Frühling lässt sein blaues Band Metapher

Niemand kann den Frühling befehlen. Der in den Dingen innewohnende Drang bringt ihn hervor. Das meint Mörike in einem Gedicht.

Es überschlägt sich alles. Überschlagen scheint mir das korrekte Wort für das zu sein, was vor uns abläuft. Heute eine Schlagzeile, morgen zwei neue, die eine überschlägt die andere. Es prallen Bilder auf uns ein und sie machen das Auge vor lauter Sensationen blind. Es ist eine wilde Zeit. Alles scheint durcheinander zu geraten. Oft sind Gedichte mein Raum für Ruhe und Stille. Ziehe ich mich zurück, beschleicht mich manchmal ein schlechtes Gewissen. Müsste ich mich einmischen? Nein, das muss ich nicht. Ich schreibe dann und wann sogar eigene Gedichte: „Zeit ist nicht, / schöne Gedichte / zu schreiben, / sich in Worte zurückzuziehen / wie in die Wolken / am blauen Himmel, / wenn alle Tage / Bericht kommt / vom Leid der Welt“, habe ich einmal geschrieben. Die Sprache ist mein Reduit. Sie vermag mich vor Unruhe und Hast zu schützen.

Betrachte ich den stahlblauen Frühlingshimmel, erinnere ich mich an die Aufnahmeprüfung ins Lehrerseminar Rickenbach. Wir Prüflinge mussten einen Aufsatz schreiben zu einem mir unbekannte Dichterwort: „Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte …“ Ich nagte an den Fingernägeln. Frühling lässt ein blaues Band in den Lüften schwingen? Was sollte das bedeuten? Ich wusste damals nicht, dass das Bild vom blauen Band eine Metapher ist. Als ich später das Gedicht las, verstand ich es. Eduard Mörike, der schwäbische Dichter, stimmte bei der Betrachtung der Natur gern seine romantische Seele auf einen Harfenklang. Er hörte, wie die Veilchen träumen und süsse, wohlbekannte Düfte durch das Land streifen. Sein Gedicht, das mit dem Aufsatztitel beginnt, endet mit dem Ahnen des Frühlings und mit dem Ausruf: „Frühling, ja du bist’s. Dich hab ich vernommen.“

Gedichte sind eine Art Proviant auf dem Lebensweg. Wie oft fällt mir ein Gedicht ein, das ich in meiner Schulzeit gelernt habe und schenkt mir geistige Nahrung. In meiner aktiven Politikerzeit postulierte ich mal ein „Schülerrecht auf Auswendiglernen“. Es steht nicht in der Verfassung, und wie der Lehrplan mit diesem Postulat umgeht, weiss ich nicht. Kompetenzen sind heute das Ziel. Wie wäre es, wenn es eine Kompetenz gäbe, Gedichte oder sonst grosse Texte der Literatur auswendig zu lernen, um sie zu rezitieren?

Gerade in einer Zeit, wo das Materielle den Menschen leer laufen lässt, käme es doch darauf an, sogenannt Unnützes zu lernen, zu erfahren, wie viel Freude das schenken kann und mit keinem Geld der Welt zu kaufen ist. Alles zu suchen, was leuchtet. In diesem Sinne haben zwei Amerikaner* ein Buch geschrieben, das zeigt, wie grosse Literatur den Sinn des Lebens erklärt. Das Unscheinbare lässt uns erahnen, dass es Dinge gibt, die heilig sind, und einen Zauber ausstrahlen, der zugleich an die Grenze des Mysteriums führt. Das kann ein kleines Gedicht sein, ein Gebet wie das Vaterunser, ein Blick in die erhabene Bergwelt oder auf eine Blumenwiese, wo, kaum ist der Schnee weg, die Krokusse, Schneeglöcklein und Primeln um die Wette spriessen. In solchen Momenten taucht der Gedanke auf, dass es Dinge gibt, die über uns stehen, dass ein tieferes Wollen das Leben der Menschen und der Natur bestimmt.

Ein Wollen der Natur, die darauf drängt, dass es wieder Frühling wird. Kein Mensch kann diesen Drang aufhalten oder ihn befehlen. Da herrscht das Mächtige, das kein Mensch dirigieren kann, sei er Diktator, Milliardär oder Besserwisser. Das Mächtige ist das Unverfügbare. Es ist das, was sich dem Menschen entzieht, selbst, wenn er glaubt, ein zweiter Schöpfer der Welt zu sein. Hat je schon ein Mensch einen Frühling gemacht? Wie fein sagt es Mörike: „Frühling …Dich hab ich vernommen.“ Wie klingt dieses Vernehmen demütig und erwartend. Es wird bald eine Farbenpracht von bunten Wiesen und blühenden Bäumen mit der Wohltat der Wärme hereinbrechen. Das sich Jahr für Jahr wiederholende grosse Ereignis der Wiedergeburt.

