlung Kritik der praktischen Vernunft mehrmals leicht abgewandelt aufgeschrieben hat. Grundformel: Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.

Was ist der kategorische Imperativ nach Kant?

So ergibt sich die Formulierung des Kategorischen Imperativs: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.

Was sind die vier Fragen des kategorischen Imperativs?

Gesucht sind vielmehr prinzipielle Grundsätze – wie Kants kategorischer Imperativ. Tiefergehende Fragen wären: Was ist gut, was ist böse? Wie kann ich mein Handeln begründen? Gibt es überhaupt einen freien Willen oder ist ohnehin alles vorbestimmt?