Wenn die galle raus muss

Muss bei jedem, auch beim asymptomatischen Gallenstein operiert werden – und wie dringend ist die Operation bei akuter Cholecystitis? Wann und wie sollte man nach Gallengangsteinen fahnden?

Die Gallensteinprävalenz liegt in Deutschland bei circa 30 Prozent, wobei 20 Prozent der Männer und 35 Prozent der Frauen betroffen sind. Die Zahl der durchgeführten Cholecystektomien liegt bei 200.000 jährlich, eine im internationalen Vergleich relativ hohe Zahl.

Die gefürchtetste Komplikation, nämlich die Okklusion oder Durchtrennung des Ductus hepatocholedochus, ist mit 0,12 Prozent ein sehr seltenes Ereignis. Doch die Letalität des Eingriffs beträgt 0,4 Prozent. „Diese Zahl unterstreicht die Notwendigkeit, auf die Indikationsqualität zu achten“, so Privatdozent Dr. Marcin Krawczyk, Oberarzt an der gastroenterologischen Universitätsklinik in Homburg/Saar.

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Nach der Leitlinie „soll“ bei asymptomatischer Cholecystolithiasis in der Regel nicht operiert werden. Ausnahmen, bei denen eine Cholecystektomie erfolgen „sollte“, sind:

  • die Porzellangallenblase,
  • Gallenblasensteine > 3 cm,
  • gleichzeitiges Vorliegen von Gallenblasenpolypen ≥ 1 cm,
  • onkologisch resezierende Eingriffe am Magen oder Ösophagus.
  • Nicht indiziert ist die Cholezystektomie bei asymptomatischen Gallensteinträgern im Rahmen einer bariatrischen Operation, nur bei größeren malresorptiven Eingriffen „kann“ sie erwogen werden.

Mehr als 20 Prozent der Gallengangsteine gehen spontan abSymptomatische Gallengangsteine müssen möglichst schnell endoskopisch entfernt werden. Doch was sagen die Leitlinien zu asymptomatischen Gallengangsteinen? Hier „sollte“ eine Therapie erwogen werden. Doch man muss wissen, dass mehr als 20 Prozent der Gallengangsteine spontan abgehen und weniger als 50 Prozent symptomatisch werden.Bei einer symptomatischen Cholecystolithiasis sollte man nicht lange bis zur Operation warten, da doch ein hohes Risiko besteht, dass der Patient zwischenzeitlich erneut Beschwerden entwickelt. Eine akute Cholecystitis „sollte“ wie eine akute Appendizitis behandelt, also innerhalb von 24 Stunden nach der stationären Aufnahme operiert werden. „Ein längeres Zuwarten erhöht die Komplikationsrate deutlich, nämlich von 14 auf 40 Prozent“, so Krawczyk beim virtuellen Internistenkongress 2021.Bei einer akuten Cholangitis „sollte“ die ERC so rasch wie möglich, bei einer schweren biliären Pankreatitis innerhalb von 72 Stunden durchgeführt werden, bei einer milden Pankreatitis innerhalb von 48 Stunden. Auch außerhalb von Notfallsituationen „sollte“ die Cholecystektomie innerhalb von 72 Stunden nach der endoskopischen Gallengangsanierung erfolgen.Ein Teil der Patienten mit einer symptomatischen Cholecystolithiasis hat zusätzlich auch Gallengangsteine. Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings sehr gering, wenn der Gallengang nicht erweitert ist, die Cholestaseparameter nicht erhöht sind und keine Episoden einer biliären Pankreatitis oder acholische Stühle aufgetreten sind. Doch wenn der Gallengang sonographisch auf über 7 mm erweitert ist und/oder die Cholestaseparameter insbesondere die Gamma-GT und die AP erhöht sind, „soll“ nach einer Choledocholithiasis gefahndet werden und zwar mit Endosonographie oder kernspintomographisch (MRCP).

Viele bemerken ihre Gallensteine nicht einmal, bei manchen aber führen die Klumpen zu starken Schmerzen und werden gefährlich. Wann sollte die Gallenblase entfernt werden?

Von Gerlinde Gukelberger-Felix

15.01.2015, 09.21 Uhr

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Wenn die galle raus muss

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Entfernte Gallensteine: Die Klumpen können zu Koliken führen

Foto: Corbis

Steinreich klingt nach Diamantenringen, nach einer Yacht im Hafen und Millionen auf dem Konto. Medizinisch gesehen aber steht der Begriff für etwas deutlich weniger Erfreuliches: eine Vielzahl an Gallensteinen, ockerfarbenen, grünen oder weißen Klumpen, die zumeist aus Cholesterin, aber auch aus dem Gallenfarbstoff Bilirubin bestehen, und die Gallenblase bevölkern.

Schätzungen zufolge trägt jeder zehnte Bundesbürger Gallensteine in seinem Körper, nach dem 60. Lebensjahr soll sogar mehr als jeder Zweite betroffen sein. Nicht bei allen führen die Gallensteine zu Beschwerden, die meisten Betroffenen bemerken sie nicht einmal. Bei manchen aber kann es neben Symptomen wie Übelkeit, Brechreiz und Völlegefühl zu schweren Koliken kommen - dem Hauptgrund, Gallensteine zu behandeln.

