Wie viel ist ein kamel wert in euro

Es geht um Kamele - und um Macht: Das iranische Regime hat das Blutgeld für Opfer von Verkehrsunfällen erhöht. Eigentlich eine Lappalie, doch im Volk brodelt es. Viele Menschen wissen nicht mehr, wie sie überhaupt noch über die Runden kommen sollen.

Von Dieter Bednarz

14.06.2011, 11.18 Uhr

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Hamburg - Hat dieser Mann nicht genug Probleme? Gerade hat die Internationale Atomenergiebehörde erklärt, dass Iran wohl "bis vor kurzem" nukleare Aktivitäten mit militärischen Dimensionen verfolgt habe. Auf das Land kommt die fünfte Sanktionsrunde im Uno-Sicherheitsrat zu. Ein Militärschlag der Israelis auf die Atomfabriken rückt näher.

Muss sich in dieser angespannten Lage ein Präsident auch noch um den angemessenen Preis für Kamele kümmern?

Ja, Mahmud Ahmadinedschad muss. Die offizielle Verdopplung der Kamelpreise ist in Iran keine Lappalie, sondern eine hochpolitische Angelegenheit, die Parlament und Regierung beschäftigt und zu der sich schon bald der sonst über allen und allem schwebende Revolutionsführer Ajatollah Ali Chamenei äußern soll.

Es geht um viel Geld, denn der Kamelpreis ist die Berechnungsgrundlage für das sogenannte Blutgeld, mit dem die Opfer des wahrlich lebensgefährlichen Verkehrs auf Irans Straßen oder deren Angehörige entschädigt werden. Es geht um schätzungsweise eine Viertelmillion Verkehrsteilnehmer, die jährlich im Straßenverkehr verletzt werden, um etwa 25.000 Verkehrstote - das sind rund drei in einer Stunde.

Ähnlich wie die westliche Rechtsprechung kennt auch das islamische Recht, die Scharia, bei Verletzung oder gar Tötung eines Menschen eine Art Schmerzensgeld oder Entschädigung, genannt "Dija", Blutgeld. Wie gezahlt wird, hat die Justiz der Islamischen Republik in zahlreichen Paragrafen geregelt. Allein die Ausführungen zur Wiedergutmachung von Inkontinenz als Unfallfolge umfassen mehr als eine Seite.

"Kisas" erlaubt dem Opfer die Vergeltung

Unabhängig von der strafrechtlichen Verfolgung der Tat bietet die Scharia dem Opfer einer vorsätzlichen Gewalttat oder dessen Angehörigen zudem die Möglichkeit zur "Kisas", der Vergeltung - getreu dem Motto "Auge um Auge, Zahn um Zahn". Dieses Recht, das auch in Iran umstritten ist, geriet vor wenigen Wochen durch den Fall der Iranerin Amene Bahrami, 30, in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit.

Der einst bildhübschen Studentin hatte 2004 ein verstoßener Verehrer mit einem Säureattentat das Augenlicht genommen und das Gesicht entstellt. Die Straftat wurde mit zwölf Jahren geahndet. Zudem sprach das Gericht Bahrami das Recht zu, persönlich Kisas zu üben. Um den Termin für die Blendung kämpft die junge Frau bis heute. Weil Teheran fürchtet, als barbarisches Regime am Pranger zu stehen, wurde die für Mitte Mai in einem Gefängniskrankenhaus anberaumte Blendung - fünf Säuretropfen ins linke Auge, fünf Tropfen ins rechte Auge - kurz vor der Vollstreckung verschoben. Auf die vom Gericht angebotene Dija-Regelung, vom Täter und dessen Familie 130.000 Euro anzunehmen und dafür von der Blendung abzusehen, will Bahrami nicht eingehen. "Was mir angetan wurde, ist durch Geld nicht aufzuwiegen", versuchte sie im Interview mit dem SPIEGEL ihre Rache zu rechtfertigen.

