Hurra die Welt geht unter politischer Hintergrund

"Was?! Du kennst das nicht? Sekun­de, ich such' dir das mal raus." Und schon öff­net sich die Plat­ten­kis­te. Wer kennt die­sen Moment nicht? Man redet über Musik und auf ein­mal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem:einer Künstler:in oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzu­fan­gen weiß. Und plötz­lich hagelt es Lob­prei­sun­gen, Hass­ti­ra­den oder Anek­do­ten. Gera­de dann, wenn der:die Gesprächspartner:in ins Schwär­men ver­fällt und offen zeigt, dass ihm:ihr das The­ma wich­tig ist, bit­tet man nicht all­zu sel­ten um eine Kost­pro­be. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Per­son so sehr am Her­zen zu lie­gen scheint. In die­sem Fall – was uns so sehr am Her­zen liegt: Ein Aus­zug aus der Musik, mit der wir etwas ver­bin­den, die wir fei­ern, die uns berührt. Ein Griff in unse­re Plat­ten­kis­te eben.

 

Am 26. Sep­tem­ber wird der 20. Deut­sche Bun­des­tag gewählt. Eines der zen­tra­len The­men im Wahl­kampf ist der Kampf gegen den Kli­ma­wan­del. K.I.Z haben sich bereits 2015 mit Unter­stüt­zung von Hen­ning May der Fra­ge ange­nom­men, wie die Welt nach einer gro­ßen Kata­stro­phe aus­se­hen könnte.

Zwar geht es in "Hur­ra die Welt geht unter" nicht expli­zit um die Kli­ma­kri­se, aber die Jungs beschrei­ben ein Sze­na­rio, wie das mensch­li­che Zusam­men­le­ben nach einem Zusam­men­bre­chen der Zivi­li­sa­ti­on aus­se­hen könn­te. Die Inten­ti­on ist zunächst, Kri­tik an aktu­el­len Gesell­schafts­for­men und Insti­tu­tio­nen wie der Kir­che und Nest­lé aus­zu­üben. Es wird beschrie­ben, wie Natio­na­li­tä­ten kei­ne Rol­le mehr spie­len, weil Päs­se ver­brannt wer­den. Bibeln dik­tie­ren nicht mehr das Mit­ein­an­der, der Papst ist nur noch eine Figur aus Gru­sel­ge­schich­ten. Äpfel und Toma­ten schme­cken so, wie sie schme­cken sol­len. – Obwohl die Dys­to­pie wie eine Uto­pie geschil­dert wird, ist das eigent­li­che Sze­na­rio auch ohne die posi­ti­ve Wer­tung zu betrach­ten. Leer­ste­hen­de, ein­ge­stürz­te Hoch­häu­ser. Städ­te, die nicht mehr exis­tie­ren. Zahl­rei­che Tote, die zwar nur zwi­schen den Zei­len ange­deu­tet wer­den, aber eine kla­re Dezi­mie­rung der Popu­la­ti­on mit sich zie­hen. Alles in allem eben eine Apokalypse.

Wel­che Par­tei das bes­te Pro­gramm gegen die dro­hen­de Kli­ma­kri­se hat, muss jede:r selbst für sich ent­schei­den, auch wenn offen­sicht­li­che Dis­kre­pan­zen zwi­schen den Ent­wür­fen vor­lie­gen. Ernst zu neh­men ist die The­ma­tik aber in jedem Fall. K.I.Zs "Hur­ra die Welt geht unter" ist ein Extrem­bei­spiel, was im Kata­stro­phen­fall pas­sie­ren kann. Und so posi­tiv das Sze­na­rio auch geschil­dert wird, am Ende ist es das eben nur für die Überlebenden.

(Micha­el Collins)

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Hip-Hop war und ist sehr politisch. Schon in der Entstehungsgeschichte steckt Politik darin, und Rap wurde nicht ohne Grund lange Zeit als Ghetto-Nachrichtensender bezeichnet. Auch in Frankreich stellen Rap-Songs nicht selten Kritik am politischen System dar oder geben Jugendlichen aus den „Banlieues“ eine Stimme. In den USA ist es genauso: Dort wie hier werden soziale Missstände oder Diskriminierung thematisiert. Menschen, die sonst kein Teil des Systems sind, nicht gehört werden oder sich nicht äußern können, bekommen durch Rap ein Sprachrohr. Rap ist nicht selten Protestmusik und das Anprangern von Missständen.