Gallensteine - eine Zivilisationskrankheit

Eine wichtige Voraussetzung für die Bildung von Gallensteinen ist eine Übersättigung der Gallenflüssigkeit mit Cholesterin. Sinkt das Verhältnis von Gallensäuren zu Cholesterin auf 13:1 ab, fällt das Cholesterin aus wie Zucker in einem überzuckerten Kaffee. Das Risiko dafür steigt durch:- zunehmendes Alter, Übergewicht und Bewegungsmangel.- eine cholesterinreiche Ernährung ebenso wie durch eine ballaststoffarme Nahrung. Diese verzögert die Passage von Speisen im Darm und erhöht dadurch die Cholesterinaufnahme.- Radikaldiäten und Fasten. Beides führt dazu, dass sich die Gallenblase zu selten entleert und die Gallenflüssigkeit eindickt.- den Einfluss von Schwangerschaft und Geburt auf den Umsatz von Geschlechtshormonen wie Östrogene. Diese Hormone kurbeln die Cholesterin-Produktion an.- genetische Stoffwechselstörungen, die die Produktion einer bestimmten Gallensäure vermindern oder die Abgabe von Cholesterin in die Gallenflüssigkeit steigern.- Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes, Leberzirrhose, Schilddrüsenunterfunktion und Überfunktion der Nebenschilddrüse.

Die krampfartigen Beschwerden entstehen, wenn die Klumpen die Gallenblase daran hindern, sich zusammenzuziehen und ihre Flüssigkeit für die Fettverdauung in den Darm abzugeben. Es kommt zu starken Schmerzen im Oberbauch, die mehrere Stunden anhalten und in die rechte Schulter und den Rücken ausstrahlen können. Gleichzeitig steigt das Risiko, dass die Gallensteine zu Komplikationen wie einer entzündeten Gallenblase führen.

Gallenblasen in Deutschland zu häufig entfernt

Wer eine Kolik hatte, dem wird dazu geraten, die Gallenblase entfernen zu lassen. "Prinzipiell können reine Cholesterinsteine mit einem Durchmesser von maximal fünf Millimetern auch medikamentös mit der Gallensäure Ursodesoxycholsäure aufgelöst werden. Wir empfehlen dieses Verfahren wegen der hohen Rückfallrate, das heißt einer erneuten Steinbildung, nicht mehr", sagt Gerd Sauter, Oberarzt an der Medizinischen Klinik II des Klinikums der LMU, München.

Hinzu kommt, dass die Behandlung zwei Jahre und länger dauert und nicht immer hilft. Nur auf besonderen Wunsch des Patienten und nach Aufklärung, dass sich langfristig in der Regel eine Operation nicht wird vermeiden lassen, wird die medikamentöse Steinauflösung laut Sauter überhaupt noch vorgenommen. Nach der operativen Entfernung der Gallenblase besteht hingegen kein Risiko einer erneuten Steinbildung.

Allerdings sollte der Eingriff nur erfolgen, wenn klar definierte Beschwerden bestehen. Eine Studie aus den USA erweckt den Eindruck, dass Mediziner häufiger als notwendig zum Operieren tendieren. Die Untersuchung ergab, dass zumindest in Texas gesunden älteren Gallensteinträgern mit geringem Risiko für eine Kolik häufiger die Gallenblase samt Gallensteinen entfernt wird, nachdem sie erste Beschwerden hatten, als gesunden älteren Patienten mit hohem Risiko.

Auch in Deutschland wird wahrscheinlich zu viel operiert. Eingriffe an dem Organ zählen zu den häufigsten Operationen überhaupt, ihre Zahl ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Während Chirurgen in den Achtzigerjahren in Deutschland etwa 80.000 Gallenblasen pro Jahr entfernten, sind es laut Aqua-Institut heute etwa 175.000 pro Jahr.

"Gallenblase auf keinen Fall vorbeugend entfernen"

Markus Büchler, Direktor der Chirurgischen Universitätsklinik Heidelberg, macht für diese Entwicklung mehrere Faktoren verantwortlich - unter anderen, dass Gallensteine mit modernen und inzwischen weit verbreiteten Ultraschallgeräten viel besser darstellbar sind.

"Wenn der Arzt bei der Untersuchung die Gallensteine entdeckt und dem Patienten das Gefühl vermittelt, dass Gallensteine etwas Schlimmes sind, dann möchte der sie natürlich keinen Tag länger mit sich herumtragen", sagt Büchler. Wie jede Operation birgt der Eingriff jedoch Risiken. "Man muss klar sagen, dass es falsch wäre, eine Gallenblasen-OP nach einem zufälligen Steinbefund oder Beschwerden wie Völlegefühl und Blähungen vorbeugend durchzuführen", so Büchler.

