Was ist der Unterschied zwischen Vorstand und Aufsichtsrat?

Die Relevanz der Führungsstruktur – CEO vs. Vorstandsvorsitzender

Neben den ganzen Finanzdaten und Börsenbewertungen ist ein Aspekt von unglaublicher Wichtigkeit - die Analyse der Qualität der Führungsmannschaft des Unternehmens. Hier wird meiner Ansicht nach nicht genug differenziert, welche Führungsstruktur vorliegt. Wir in Deutschland kennen ja den Vorstand meistens mit einem Vorstandvorsitzenden. Das ist bei Weitem nicht das gleiche wie das amerikanische System des Boards, bei dem Non-Executive´s, also nicht Exekutive und die Exekutiven zusammensitzen. Aber auf den Unterschied zwischen Aufsichtsrat, Vorstand in Deutschland und Amerika und der Schweiz will ich gar nicht hinaus. Nein, ich möchte ganz bewusst auf die wirkliche Führungsspitze, nämlich die Number One, den Vorstandsvorsitzenden oder den CEO zu sprechen kommen. Vielen Geldanlegern ist dieser gigantische Unterschied gar nicht bewusst. Es ist aus meiner Sicht kein Zufall, dass Deutschland ein Exportweltmeisterland ist, während die amerikanischen Firmen der klassische Welteroberer geworden sind. Das hängt meines Erachtens sehr stark mit diesem Unterschied in der jeweiligen Führungsauffassung zusammen.

Was ist der Unterschied zwischen Vorstand und Aufsichtsrat?

Der Chief Executive Officer ist etwas ganz anderes als der Vorstandsvorsitzende. Der Vorstandsvorsitzende ist der „Oberboss“ vom Ganzen; vom kleinsten Detail bis zur großen Linie. Letzten Endes hat er totalen Spielraum und ist meistens, je nach Branche umgeben von einem oder mehreren Vorstandskollegen, die ihm aber untergeordnet sind. Jemand, der z.B. die Produktion beaufsichtigt, den Vertrieb, das Marketing und klassischerweise natürlich auch der Finanzvorstand. Je nach dem Gusto des Vorstandvorsitzendem ist dann der Finanzvorstand eher so eine Art Oberbuchhalter und hat im Prinzip keinen Einfluss auf die großen Entscheidungen und Geschicke der Firma. Er muss das buchhalterisch im Rechnungswesen nachhalten, was die anderen verzapfen. Und diese Machtfülle des Vorstandvorsitzenden, der sowohl für das operative Geschäft und die Zielerreichung verantwortlich ist, ist von außen schwer erkennbar. Im Rahmen dieser Struktur besteht vor allem die Gefahr, dass der Vorstandsvorsitzende sich vollkommen überfrachtet. Denn es sind natürlich große Unterschiede das Weltstrategische auf der einen Seite im Blick zu haben und auf der anderen Seite das Tagesgeschäft zu betreiben; und das alles in einer Person. Das halte ich für sehr, sehr gefährlich.