Früher spiegelten Texte über Drogen, Armut oder Kriminalität den Alltag der schwarzen Unterschicht – der die Rapper selbst angehörten – wider. Welche Probleme werden heute thematisiert?

In Deutschland sind die AfD, Fremdenhass, Migration oder Asyl Themen, die explizit behandelt werden. Natürlich hängt es stark von den Künstlern ab. So gibt es beispielsweise Künstler, die sich dezidiert politisch äußern und zum Beispiel sogenannte Diss-Tracks gegen die AfD aufnehmen. Es gibt Künstler, die von ihrer Lebensrealität sprechen, da geht es dann schnell mal um Abschiebehaft oder den Aufenthaltsstatus. Weltweit geht es um soziale Ungerechtigkeiten, „racial profiling“, Tages- oder Mediengeschehen sowie Kriege und Konflikte. Rap ist ein Spiegel der Gesellschaft und bildet alle Facetten ab.

Ist Hip-Hop wegen dieser politischen Statements international so erfolgreich oder eher trotz der politischen Inhalte?

Erfolgreiche Rapper sind nicht zwingend sonderlich politisch. Allerdings hat Rap-Musik einen beispiellosen Siegeszug hinter sich, zum Teil gerade wegen politischer Inhalte. Künstler wie Kendrick Lamar, der sich stark mit der „Black Life Matters“-Kampagne solidarisiert, sind nicht nur, aber auch wegen ihrer politischen Inhalte international so erfolgreich. In den USA gab es eine komplette Tour von Rap-Künstlern, die sich gegen Donald Trump positionierten.

Auch in Deutschland gibt es Künstlerinnen und Künstler, die – zumindest zu einem Teil – politische Inhalte nutzen und damit kommerziell erfolgreich sind. So prangert beispielsweise der Frankfurter Rapper Haftbefehl soziale Missstände in Deutschland an.

Politische Inhalte können auch als Marketinginstrument genutzt werden.

Im Rap ist allerdings häufig die Form entscheidender als der Inhalt. Ein bestimmtes Image, gute Technik oder Beats sind dann wichtiger als die Botschaft. Eigenschaften, die politischer Rap hierzulande manchmal vermissen lässt. K.I.Z. ist zum Beispiel eine sehr politische Gruppe mit großem kommerziellen Erfolg und schafft den Spagat zwischen Inhalt und guter Technik. Die rappen dann Zeilen wie „Denkt ihr, die Flüchtlinge sind in Partyboote gestiegen / Mit dem großen Traum, im Park mit Drogen zu dealen?“ und positionieren sich damit natürlich explizit politisch.

Politische Inhalte können aber auch als Marketinginstrument genutzt werden. Einige Rapper sprechen sich etwa deutlich gegen die AfD aus und benutzen das vielleicht in einer Promotion-Phase des neuen Albums als Aufhänger. Es gibt aber auch Nazi-Rap oder islamistischen Rap.

Wie darf man sich denn solchen Rap vorstellen? Welche Inhalte werden darüber transportiert?

Das ist alles sehr explizit. In diesen Texten werden beispielsweise die Anschläge in Paris gut geheißen oder zum Dschihad aufgerufen, das ist gewaltverherrlichende Propaganda. Dasselbe gilt für Nazi-Rap. Aber auch daran sieht man wieder, wie sehr Rap alle Seiten der Gesellschaft abbildet, eben auch diese Auswüchse.

Musik hat großen Einfluss auf Jugendliche. Können Rap-Texte als Mittel dienen, um junge Menschen, die sich sonst nicht für Politik interessieren, zu erreichen?

Natürlich ist man als Konsument von Rap-Musik dazu angehalten, sich mit den Inhalten zu beschäftigen. Sind diese Inhalte nun politisch, so kann Rap-Musik sicherlich auch eine Art „politische Bildung“ sein. Der Berliner Rapper Bushido hat behauptet, er würde die AfD wählen wollen. Das hat unter seinen Fans große Diskussionen ausgelöst. Er hat einen Migrationshintergrund – warum könnte er die AfD wählen wollen? Für was stehen die? Ein anderes Beispiel ist die Palästina-Reise des Rappers Kollegah. Dieser hat dort eine Schule gegründet. Das ganze fand in der Promotion-Phase seines neuen Albums statt. Die Aktion war politisch relativ einseitig: Er hat dafür positive und negative Kritik bekommen. „Politische Bildung“ in Musik stößt da schnell an ihre Grenzen, denn die Qualität steht und fällt mit den Aussagen des Künstlers.

