Was passiert wenn das Hirn schrumpft?

Ein schrumpfendes Gehirn hat niemand gerne. Denn eine Verkleinerung des Denkorgans kann schließlich nur mit einer Verringerung der Denkfähigkeit einhergehen.

Doch dass das nicht unbedingt der Fall ist, ja dass sogar das Schrumpfen völlig normal und notwendig ist, haben zwei Wissenschaftlergruppen nun gezeigt. Beide berichten im Fachblatt „Science“ von ihren überraschenden Erkenntnissen.

Es geht im Grunde um die Verbindungsstellen zwischen den Nervenzellen, die sogenannten Synapsen. An diesen Kontaktpunkten übermittelt die eine Zelle Informationen zur nächsten. Synapsen sind also der Ort, der für Hirnforscher besonders interessant sind. Denn wie sich Synapsen bilden, verändern, oder auch zurückbilden, sagt viel über die Funktionsweise des Gehirns aus.

Tests an schlafenden Mäusen

Nun konnte eine Studie in den USA zeigen, dass die Kontaktstellen zwischen Hirnzellen im Wachzustand größer werden und im Schlaf schrumpfen. Um fast 20 Prozent wurden die Kontaktflächen bei schlafenden Mäusen kleiner. Unabhängig davon zeigt ein zweites US-Team in einer weiteren Untersuchung, welche molekularen Mechanismen hinter diesem Prozess stecken.

Die wichtigste Nachricht, die sich aus den Studien ableiten lässt, ist, dass Schlaf für das Festigen erlernter Informationen enorm wichtig ist. Dass die Synapsen im Schlaf kleiner werden, im Fachjargon wird dieser Prozess nicht „Schrumpfung“, sondern „Renormalisierung“ genannt, ist demnach die Voraussetzung für die Aufnahme neuer Informationen, auch wenn die genauen Zusammenhänge unklar sind.

In beiden Studien untersuchten die Teams Areale aus der Hirnrinde von Mäusen. Sie enthält etwa 14 Millionen Nervenzellen, zwei Milliarden weniger als die des Menschen. Jede Nervenzelle kann Dutzende Hunderte Kontaktstellen zu anderen Nervenzellen haben.

Größere Synapsen offenbar nicht betroffen

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Quelle: Die Welt

In der ersten Studie analysierte ein Team um Chiara Cirelli von der University of Wisconsin in Madison die Größe von fast 7000 Synapsen von Mäusen unter dem Elektronenmikroskop. Die Resultate des mehrjährigen Projekts zeigen, dass die Synapsen im Schlaf um durchschnittlich 18 Prozent schrumpfen. Allerdings galt das nur für 80 Prozent der Kontaktstellen. Gerade bei den größten Synapsen fanden die Forscher keine solchen Veränderungen.

Chiara Cirelli spricht in einer Mitteilung ihrer Universität von einem Gleichgewicht der Synapsen im Wachzustand und im Schlaf: „Dass die große Mehrheit der Synapsen im Kortex eine solche Größenveränderung während nur weniger Stunden von Wachen und Schlafen durchläuft, ist bemerkenswert.“ Übertragen auf den Menschen bedeute dies, dass Nacht für Nacht Billionen Synapsen der Großhirnrinde schrumpften, betont ihr Kollege Giulio Tononi.

In der zweiten Studie klärten Forscher um Richard Huganir von der Johns Hopkins University in Baltimore die molekularen Grundlagen dieses Prozesses. Dieses Team konzentrierte sich auf die Vorgänge an den beiden Kontaktflächen, die eine Synapse bilden: Dort sorgen Botenstoffe dafür, dass die Senderzelle Moleküle ausschüttet, die von der nächsten Zelle mithilfe spezieller Rezeptorproteine erkannt werden. So werden Informationen von einer zur nächsten Zelle weitergeleitet.

Diesen Prozess untersuchten die Forscher, indem sie bei Mäusen Synapsen in der Großhirnrinde und im Hippocampus analysierten, beide Areale sind an der Bildung von Erinnerungen beteiligt.

Verkehrspolizei im Gehirn

Bei schlafenden Mäusen lag die Menge der Rezeptorproteine um 20 Prozent niedriger als bei wachen Tieren. „Das deutet darauf hin, dass Synapsen im Mäusehirn etwa alle zwölf Stunden restrukturiert werden“, sagt Huganir.

Eine Schlüsselrolle spielt dabei offenbar das Protein Homer1a, das an der Regulierung von Schlaf- und Wachzustand beteiligt ist. Bei schlafenden Mäusen enthielten die Synapsen im Vergleich zu wachen Tieren 250 Prozent mehr von dem Protein. Bei Mäusen, denen das Protein fehlt, nahm die Zahl der Rezeptorproteine im Schlaf dagegen nicht ab.