Das amerikanische System bietet den CEO, den Chief-Executive Officer. Es kann daneben auch den COO geben, den Chief Operating Officer und häufig hat der Chief Financial Officer, der CFO, als Finanzchef eine viel stärkere Rolle. Ich suche nach Firmen, wo man dieses wunderbare Triumvirat hat aus Chief Executive Officer, Chief Operating Officer und dem Chief Financial Officer - CEO, COO und CFO. Diese drei sind in meinen Augen das ideale Führungsgespann für eine Firma, die wirklich global tätig sein will. Und das Besondere, was wir uns in Deutschland gar nicht vorstellen können. Ich habe es damals vor ganz vielen Jahren bei Dow Chemical am eigenen Leib erlebt, welch andere Rolle ein solcher CEO, ein Chief Executive Officer gegenüber einem deutschen Vorstandsvorsitzendem hat. Der richtige CEO ist eine ganz entspannte Natur. Ein Mensch, der an sich permanent auf Reisen sein muss, sämtliche Tochtergesellschaften, Produktionsstädten, große Kunden etc. besucht. In einer wachen, aber gewinnenden Art, um festzustellen wo Topleute im Konzern sitzen, die für Folgepositionen in der Führungsspitze nachrücken können. Ein guter CEO muss sich leider auf die Socken machen. Ganz egal wie anstrengend es bei mehreren Hundert Niederlassungen auch ist: man muss als ein angenehmer Mensch auftauchen. Nicht als ein Dämon aus dem Hauptquartier, sondern als ein Motivator, der aber ganz glasklar kritisch und mit hoher Menschenkenntnis feststellt, wo Probleme liegen. Deshalb ist er immer wieder so, dass besonders auch viele deutsche Arbeitnehmer auf die Amerikaner reinfallen. Sie fallen mit der Duzerei „Oh just call me Bob“ rein und dann ist der CEO, der Bob. Der Bob war doch so nett und lieb… Das hat alles überhaupt nichts mit der eigentlichen Einschätzung zu tun, denn der Bob kommt durchaus zum Ergebnis, dass sie unter Umständen der völlig falsche Mensch auf dem falschen Platz sind. Das heißt dieses Erspüren, was für Leute wir auf Dauer brauchen und wo der nächste richtige Job für unseren Vertriebsleiter ist, der schon seit fünf Jahren in Caracas sitzt, ist eigentlich die wichtigste Hauptaufgabe des CEOs, nachdem er eine lange Laufbahn nach Möglichkeit in der eigenen Firma gemacht hat, genau weiß, was für ein Typ von Mensch erforderlich ist, um in dieser Branche und in dieser Firma zu reüssieren. Daneben muss er natürlich in der Lage sein, die Firma nach außen hin zu vertreten und vor allem aber auf Top-Ebene selbst zu den großen strategischen Entscheidungen zu kommen. Ich würde mal behaupten alle fünf Jahre gibt es große Occasionen einen Konkurrenten aufzukaufen oder ein neues Geschäftsfeld dichtzumachen und dafür ein anderes ranzuholen oder in bestimmten Produktionskapazitäten zu investieren.

Der gute CEO, aufgrund seiner Losgelöstheit vom Tagesgeschäft, muss selbst auf diese Sachen kommen und nicht einfach nur, weil es ihm von irgendwelchen Investmentbankern oder Rechtsanwälten angetragen wird oder weil ihm jemand auf der Non-Executive-Seite in den Hintern kriechen will. So ein Job können vom Typus her nur ganz wenige Leute ausführen, weil es natürlich eine Riesenversuchung ist, dabei zum Faulenzer zu werden: im Prinzip auf Vergnügungsreisen zu gehen. Mein Großvater hat immer gesagt: „Es gibt zwei Typen von Menschen: Den einen können wir um die Welt schicken und er kommt irgendwie anders zurück. Den anderen können wir zwei Jahre um die Welt schicken und er kommt im gleichen Kragen wieder.“ Und er hat Recht. Insofern ist es von außen schwer zu beurteilen. Man muss versuchen mit Insidern zu sprechen, die sagen können was das für einer ist. Ist er einfach nur ein Hans Dampf in allen Gassen, der fröhlich pfeifend durch die Welt marschiert und sich die Hände reibt, dass er jetzt mal sechs Jahre CEO sein kann und nicht den Druck des Tagesgeschäftes hat oder ist es wirklich ein Konzernlenker. Das ist eben nur möglich, wenn der Mensch vom eigentlichen Tagesgeschäft befreit ist und das geht nur, indem er einen ganz starken COO, ein Chief Operating Officer unter sich hat.

Der Chief Operating Officer ist derjenige, der wirklich den ganzen Mist abarbeitet. Er hat je nach Branche den Produktions-, Marketing- und den Vertriebschef bzw. den Leiter Forschung und Entwicklung unter sich. Naturgemäß müssen diese jeweiligen Vorstände oder Geschäftsleiter für die Produktion Egoisten sein. Das müssen im eigentlichen Sinne Fachidioten sein. Ein Produktionschef, der seine Produktion am liebsten vergoldet und in Edelstahl mit besonders großen Kapazitäten haben möchte.
Ein Vertriebschef, der sich die Konditionen so wünscht, dass er bei seinen ganz großen Kunden möglichst gut durch die Tür kommt. Ein Marketingmensch, der an sich natürlich vollkommen produktverliebt ist und sich viel wohler fühlt, wenn er bei Werbeagenturen sitzt, weil da alles viel cooler und eleganter ist. Mit denen versteht er sich viel besser, als mit dem blöden Chief Financial Officer der eigenen Firma, der eben ständig mit den Kosten kommt. Also das sind alles Leutchen, die enorm gut auf ihrem Feld sein müssen, aber für die eigentliche Firmenleitung untauglich sind, weil sie Ressourcen-Egoisten sind. Und diese Ressourcen-Egoismen kriegt man nur durch einen  knallharten Chief Operating Officer ausgeglichen - durch ein COO, der eben diese Leute mit den Grabenkriegen. Zudem sieht er, wie die ständig präsenten Feuerstellen am Kokeln sind. Wie er die Löschen kann, damit die Firma jeden Tag ihr Soll erfüllt.

