Was ist der unterschied zwischen konventionnellen und virtuellen kraftwerken

Javier Flores, Leiter Energiehandel bei Mark-E in Hagen | Javier Flores, Leiter Energiehandel bei Mark-E in Hagen: Werden Geld als Broker der Energiewende verdienen.

Mit virtuellen Kraftwerken wollen sich Stadtwerke und kommunale Regionalversorger neue Geschäftsfelder zu erschließen. Ein Gespräch mit dem Leiter des Energiehandels und einem Experten der Strom-Direktkvermarktung beim Hagener Energieversorger Mark-E. Das Tochterunternehmen des regionalen Energiekonzerns Enervie betreibt ein virtuelles Kraftwerk mit 1.350 Megawatt (MW) angeschlossener Leistung aus erneuerbaren Energien, davon 1,150 MW Windkraft.

Was ist das Besondere an Ihrem Geschäftsmodell eines Virtuellen Kraftwerks verglichen mit ähnlichen Projekten von anderen Stadtwerken oder regionalen Versorgern?

Was ist der unterschied zwischen konventionnellen und virtuellen kraftwerken

© Foto: Mark-E

Sebastian Kratz, Enervie | Sebastian Kratz, Mark-E Energiehandel, zuständig für die Bereiche Direktvermarktung und Regelleistung.

Sebastian Kratz (Mark-E Energiehandel, zuständig für die Bereiche Direktvermarktung und Regelleistung): Ein großer Unterschied ist sicherlich, dass wir das virtuelle Kraftwerk als komplett neues Konzept umsetzen. Wir haben unseren konventionellen Kraftwerkspark zur Stilllegung angemeldet. So war es für uns ein logischer Schritt, in Richtung virtuelles Kraftwerk zu gehen, weil wir die Kompetenzen und das Know-how haben, um dieses erfolgreich zu bewirtschaften. Wir betreiben seit über 100 Jahren Kraftwerke, und im Endeffekt ist es nichts anderes, einen Zusammenschluss kleinerer Kraftwerke oder einen großen Kraftwerksblock zu optimieren. Natürlich sind kleine Kraftwerkseinheiten aufwändiger zu betreuen. Aber im Endeffekt geht es darum, dass wir die Rahmenbedingungen kleinerer Kraftwerkseinheiten kennen. Innerhalb dieser Rahmenbedingungen können wir kleinere Kraftwerke genauso optimieren wie große. Wir unterscheiden uns von anderen Anbietern, weil diese entweder mit virtuellen Kraftwerken komplett auf der grünen Wiese angefangen haben – also von Null – oder weil sie virtuelle Kraftwerke nur als Zubrot zum normalen Kraftwerkspark sehen und weiter an ihren Großkraftwerken festhalten. Wir haben da einen deutlich größeren Cut vollzogen.

Einen Großteil der Erlöse im virtuellen Kraftwerk dürften Sie durch die Direktvermarktung erzielen, richtig?

Kratz: Wir können eine Vielzahl von Produkten im Geschäftsfeld virtuelles Kraftwerk bündeln. Sicherlich ist da zunächst die Direktvermarktung. Aber wenn die Direktvermarktung als Einnahmequelle vielleicht einmal nicht mehr ist, weil sie sich aufgrund noch weiter reduzierender Margen oder Gesetzesänderungen nicht mehr lohnen sollte, wird es andere Möglichkeiten für sie geben. Da liegt dann am nächsten die Regelleistung. Freilich ist der Regelenergiemarkt im Moment nicht mehr so interessant, weil die Preise hier ebenfalls stagnieren oder gar sinken. Aber es wird neue Produkte geben, weil der Markt immer kurzfristiger werden wird: Früher machten wir uns bei der Stromvermarktung Gedanken über die nächsten Monate und Tage. Jetzt machen wir uns Gedanken über die nächste Viertelstunde, was da im Stromnetz bei Einspeisung und Verbrauch passieren kann.

"Wollen unsere thermische Erzeugung stilllegen"

Denken Sie, dass ein virtuelles Kraftwerk das wegfallende Umsatzvolumen Ihrer konventionellen Kraftwerke ersetzen kann?

Kratz: Kurzfristig sicherlich nicht. Die ganzen Erzeugungseinheiten im virtuellen Kraftwerk gehören uns ja nicht. Wir nehmen ein Dienstleistungsentgelt. Ein konventionelles Kraftwerk hat einen Spread abhängig von den eingesetzten Brennstoffen, bei uns Commodity genannt, und dem Strompreis. Bei einem Dienstleistungsvertrag hat die eingesetzte Commodity hingegen für uns keine Relevanz. Jede eingespeiste Kilowattstunde ist für die Dienstleistung im virtuellen Kraftwerk homogen. Für ein Kohlekraftwerk haben wir einen ähnlichen Dienstleistungsvertrag wie für einen Windpark.