Daneben könne die Gallenblase seit etwa Mitte der Neunzigerjahre minimal-invasiv entfernt werden, das heißt durch drei bis vier kleine Schnitte statt eines Bauchschnitts. "Damit wurde die OP einfacher. Zudem treten weniger Komplikationen auf, was sowohl auf Ärzte- als auch auf Patientenseite die Hemmschwelle für einen Eingriff herabsetzt", sagt Büchler. Auch das könne mitunter dazu führen, dass Gallenblasen unnötig operiert werden.

Koliken, Entzündungen, Tumoren: Gründe für eine OP

Wirklich entfernt werden sollten Gallensteine laut dem Experten nur, wenn sie nach dem Essen zu krampfartigen Oberbauchbeschwerden führen. "Der Patient muss eine eindeutige Kolik schildern können. Und wer mal eine derartige Kolik hatte, vergisst sie nicht", so Büchler. Ein weiterer Grund für eine Operation ist eine Entzündung der Gallenblase. Dann solle das Organ möglichst innerhalb von 24 Stunden herausgenommen werden, rät Büchler.

Sofort Operierte haben laut einer Studie des Mediziners weniger Komplikationen, sind früher wieder fit und können das Krankenhaus schneller verlassen als später Operierte. "Auch wenn jemand eine Porzellangallenblase hat, das heißt die Gallenblasenwand infolge wiederholter Entzündungen stark verkalkt ist, muss die Gallenblase wegen des erhöhten Krebsrisikos entfernt werden", sagt Büchler. Außerdem ist eine Operation notwendig, wenn sich in der Gallenblase Polypen oder Tumoren befinden.

Der Mensch kann laut Büchler gut ohne Gallenblase leben. Die Gallenflüssigkeit gelangt dann von der Leber ohne Zwischenspeicherung direkt in den Zwölffingerdarm. "Nach dem Essen entfällt die mahlzeitgebundene Dusche mit Gallenflüssigkeit", so Büchler. Viele vertragen ihre gewohnte Ernährung nach der Operation trotzdem so gut wie zuvor.

Sonderfall Gallengangsteine

Immer wieder kommt es vor, dass die Gallenflüssigkeit kleinere Steine in den Gallengang spült. "Der Gallengang ist ein enges Röhrchen, durch das eigentlich keine Gallensteine passen. Deshalb können auch in diesem Fall krampfartige Beschwerden auftreten", sagt Büchler. Im Blut steigen dann die Werte für bestimmte Stoffe wie den Gallenfarbstoff Bilirubin an.

Ausgewanderte Gallensteine müssen zumeist endoskopisch entfernt werden, weil das Risiko einer lebensgefährlichen Bauchspeicheldrüsenentzündung besteht. Das sollte laut Büchler möglichst rasch passieren. Eine ausgewogene und vollwertige Ernährung und der allmähliche Abbau von Übergewicht können einer erneuten Gallensteinbildung vorbeugen beziehungsweise deren Bildung verlangsamen.

Mehr Informationen zu Gallensteinen und möglichen Behandlungen finden Sie unter diesem Link auf gesundheitsinformation.de .

Zur Autorin

Wenn die galle raus muss
Wenn die galle raus muss

Gerlinde Gukelberger-Felix ist Diplom-Physikerin und studierte eine Zeit lang Medizin, bis sie sich ganz dem Journalismus verschrieb. Besonders interessant findet sie alle Überschneidungen zwischen Medizin, Physik, Biologie und Psychologie. Sie arbeitet als freie Medizin- und Wissenschaftsjournalistin.

Was passiert mit dem Körper Wenn die Galle entfernt wird?

Die Entfernung der Gallenblase bedeutet keine Einschränkung für den Körper. Die Galle fliesst nun ständig in kleinen Mengen in den Zwölffingerdarm. Die Abgabe einer einmalig grösseren Menge von Gallenflüssigkeit, zur Verdauung besonders fettiger Nahrung notwendig, ist hingegen nicht mehr möglich.

Welche Nachteile hat man ohne Gallenblase?

Vor einer Operation fragen sich viele Menschen, was es bedeutet, ohne Gallenblase zu leben. In der Regel hat der Verlust des Organs aber keine größeren Nachteile. Fehlt die Gallenblase, fließt die gesamte in der Leber produzierte Gallenflüssigkeit ohne Zwischenspeicherung direkt über den Gallengang in den Dünndarm.

Wie lange lebt man ohne Galle?

Wer keine Gallenblase hat, kann ganz normal weiterleben, sofern er sich für heutige Gegebenheiten „normal“ ernährt. Normalerweise reicht die Gallenflüssigkeit, die die Leber frisch produziert, für eine Mahlzeit aus. Bei Menschen, die gern üppig und besonders fett essen, kann es ohne Gallenblase zu Problemen kommen.

Ist es schlimm ohne Galle zu leben?

Sie ist nicht lebenswichtig. Man kann auch ohne Gallenblase leben. Übergewicht langsam abbauen, eine gesunde Ernährung mit viel Obst, Gemüse und Vollkornprodukten sowie Sport lauten die Empfehlungen zur Vorbeugung von Gallenproblemen.