Als dritte Person in dem Triumvirat brauchen wir den Chief Financial Officer, der eben eine ganz starke Person ist. Der nicht bei den Börsen geführten Firmen vor den Analysten in die Knie geht. Der vor allem proaktiv wirklich die Finanzen führt und allen klarmacht, was sich bei all den Vorschlägen rechnet und was nicht. Der CFO hat maßgeblichen Einfluss in der Ausrichtung der Firma, nur solche Dinge anzugeben, die langfristig in eine Profitabilität führen. Man denkt immer, das sei automatisch so. Das ist es aber keineswegs. Die Personen, die in einer Branche arbeiten - sind branchenverliebt und machen Dinge, die die Branche gerne sehen möchte. Ob sich damit eigentlich ein Haufen Geld verdienen lässt, steht auf einem ganz anderen Blatt, ist aber letzten Endes entscheidend. Für mich ist es eindeutig: Die Tatsache, dass wir in den USA viel mehr hochprofitable börsennotierte Firmen finden als in Deutschland und manch anderem europäischen Land hängt in meinen Augen damit zusammen, dass es dort deutlich mehr Firmen gibt, die in diesem Triumvirat stehen. Sie arbeiten mit diesem starken CEO. Ganz kritisch sehe ich es, wenn ich bei amerikanischen Firmen feststelle, dass der CEO, gleichzeitig auch der CFO und COO ist. Also so eine Titel-Agglomeration mag ich gar nicht.

Bei der Aufteilung schaue ich mir natürlich auch die Personen an. Der Chief Operating Officer muss ein durchsetzungsstarker Mensch sein. Der CEO muss eher ein ganz gerissener Diplomat sein und darf durchaus auch ein Showman sein. Der Chief Financial Officer muss bei aller Introvertiertheit in der Lage sein, die Firma gegenüber der Finanzwelt stark zu vertreten. Das gehört zu einer börsengelisteten Firma dazu und es ist falsch, wenn das nur der CEO macht. Der Chief Financial Officer ist letzten Endes der Botschafter der Firma, also des Unternehmens, bei dem sie investiert sind. Er muss der Botschafter sein und es schaffen, dass  auch der letzte Pensionskassenmanager in Kalifornien, Tokyo und in Oslo kapiert, warum unsere Firma eine Top-Firma ist, wie sie eigentlich funktioniert oder warum gewisse Zahlen schlecht aussehen, in Wirklichkeit aber gut sind. Die Herausforderung ist eben, dass in dieser jeweiligen Jobbeschreibung Bandbreite riesig ist. Das sind Topleute die niemand zwingt und denen keiner sagt, wie der Tagesablauf auszusehen hat. Sie haben längst den Aufstieg ihrer Karriereleiter hinter sich, d.h. es hängt wirklich von der Motivation des Einzelnen ab und deshalb ist es eben auch mühsam, Top-Firmen zu finden. Aber es lohnt sich sehr und wenn Sie sich mal wirklich Firmen anschauen, die über zehn, zwanzig Jahre permanent per Saldo erfolgreich sind und wo Sie auf Dauer als Aktionär einfach nur verdient haben, werden Sie meistens feststellen, dass es mit dieser Struktur zu tun hat. Und ich muss ehrlich sagen, ich bin überhaupt nicht begeistert von dem deutschen System, dieses dominanten allround Königs des Vorstandsvorsitzenden, der dies letzten Endes in der Fülle überhaupt nicht abdecken kann.

Viel Erfolg!

Der Autor Dr. Markus Elsässer ist seit 1998 selbstständiger Investor und Fondsberater sowie Gründer der ME-Fonds, die er seit mehr als 17 Jahren betreut. In seinem "Des klugen Investors Podcast" geht er regelmäßig auf Handwerkszeug zum Value-Investing, psychologische Gefahren beim Investieren und wertvolle Tipps zum Vermögensaufbau ein. Dieser Artikel ist in Anlehnung an Episode 6 entstanden.