Dija wie auch Kisas gehen zurück in die vorislamische Zeit. Ähnliche Rechtstraditionen finden sich im Judentum wie auch bei den alten Römern und Germanen. Verbindlich für die Muslime sind beide Rechtswege durch ihre Erwähnung im Koran. In der zweiten Sure schon offenbart Gott dem Propheten Mohammed die Details der Vergeltung und der Blutgeldzahlung, schreibt aber keine Preise fest.

Ursprünglich soll der Wert eines Menschen zehn Kamele betragen haben. Doch weil Mohammed wohl fand, dass ein wahrer Gläubiger das Zehnfache wert sei, werden für einen getöteten muslimischen Mann seither 100 Kamele angesetzt, für eine Frau die Hälfte. Je nach islamischer Rechtsschule werden Andersgläubige mal mit einem Muslim gleichgesetzt, mal wird ihnen nur der halbe Wert zugeschrieben. Statt mit den Höckertieren kann der Tod eines Muslimen auch mit 200 Kühen, 200 Seidengewändern, 1000 Goldmünzen oder 10.000 Silberlingen verrechnet werden.

Ahmadinedschads Subventionsabbau war zu radikal

Grundlage aller Berechnungen in iranische Rial aber war und blieb vor allem der Kamelpreis. Den allerdings hatten die Beamten in Irans Justiz zuletzt zur Milleniumswende auf dem Markt erfragt und lediglich Jahr für Jahr die offizielle Inflationsrate draufgeschlagen. Das fanden die Experten in der Justiz nun nicht mehr gerecht - und verdoppelten den Preis für ein Kamel auf umgerechnet 385 Euro.

Bei 100 Kamelen für ein Todesopfer geht es für viele Familien also auch um viel Geld. Das Durchschnittseinkommen eines iranischen Haushalts beträgt gerade mal um die 500 Euro. Und bei dem mörderischen Verkehr auf Irans Straßen, vor allem in der 13-Millionen-Metropole Teheran, gibt es letztlich keinen, der nicht irgendeinen Verwandten hat, den es trifft - sei es als Opfer, das in diesen schwierigen Zeiten auf eine Wiedergutmachung hofft, oder als Täter, der zahlen muss und oft nicht weiß, woher er das Geld nehmen soll. Seit die Regierung die Subventionen für Gas, Wasser, Benzin oder auch Grundnahrungsmittel abgebaut hat - ein grundsätzlich vernünftiger Schritt - kommen selbst die sparsamsten Iraner kaum mehr zurecht.

Versicherungen leisten Widerstand gegen die Blutgeld-Erhöhung

Aber wie so oft, wenn die Regierung des für seine "Logik" berüchtigten Dr. Ahmadinedschad etwas macht, geschah auch der Subventionsabbau zu radikal. Wer bislang etwa eine Gasrechnung über umgerechnet sieben Euro erhielt, soll nun über 100 Euro aufbringen, eine Tankfüllung ist von zwei auf 15 Euro gestiegen - Preissprünge, die von einem Durchschnittsverdiener kaum zu bewältigen sind.

Deshalb gibt es für die Familien nun Zuschüsse vom Staat, die das Minus in der Haushaltskasse aber bei weitem nicht ausgleichen. "Steht der Aufstand bevor?", fragt die gut informierte Internetseite Transparency for Iran angesichts des Unmuts über die Preissteigerungen in der Bevölkerung.

Widerstand zumindest gegen die Blutgeld-Erhöhung haben Irans Versicherungsgesellschaften angekündigt. Eine Verdoppelung der Auszahlungsbeträge würde sie ruinieren, behaupten ihre Sprecher. Kräftige Beitragsanhebungen wiederum würden wohl die meisten Wagen- und Motorradbesitzer kaum noch bezahlen können. Schon jetzt fahren viele aus purer Not ohne Versicherungspolice - und sind bei einem Unfall mit Personenschaden endgültig ruiniert.

