Stegner tritt 2022 als chef der nord-spd ab

Ralf Stegner wird nicht mehr für den SPD-Landesvorsitz in Schleswig-Holstein kandidieren. Der Grund: Die "beklemmende Lage" der SPD. Ganz zurückziehen wird er sich aber nicht.

Schleswig-Holsteins SPD-Chef Ralf Stegner tritt 2019 nicht noch einmal für das Spitzenamt an. Das gab der 58-Jährige am Montag in seinem Brief an die Parteimitglieder im nördlichsten Bundesland an. Die Entscheidung sei ihm nicht leicht gefallen. Der Entschluss habe schon seit einigen Monaten festgestanden.

Die "beklemmende Lage" der Bundespartei

Als Grund für seinen Verzicht auf eine neuerliche Kandidatur nannte Stegner die "beklemmende Lage" der Bundespartei. "Ich kann als Teil der Führung nicht zugucken, wie wir von Häme, Angriffen und Mitleid begleitet diese große Partei treiben lassen", sagte er. An diesem Zustand wolle er etwas ändern. Dies erfordere mehr Zeit und Kraft.

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Zugleich kündigte er an, er unterstütze die bislang einzige Kandidatin für seine Nachfolge, die stellvertretende Landtags-Fraktionschefin Serpil Midyatli. Den Posten des Fraktionsvorsitzen im Landtag will Stegner behalten.

Stegner tritt 2022 als chef der nord-spd ab
Stegner tritt 2022 als chef der nord-spd ab

Die SPD-Politikerin Serpil Midyatli: Ihr Chancen Ralf Stegner als SPD-Landeschef zu beerben, sind groß. (Quelle: dpa-bilder)

Es sei "die Zeit gekommen, dass andere zeigen, was sie können", sagte Stegner. Midyatli sei "eine, die ganz viel kann". Die 43-Jährige werde es verstehen, "wie eine Löwin mit Herz und Verstand" für die Inhalte und das Profil der SPD zu kämpfen.

Nach der dritten Niederlage wurde die Kritik lauter

Stegner war zuletzt in die Kritik geraten, weil die SPD bei der Kommunalwahl im Frühjahr bereits die dritte Niederlage nach der Landtagswahl im Mai 2017 und der Bundestagswahl im Herbst vergangenen Jahres in Folge einstecken musste. Die Sozialdemokraten rutschten im Mai landesweit um 6,5 Punkte auf 23,3 Prozent ab und landeten weit hinter der CDU (35,1).

Stegner ist seit März 2007 Landeschef der Nord-SPD. Außerdem ist er stellvertretender Bundesvorsitzender und seit 2008 Fraktionschef im Landtag in Kiel. Zuvor war Stegner von 2003 bis 2005 Finanzminister und anschließend bis 2008 Innenminister des nördlichsten Bundeslandes.

"Should I Stay or Should I Go?"

Seine mögliche Nachfolgerin, die 43-jährige Midyatli, hat türkische Wurzeln. Sie ist seit 2009 Landtagsabgeordnete und inzwischen stellvertretende Fraktionschefin. Als Politikerin hat sich die Mutter von zwei Söhnen bisher auf die Themen Migration und Integration sowie Familienpolitik konzentriert.

Ursprünglich wollte sich Stegner erst Ende Oktober über seine politische Zukunft im Landesverband äußern. Nach der Kandidatur Midyatlis Ende August hatte die Debatte in der SPD um die Parteispitze aber Fahrt aufgenommen. In seinem morgendlichen Musiktipp hatte Stegner bereits einen Hinweis getwittert. Er empfahl von der britischen Band The Clash den Song "Should I Stay or Should I Go?" – sollte ich bleiben oder soll ich gehen?

Der schleswig-holsteinische SPD-Landeschef Ralf Stegner kommt seiner Abwahl zuvor und verzichtet auf eine erneute Kandidatur. Er will sich mehr in Berlin engagieren.

Stegner tritt 2022 als chef der nord-spd ab

Der Ex und seine voraussichtliche Nachfolgerin: Ralf Stegner und Serpil Midyatli Foto: dpa

HAMBURG taz | Schon der morgendliche Post ließ aufhorchen. Wie jeden Tag zu früher Stunde schickte der schleswig-holsteinische SPD-Landeschef am Montagmorgen, Punkt 6.52 Uhr, seine täglichen „Grüße aus Bordesholm“ an die Facebook-Gemeinde und versah sie mit seinem täglichen Musiktipp, den er schon öfter als Tagesdeutung genutzt hatte. Diesmal sollten es The Clash sein mit dem Titel „Should I stay or should I go?“

Acht Stunden später erklärte Ralf Stegner, er werde im kommenden März nicht erneut als Landesvorsitzender der schleswig-holsteinischen SPD antreten. Zwölf Jahre hatte Stegner, der auch Chef der SPD-Landtagsfraktion ist, das Amt dann inne.