Im Allgemeinen kommt es natürlich auch stark auf die Zielgruppe an: Auf junge Menschen kann es abschreckend wirken, wenn die politische Botschaft im Vordergrund steht. Es gibt hierzulande eine ganze Bewegung an kritischen Rappern, die explizite politische Botschaften haben. Meistens sind diese jedoch nicht sonderlich erfolgreich und sprechen eher Nischengruppen an. Dennoch können politische Texte dazu führen, dass sich gerade junge Menschen mit solchen Inhalten auseinandersetzen. Dieser Zugang ist wie bei anderen Kulturgütern natürlich möglich. 

Für Rapper ist Glaubwürdigkeit wichtig. Die Gefahr ist groß, durch politische Botschaften irgendwie peinlich oder unglaubwürdig zu wirken.

Heute ist Hip-Hop weit gekommen: Rapper wie Kanye West oder Busta Rhymes mischten im US-Wahlkampf mit. Common oder Pusha T berieten Barack Obama, wie man die Zahl jugendlicher Gefängnisinsassen verringern könnte. Ist so ein Modell der Verzahnung von Politik und Hip-Hop für Deutschland vorstellbar oder abwegig?

Für Rapper ist Glaubwürdigkeit wichtig. Die Gefahr ist groß, durch politische Botschaften irgendwie peinlich oder unglaubwürdig zu wirken. Allerdings gibt es solche Kooperationen zum Teil bereits heute: Bushido hat sogar schon einmal ein Praktikum in der Politik gemacht; es gibt eine „Deutschland-Hymne“ der ARD, in der Sido mitwirkt und eine Cannabis-Präventionskampagne des Berliner Senats, bei der ein Rapper mit einem Lied mitgewirkt hat. Die Partei „Die Partei“ arbeitet mit den Rappern von K.I.Z. zusammen – man konnte sie sogar in Berlin wählen – auch wenn das nicht sehr ernst zu nehmen ist. Es gab auch Rap-Songs, die auf Pegida-Demonstrationen liefen, wenn auch unfreiwillig.

Wohin das allerdings langfristig führt, ist nicht absehbar. Aber man kann sich gut vorstellen, dass es auch in der Zukunft zu einigen Kooperationen kommen wird.

Wen sollte man hören, wenn man sich besonders für politische Botschaften im Deutsch-Rap interessiert?

K.I.Z. kann man sicher empfehlen. Allerdings haben die einen sehr eigenen Humor, der nicht für jedermann/frau ist. Ansonsten kann ich Audio88 & Yassin, Sookee, Fatoni, Kobito oder Zugezogen Maskulin empfehlen.

Was wird in dem Lied Hurra Die Welt geht unter kritisiert?

Durch die mantraartige Wiederholung von „Hurra, diese Welt geht unter! “ und den freudigen, melodischen Gesang wird die Vorfreude auf das Paradies nachempfindbar. Der Rap-Song kann als Kritik am gegenwärtigen System und Aufruf zum utopi- schen Träumen verstanden werden.

Warum wurde Hurra Die Welt geht unter geschrieben?

Das Stück verwendet ein Sample des 1985 erschienenen Songs Wada Na Tod von Rajesh Roshan und Lata Mangeshkar. Inhaltlich beschreibt das Lied die Utopie einer postapokalyptischen Welt, in der das vorherige System durch Bomben zerstört wurde.

Wann kam Hurra diese Welt geht unter?

Hurra die Welt geht unter ist das fünfte Studioalbum der Berliner Hip-Hop-Formation K.I.Z. Es erschien am 10. Juli 2015 über das zu Universal gehörende Label Vertigo als Standard- und Limited-Special-Edition, inklusive Mixtape und DVD.

Welche Rapper besingen zusammen mit Henning May den Weltuntergang?

K.I.Z. und Henning May fantasieren in ihrem neuen Video über eine utopische Zukunft und erinnern an die großen Ton Steine Scherben. Wenn nichts mehr zu retten ist, dann sollte man selbst Dinge ziehen lassen, die man lange Zeit geliebt hat und von neuem beginnen.