Politiker wie Dariusch Ghanbari vom Sozialausschuss des Madschlis, des iranischen Parlaments, erkennen in der Anhebung nur "Nachteile". Versicherungsexperten prophezeien gar eine "zerstörenden Wirkung für unsere Familien", wenn es zu einer "Verhaftungswelle" gegen säumige Autofahrer komme. Als seien die Gefängnisse nicht schon überbelegt mit Oppositionellen.

Im Landwirtschaftsministerium sind inzwischen angeblich niedrigere Kamelpreise ermittelt worden, die Justiz will jedoch an ihren Kalkulationen festhalten. Der Präsident, Ingenieur mit Doktortitel in Verkehrsmanagement, hat die Erhöhung gestoppt. Auch ihm scheint der Preis wohl unangemessen. Er will sich jetzt mit dem Revolutionsführer beraten. Wie wird der Ajatollah entscheiden? Wird er den Präsidenten stützen?

Wie immer in Iran geht es aber auch beim Blutgeld um Macht und Ranküne. Schließlich kommt der Vorstoß zur Erhöhung aus dem Haus von Gholam Hossein Mohseni-Edschei, einem Vertrauten des Revolutionsführers Chamenei. Den Chef der Justiz hatte der Präsident kürzlich entlassen und musste ihn dann auf Druck von ganz oben wieder ins Amt heben.

Wer steckt hinter dem Eklat um Merkel?

Steckt also mehr dahinter, so wie bei dem Eklat um Angela Merkels Kanzlermaschine, die von Iran ausgebremst wurde? Zwei Stunden musste der deutsche Regierungsflieger vergangene Woche mitten in der Nacht über der Türkei kreisen, statt über einen Zipfel Irans hinweg zum Staatsbesuch nach Indien zu düsen.

Mit einem tumben Fehler des deutschen Piloten, der den iranischen Luftkontrolleuren einen falschen Erkennungscode angegeben habe, erklärte Teheran den Eklat. Doch Iran-Kenner in den Lagezentren der Weltmächte wollten sofort die Handschrift des sinistren Präsidenten erkannt haben: Hinter der Demütigung für Merkel, über die sich Außenminister Guido Westerwelle so echauffierte, stehe die perfide Rache Ahmadinedschads für Berlins strammen Sanktionskurs im Konflikt um das iranische Atomprogramm. Allerdings könnte die Aktion auch aus dem Teheraner Außenministerium gesteuert worden sein - als Vergeltungsmaßnahme für die Warteschlaufe, mit der Irans einstiger Chefdiplomat Manutschehr Mottaki angeblich schon mal von der deutschen Flugsicherung ausgebremst worden war.

Oder wurde die Kanzlerin, die für den Zusatzschlaf an Bord nicht undankbar gewesen sein soll, nur zum Opfer des inneriranischen Machtkampfes? Wollte der gewiefte Stratege Chamenei seinen Regierungschef mit der Aktion gezielt in eine weitere außenpolitische Krise stoßen?

Der Präsident provoziert seinen Mentor

Die Möglichkeit dazu hätte der Ajatollah gehabt. Ihm persönlich unterstehen die Revolutionsgarden, aus deren Reihen der Befehl an die Kanzlermaschine zum Beidrehen kam. Und richtig ist auch, dass Chamenei nur darauf wartet, seinen einstigen Zögling vorzuführen. Für dessen Wiederwahl vor zwei Jahren hatte er noch den größten Wahlbetrug in der Geschichte der Islamischen Republik abgesegnet - und erntet seither nur Undank.

Wie jetzt mit den Kamelpreisen zieht der Präsident seinen einstigen Mentor, der doch fürs Große und Ganze des Gottesstaates zuständig ist, immer wieder in die Niederungen der Tagespolitik. Die für das Amt eigentlich unverzichtbare Erhabenheit hat Chamenei längst in den Grabenkämpfen verloren.

Wann kehrt der sagenumwobene Imam zurück?

Mit den Plänen, das Präsidentenamt innerhalb der Familie zu vererben, hat Ahmadinedschad seinen Mentor geradezu provoziert. Noch bestimmt der Revolutionsführer weitgehend allein, wen das Volk zum Präsidenten wählen darf. Ahmadinedschad aber, der gemäß der Verfassung im nächsten Jahr nicht noch einmal zur Wiederwahl antreten darf, hatte einen treuen Freund und politischen Weggefährten zum Nachfolger ausersehen.