In der persönlichen Erklärung zu seinem Rücktritt betont Stegner, die Entscheidung, nicht erneut für den Landesvorsitz zu kandidieren, sei ihm „nicht leicht gefallen“, doch wolle er „keineswegs in den politischen Ruhestand gehen“. Stattdessen wolle er als stellvertretender Bundesvorsitzender die bundesweite Erneuerung der SPD stärker vorantreiben.

Während im Berliner Willy-Brandt-Haus die Kampfansage des ausgewiesenen Parteilinken mit gemischten Gefühlen aufgenommen wurde, machte sich in der Kieler SPD-Zentrale – nachdem ein paar pflichtschuldige Abschiedsworte formuliert waren – Erleichterung breit. Erleichterung darüber, dass der omnipräsente Parteichef die Zeichen der Zeit verstanden hat und nun aus Eigeninitiative seinen Stuhl räumt, an dessen Beinen die Genossen schon lange sägten.

In Schleswig-Holstein galt Stegner in den vergangenen Jahren als Antithese zur grünen Charmeoffensive von Robert Habeck

Denn Stegner ist in der SPD, und nicht nur hier, seit Langem höchst umstritten. Stegner ist alles andere als ein Sympath, dem die Herzen potenzieller WählerInnen zufliegen. Er gilt seiner Partei als „der Mann, mit dem man keine Wahlen gewinnt“, weil er das Sauertöpfische, das seine Aura stets umgibt, nie abstreifen konnte. Der 58-Jährige gilt als der einzige deutsche Politiker, der seine Mundwinkel noch tiefer hängen lassen kann als die amtierende Kanzlerin.

Was immer Stegner mitzuteilen hat: Es kommt stets mit oberlehrerhafter Attitüde daher, schneidend und undiplomatisch. Und trotz hoher Medienpräsenz versteht es der gebürtige Pfälzer bis heute nicht, mit der Kamera zu flirten – sein stechender Blick droht eher das Objektiv zu zerstören. Mit diesem Auftreten galt Stegner in den vergangenen Jahren in Schleswig-Holstein als Antithese zur grünen Charmeoffensive von Robert Habeck, der in den letzten Jahren im nördlichsten Bundesland und darüber hin­aus zum Polit-Popstar aufstieg.

Schlimmer aber als Stegners Imageproblem ist für die Genossen, dass Stegner in der schleswig-holsteinischen SPD von oben durchregierte und sich selbst auch nach derben Wahlschlappen nie ernsthaft infrage stellte. Als die schleswig-holsteinische SPD im Mai 2017 die Landtagswahl in den Sand setzte, war Stegner in der SPD der Erste, der den Spitzenkandidaten Torsten Albig öffentlich demontierte und der Einzige, der der Auffassung war, die Niederlage habe mit ihm selbst rein gar nichts zu tun.

Die Zeichen der Zeit

Spätestens seit der Kommunalwahl, bei der die SPD um 6,5­Prozentpunkte auf 23,3 Prozent abrutschte, wird an dem Rückzug Stegners gearbeitet. So forderte Flensburgs Oberbürgermeisterin Simone Lange (SPD), die Neuwahl zum Landesvorstand im kommenden Jahr vorzuziehen und für eine „personelle Erneuerung“ zu nutzen. „Es wäre der letzte Dienst, den er unserer Partei erweisen kann, wenn er endlich zurückträte“, ätzte Ex-Innenminister Andreas Breitner nach dem Wahldesaster in Richtung des Genossen. Stegner führe die Nord-SPD „wie eine Ich-AG, die einzig und allein seinem Machterhalt“ dient.

Als mit der stellvertretenden Fraktionschefin Serpil Midyatli am 25. August eine Gegenkandidatin ihren Hut in den Ring warf, war klar, dass sich der Parteichef kaum würde halten können. Stegner verwarf seine Ankündigung, sich erst im Oktober zu einer erneuten Kandidatur zu äußern, und zog die Reißleine. Der Politologe ist Machtpolitiker genug, die Zeichen der Zeit zu erkennen. Statt abgewählt zu werden, sicherte er Midyatli seine Unterstützung zu und lobte sie über den grünen Klee.

Am Tag nach seiner Verzichtserklärung versah der SPD-Mann seine Facebook-Grüße aus Bordesholm mit dem Musikclip „Herz über Kopf“. In dem Song von Joris heißt es: „Und immer wenn es Zeit wird zu gehen, vergess ich, was mal war, und bleibe stehen. Das Herz sagt: bleib, der Kopf schreit: geh.“

Ralf Stegner hat diesmal auf seinen Kopf gehört.

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Leser*innenkommentare

  • agerwiese

    06. 09. 2018, 18:16

    Ja der Habeck... der sieht immer gut und nett aus - vor einem Windrad oder unter dem Hermannsdenkmal...