Weitere Analysen zeigten, dass Homer1a auf den Botenstoff Noradrenalin reagiert. Bei niedrigen Werten des Botenstoffs, die typisch für die Schlafzeit sind, sammelt sich das Protein in den Synapsen an. Daran ist auch der Stoff Adenosin, Angriffsziel der Kaffeewirkung, maßgeblich beteiligt: Er reichert sich während des Wachzustands im Gehirn an und regt das Schlafbedürfnis an. „Wir glauben, dass Homer1a eine Art Verkehrspolizist ist“, sagt Huganir. „Es schätzt die Werte von Noradrenalin und Adenosin ab, um festzustellen, wann das Gehirn ruhig genug ist, um sich herabzuregulieren.“

Schlaf festigt Erinnerungen

„Unsere Resultate stützen klar die Idee, dass das Gehirn von Mäusen und vermutlich auch von Menschen nur eine bestimmte Menge Informationen speichern kann, bevor es sich wieder neu einstellen muss“, sagt Erstautor Graham Diering. „Ohne Schlaf und die damit einhergehende Neukalibrierung drohen Erinnerungen verloren zu gehen. Das Fazit ist, dass Schlaf nicht einfach nur eine Auszeit für das Gehirn ist.“

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Quelle: Die Welt/ Nora Lenz

In einem begleitenden Kommentar in der Fachzeitschrift „Science“ schreiben László Acsády von der Ungarischen Akademie der Wissenschaften und Kenneth Harris vom University College London, die beiden Studien erlaubten einen Blick in das Nachtleben der Synapsen.

Die Studien lieferten „gute Argumente für eine synaptische Abschwächung im Schlaf und eine Stärkung im Wachzustand, aber es bleiben Fragen offen“, schreiben sie. Dazu zähle insbesondere, welche Funktion der Schrumpfungsprozess genau erfülle.

Potenzierung im Wachzustand

„Die Studien sind fantastisch und liefern überzeugende Daten zur Funktion des Schlafes“, sagt Christoph Nissen vom Universitätsspital Bern, der nicht an den Arbeiten beteiligt war. Der Aufwand für die mehrjährige und extrem aufwendige Studie von Cirelli sei bewundernswert, und die Arbeit der zweiten Gruppe zeige molekulare Ziele für Therapien auf. „Die Plastizität der Synapsen ist an vielen Erkrankungen beteiligt, etwa an Demenz und Depressionen.“

„Beide Studien ergänzen sich“, sagt der Schlafforscher Jan Born von der Universität Tübingen. „Die Forschergruppen haben mit neuen Verfahren verifiziert, dass Nervenzellen im Wachzustand potenziert und im Schlaf renormalisiert werden. Das war bisher nur eine Vermutung.“ Der Experte geht davon aus, dass die Resultate auf den Menschen übertragbar sind und auch für große Teile der Hirnrinde gelten. „Allerdings erklären beide Studien nicht, warum genau die Renormalisierung der Nervenzellen im Schlaf das Erinnerungsvermögen stärkt.“

Was bedeutet es wenn das Gehirn kleiner wird?

Als Hirnatrophie (umgangssprachlich: Gehirnschwund) bezeichnet man einen allmählichen Verlust von Hirnsubstanz. In gewissem Umfang ist ein Rückgang von Volumen und Masse des Gehirns mit fortschreitendem Alter normal, man verliert ab dem 20. Lebensjahr etwa 50.000 bis 100.000 Hirnzellen täglich.

Was tun wenn das Gehirn schrumpft?

Es gehört zum natürlichen Alterungsprozess, dass die Gehirnmasse allmählich schwindet. Eine Untersuchung von Forschern der britischen Universität Oxford und aus Norwegen zeigte: Wenn ältere Menschen täglich Vitamin B einnehmen, kann es das Schrumpfen des Gehirns eindämmen und damit Demenz vorbeugen.

Kann man Hirnatrophie aufhalten?

Die gute Nachricht: Krankheitsmodifizierende MS-Therapien können die MS-bedingte Hirnatrophie vermindern und das Fortschreiten bremsen – sogar bis zu einem Niveau, das dem normalen, altersbedingten Ablauf bei gesunden Menschen entspricht.

Kann das menschliche Gehirn schrumpfen?

Um die Frage gleich zu beantworten: Das Gehirn kann wirklich schrumpfen. Es mag beängstigend klingen, aber durch zu wenig geistig anregende Tätigkeiten, zu viele tägliche Rituale – die das Gehirn nicht fordern – und negativen Verhaltensweisen, wie Drogenmissbrauch, verliert unser Gehirn an Masse.