Javier Flores (Leiter Mark-E-Energiehandel): Das ist der Punkt. Wir erleben eine Zeitenwende in der deutschen Energiewirtschaft. Bislang haben wir thermische Erzeugung gehabt. Enervie hat aber entschieden, bis 2018 alle thermischen Anlagen schrittweise stillzulegen. Lediglich für das Gas- und Dampfturbinenkraftwerk in Herdecke wird aktuell mit dem Projektpartner Statkraft noch die weitere Zukunft der Anlage beraten. Entsprechend werden diese Spread-Ergebnisse aus diesen thermischen Anlagen voraussichtlich nicht mehr kommen.

… Wobei seit fünf Jahren stark fallende Kohlepreise für abgeschriebene Kohlekraftwerke hervorragende Ergebnisse einbringen.

Flores: Nein, das stimmt unseres Erachtens so nicht. Die kommerzielle Bewirtschaftung dieser Kraftwerke ist aufgrund der stark zurückgehenden Strompreise nicht mehr gegeben. Deswegen haben wir hier uns entschieden, dass wir uns mehr in Richtung des Anbietens von Dienstleistungen positionieren. Das ist das Neue, auch für eine Energiehandelseinheit. Die Energiehandelseinheit war bei großen Energieversorgern klassischerweise die Drehscheibe zum Großhandelsmarkt und einzig für die interne Erzeugung und den internen Vertrieb zuständig. Nach und nach aber ist das Neugeschäft mit Dritten hinzugekommen. Wir haben seit 2012 dieses Geschäftsfeld auf dem Markt positioniert, weil wir den Energiehandel auch als strategische Komponente sehen.

Was ist der unterschied zwischen konventionnellen und virtuellen kraftwerken

© Foto: Mark-E

Mark-E-Windpark Schöneseiffen | Mark-E-Windpark Schöneseiffen: Der Windpark in der Eifel aus ursprünglich 18 Windenergieanlagen von GE mit je 1,5 Megawatt ist 2015 repowert worden. 13 Enercon-Turbinen vom Typ E-101 mit drei MW ersetzten 12 der alten Anlagen. Mark E betreibt selbst Windenergieanlagen mit einer Leistung von 40 MW Windkraft sowie ein Wasserkraftwerk mit 5 MW. Der Hagener Versorger gehört zum Energiekonzern Enervie. Er verfolgt weitere Ausbaupläne für Windkraft, die sich auf das Kernversorgungsgebiet Enervies im Süden Nordrhein-Westfalens bezhiehen. Vor allem aber das virtuelle Kraftwerk mit 1.350 MW angeschlossener Leistung überwiegend aus Windkraft ist das zentrale Instrument für Mark-E für den eigenen Wandel. Zugleich hat das Unternehmen beschlossen, die eigenen konventionellen Kraftwerkskapazitäten schrittweise bis 2018 abzubauen.

Erste eigene virtuelle Kraftwerke haben große Energieversorger in Angriff genommen. Denn diese hatten die personellen und technischen Kapazitäten für den Betrieb dieser Steuerungseinheit. Sie haben Netzeinrichtungen zum Betrieb eines Smart Grids in Ergänzung zum virtuellen Kraftwerk, haben schon einen großen Handelsfloor. Warum waren Sie als regionaler Versorger dennoch so früh dabei?

Kratz: Im Regelleistungsmarkt haben wir die Steuerung externer Einheiten schon früher durchgeführt. Hier startete Mark-E 2003 – anfangs für eigene Kraftwerkseinheiten. 2007 hatte Mark-E als erster Anbieter die Regelleistung auch externer Kraftwerke vermarktet. Dann haben wir erneuerbare Energien integriert. Und daraus ist schließlich das sogenannte virtuelle Kraftwerk entstanden. Virtuelles Kraftwerk ist dabei kein geschützter spezifischer Begriff. Jeder kann seine digitale Steuerungseinheit für die Direktvermarktung so nennen. Meiner Meinung nach hatten wir schon damals wirklich ein virtuelles Kraftwerk. Nur ist es mit den dezentralen Erzeugungseinheiten heute noch kleinteiliger. Fest steht: Zum Start der optionalen Direktvermarktung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz im Jahr 2012 waren wir dabei. Aber schon 2011 haben wir mit dem damaligen Tochterunternehmen von Mark-E, der Lekker Energie, das heute im EEG wieder abgeschaffte Grünstrommarktmodell betrieben und so relativ früh am Geschäft teilgenommen.

An Verbrauchsverhalten der Großkunden ran

Welche Einsatzbereiche virtueller Kraftwerke werden künftig wichtiger: Die Direktvermarktung? Die so genannte Bilanzkreisbewirtschaftung? Die von Ihnen erwähnten Dienstleistungen verbunden mit weiteren Angeboten?