Doch Esfandiar Rahim Maschai, 50, dessen Tochter mit Ahmadinedschad junior verheiratet ist, redet ein bisschen zu viel darüber, dass die nationale Identität wichtiger sei als der Islam. Das hören die Mullahs gar nicht gerne. Und wenn Maschai schon von seinem Glauben spricht, dann meint er damit seine Hinwendung an den verborgenen Imam. Das mögen die Mullahs noch weniger hören.

Wie der Präsident glaubt auch Maschai fest an die Rückkehr des Mohammed al-Mahdi, jenes sagenumwobenen Imams der Schiiten, der im Jahre 941 als junger Mann der Welt entrückte und "am Ende aller Zeiten" die Welt erlösen soll - zumindest jene, die ihm ergeben sind.

Angeblich hat der frühere Vizepräsident einen direkten Draht zu dem Messias, dessen spirituelle Kraft seine Anhänger in einem trockenen Brunnen in Dschamkaran nahe der heiligen Stadt Ghom wähnen. Deshalb brauche er niemanden, so Maschai, der ihm den Koran erkläre. So einen aber, der auf den schiitischen Klerus pfeift, will der Revolutionsführer Ajatollah Ali Chamenei nicht an der Spitze einer Regierung sehen.

Empörung über DVD

Im Hier und Jetzt hat die Verehrung des Mahdi dem Staatschef und seinem Freund gerade erst gewaltige Probleme beschert. Weil religiöse Mystiker, angeblich aus Ahmadinedschads Anhängerschaft, eine DVD mit einem Film zur baldigen Rückkehr des Heiligen unters Volk gebracht haben, sind die Religionsgelehrten auf den Zinnen. Sie halten nichts von dem Sektierertum. Pure Blasphemie ist für sie der Streifen, der inzwischen auch auf YouTube steht, das in Iran, natürlich, gesperrt ist. Die Produzenten des Machwerkes wurden verhaftet.

Maschai blieb unbehelligt, an seinen Aufstieg zum Präsidenten glauben aber nur noch wenige - es sei denn, der Mahdi löst bis zur Präsidentenwahl im nächsten Sommer Chamenei als ersten Mann des Gottesstaates ab.

Bisher ist der Entrückte nicht aus seinem Versteck herausgekommen. Aber die Wiederkehr rückt wohl näher. Denn der Mahdi soll kommen, wenn das Chaos am größten ist. Präsident Ahmadinedschad arbeitet daran - von Merkels Warteschleife bis zum Kamelpreis-Streit.

Wie viele Kamele ist ein Mensch wert?

Ursprünglich soll der Wert eines Menschen zehn Kamele betragen haben. Doch weil Mohammed wohl fand, dass ein wahrer Gläubiger das Zehnfache wert sei, werden für einen getöteten muslimischen Mann seither 100 Kamele angesetzt, für eine Frau die Hälfte.

Was kosten 3 Kamele?

Ein Kamelhändler hat bei einer Versteigerung in den Vereinigten Arabischen Emiraten den Rekordpreis von umgerechnet 6,5 Millionen Dollar (4,7 Millionen Euro) für drei Kamelstuten gezahlt.

Wie viel kostet ein Kamel?

Die Preise für Kamele variieren, und natürlich ist alles Verhandlungssache. „Für ein großes, starkes Kamel kann man bis zu 20.000 Dirham ausgeben“, sagt Belaaid. Das entspricht ungefähr 2.000 Euro. „Junge Kamele kosten etwa die Hälfte.

Wer ist am meisten Kamele wert?

Wer ist mehr Kamele wert: Männer oder Frauen? Menschen nach ihrem Kamelwert zu beurteilen ist noch nicht absurd genug. Wir können beim Kamelrechner auch noch feststellen, dass Frauen generell mehr wert zu sein scheinen als Männer.