*Alles, was leuchtet. Wie grosse Literatur den Sinn des Lebens erklärt. Hubert Dreyfuss/Sean

Frühling lässt sein blaues Band Metapher
FrühlingsimpressionFrühlingsimpression

Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte... Das wohl bekannteste Frühlingsgedicht mit dem eigentlichen Titel "Er ist's" stammt von dem deutschen Lyriker Eduard Friedrich Mörike (dem "Biedermeierdichter" und Pfarrer) aus dem Jahre 1829. Die Biedermeierzeit bezeichnet in Deutschland die kurze Epoche nach den Napoleonkriegen bis zum Beginn der bürgerlichen Revolution von 1848 und ist, was die Kunstgeschichte betrifft ebenfalls von der Kultur und Kunst des Bürgertums geprägt. Bekannter, als die Dichtkunst von damals, ist sicher die Malerei des Carl Spitzweg oder Ludwig Richter. Wenn auch die Kunst des Biedermeier gern als „hausbacken“ oder „konservativ“ bezeichnet wird, dann erfreuen wir uns jetzt halt an den schönsten hausbackenen Versen zum Thema Frühling, die im deutschsprachigen Raum immerhin zu den bekanntesten überhaupt zählen.

∼ Er ist's ∼Frühling läßt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte;
Süße, wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen träumen schon,
Wollen balde kommen.
– Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist's!
Dich hab ich vernommen!

Eduard Mörike (1804 – 1875)

Gedichtinterpretation

Das Duftveilchen Viola odorata ist das "Dichterveilchen" und stammt eigentlich aus dem Mittelmeergebiet. Aber so mancher romantische Dichter (und selbst Goethe) hat es in der Natur ausgesät, und so findet sich dieses Blümchen heute verwildert zum Beispiel in der Umgebung von Weimar. Das dunkelblau oder violett blühende Veilchen (es gibt auch weiße Varianten) hat die Eigenschaft, an warmen Frühlingstagen einen starken Duft zu verströmen, sodass nicht selten dieser eher wahrgenommen wird als optisch die winzigen Blüten.
Doch auch der Vorfrühling, also die Zeit vor der Veilchenblüte, hat schon starke Aromen. Ein intensiver Duft kommt von der Zaubernuss bereits im Februar in unsere Nase. So können einzelne warme, sonnige Mittagsstunden einen Vorgeschmack auf den Frühling geben und die Sehnsucht darauf wecken. Kommen dann kalte und trübe Spätwintertage, die nicht enden zu wollen scheinen, zurück, sollten wir uns daran erinnern.
In kalten Wintern ist das Warten auf den Frühling ein nicht enden wollendes Sehnen. Die Meteorologen legten den Frühlingsbeginn auf den 1. März. Die Astronomen sind eigentlich näher dran, denn der 21. März ist der definierte Tag. Doch nicht der Verstand legt solche Zeiten fest. Erst wenn das Gefühl sagt: "Jetzt ist Frühling!", dann ist es wirklich soweit. Und dabei spielen eben auch diese Harfentönen gleichenden Gerüche eine besondere Rolle. Neurowissenschaftler meinen ohnehin, dass Gerüche ohne Filterung des Verstandes unser Erleben und Fühlen beeinflussen können. Das Gleiche sagt uns der Dichter auf die lyrische Art und Weise, wobei wir mit der Lyrik – kommt von Lyra – wieder bei der Harfe wären: "Horch, von fern ein leiser Harfenton!"
Bleibt für die Interpretation noch das blaue Band. Was symbolisiert das blaue Band? Den Himmel und die Luft. Überhaupt scheint für Mörike die Frühlingszeit mehr aus Luft und milden würzigen Winden zu bestehen als aus ersten Blumenblüten.

G.J. [Z.P.26.10.22.GJ.0002]

Frühling lässt sein blaues Band Metapher


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Was bedeutet die Metapher blaues Band?

"Blau" steht also für den Himmel und die klare, frische Luft des Frühlings, und ergibt obendrein in Kombination mit dem "Band" einen schönen Stabreim. Jenes Bild eines Bandes war zu Zeiten Mörikes als Zeichen des Jahreslaufs weit verbreitet.

Was bedeutet Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte?

Der folgende Text, 1829 von Eduard Mörike geschrieben, ist eines der bekanntesten und beliebtesten Frühlingsgedichte. Es sind schwungvolle Verse. Das „blaue Band" verbindet romantische Sehnsucht mit dem Blick auf den blauen Frühlingshimmel.

Wie heißt das Gedicht Frühling lässt sein blaues Band?

Das wohl berühmteste Gedicht zu unserem Thema ist „Frühling lässt sein blaues Band“. Doch auch wenn viele Menschen es noch immer für ein geniales Werk von Johann Wolfgang von Goethe halten, das „blaue Band des Frühlings“ floss aus der Feder von Eduard von Möricke (1804-1875).

Was symbolisiert das Gedicht von Eduard Mörike?

Es liegt nicht allzu fern, sich vorzustellen, wie auch in „Er ist's“ die Winde vom Anfang des Gedichts im siebten Vers das mythische Instrument spielen. Die Jahreszeit des Frühlings wird von Mörike in diesem Text also vor allem durch blaue flatternde Luft, angenehme Düfte, Blumen und harmonische Töne symbolisiert.