Kratz: Die Direktvermarktung ist aktuell auf sehr hohem Niveau. Aber sie ist natürlich heute auch gefördert – und man muss sehen, wie die Fördersituation weiter geht. Die Dienstleistungsentgelte werden immer geringer werden. Kommerziell wird daher immer mehr der Fokus in den Verbraucherbereich gerichtet. Heute ist es so, dass die meisten Vertriebe der Stromversorger nicht wissen, was mit ihren Großkunden im Kurzzeitbereich los ist. Sie wissen nicht, wie diese Kunden kurzfristig Strom beziehen. Um dem täglichen Bedarf dieser großen Firmen näher zu kommen, machen die Versorger Prognosen. Aber was so ein Kunde tatsächlich abnimmt, können sie nicht wissen. Den Mehrwert zu heben, dass man mehr Informationen über die Kurzfristigkeit auf Verbraucherseite hat, wird immer elementarer für die Intraday-Optimierung, aber auch für die Optimierung der Vertriebstätigkeit.

Aber wo soll denn da Geld für Sie herausspringen?

Kratz: Wir haben weniger Ausgleichsenergiekosten, wenn wir genau wissen, was unsere Kunde machen. Da müssen wir nicht für ihn eine Risikokomponente für Ausgleichsenergiekosten berücksichtigen.  Wir können dem Großkunden dann das Stromprodukt nicht nur deutlich günstiger anbieten, sondern ihm irgendwann vielleicht Strom fast kostenfrei zur Verfügung stellen, weil wir seinen Stromverbrauch zusätzlich steuern können – das sogenannte Demand Side Management. Dann haben wir einen Mehrwert: Im Intraday-Markt bekämen wir eine verschiebbare Last. Diese  Last ist vielleicht irgendwann mehr wert als ein reiner Stromabnahmevertrag..

Es ist aber doch Zukunftsmusik, alle dem Stromvertrieb verfügbaren Verbrauchsdaten in die Stromvermarktung einfließen zu lassen und steuernd einzugreifen!?

Kratz: Sicherlich. Technisch gesehen können wir es jetzt schon. Man muss allerdings auch Kunden finden, die so etwas machen möchten – ihren Verbrauch in das virtuelle Kraftwerk einbringen. Das ist sicherlich kein einfaches Thema. Es muss, wie in der Vergangenheit für das Regelleistungsthema erst Akzeptanz gewonnen werden. Damals musste man die Kraftwerksbetreiber überzeugen. Mittlerweile ist Regelenergie kein umstrittenes Thema mehr. Diese Akzeptanz für die Eingriffe durch das Demand Side Management  ist auf Seiten der Industrieunternehmen sicherlich noch nicht so gegeben.

Das virtuelle Kraftwerk ist bei Mark-E "zentraler Baustein"

Haben Sie ein mittelfristiges wirtschaftliches Ziel für das virtuelle Kraftwerk?

Flores: Das virtuelle Kraftwerk ist ein zentraler Baustein nicht nur im Energiehandel. Es wird ein komplementäres Geschäftsfeld zur Beibehaltung von Großkunden sein. Wir haben bei Enervie einen Wachstumspfad im Bereich der großen Kunden unserer Region ausgerufen. Wir werden natürlich alle Möglichkeiten, die wir hiermit sehen, mit dem virtuellen Kraftwerk verbinden. Warum? Weil wir dieses Geschäftsfeld der Verbrauchssteuerung als kommerziell interessant ansehen. Wir haben Ende vergangenen Jahres mit Kunden Abschlüsse für Pilotprojekte erreicht. Wenn das kommerziell interessant ist und wir es auch von der technischen Seite her geprüft haben, wollen wir es auf andere Großkunden ausrollen. Die Pilotphase bezieht sich auf 10 bis 15 Megawatt Last bei drei bis vier großen industriellen Endkunden. Wir testen die Verbrauchssteuerung, verbunden mit zwei Zielen: Wir wollen die Ausgleichsenergie in der Stromvermarktung reduzieren, auch durch bessere Prognosegüte. Und wir wollen zweitens die Möglichkeiten von Lastverschiebung nutzen, die im Intraday-Markt umgesetzt werden können. Denn klar ist: der Markt für Intraday wird wachsen und die Volatilitäten darin auch. Mit dem Ausbau der Erneuerbaren werden die Erneuerbare-Energien-Anlagen mit mehr und mehr Leistung in den Markt reingehen – mit einer vor allem wetterbedingt beeinflussten Einspeisung. Hieraus kann nur folgen, dass der Wert von Flexibilitäten auf Verbraucher- wie auch auf Erzeugerseite im Zeitablauf ebenso steigen wird, systembedingt.

Werden Sie so vom Energieerzeuger zum Energiebroker?

Flores: Ja, ein Energiebroker im kurzfristigen Markt. Das ist systembedingt so.

Das Gespräch führte Tilman Weber. Lesen Sie mehr über das Thema virtueller Kraftwerke in der Hand von Stadtwerken in der Titelgeschichte der nächsten gedruckten Ausgabe von ERNEUERBARE ENERGIEN. Sie erscheint am 15. Februar und ist auch am Kiosk großer Bahnhöfe zu erhalten.