Meine beste Freundin Anne Frank wahre begebenheiten

Hinter der Recherche zu Anne Franks angeblichem Verräter steht der Wunsch, einen Schlussstrich unter das Gedenken zu ziehen. Der Spielfilm »Meine beste Freundin Anne Frank« kämpft gegen das Vergessen.

Von Oliver Kaever

02.02.2022, 18.11 Uhr

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Meine beste Freundin Anne Frank wahre begebenheiten

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Szene aus »Meine beste Freundin Anne Frank« mit Josephine Arendsen, Aiko Beemsterboer

Foto:

Bas Losekoot / Netflix

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»Ich will die Welt sehen«, sagt das Mädchen, das ständig kichert und Schriftstellerin werden will. Es interessiert sich brennend für Jungs, die im Park Fußball spielen, und lässt sich von einem ins Kino einladen.

Die Wochenschau darf es als Jüdin allerdings nur von der Rückseite der Leinwand betrachten, der Junge kennt den Schleichweg dorthin. Anne nimmt als Aufpasserin ihre beste Freundin mit, Hanneli. Die schreitet entschieden ein, als der Kavalier ernsthafte Knutschversuche unternimmt: »Hast Du Deine Gelbsucht eigentlich ganz auskuriert?«, fragt sie Anne, die natürlich nie Gelbsucht hatte.

Anne und Hannah

Eine Kindheit in Amsterdam, zwei pubertierende Freundinnen in den sommerlichen Straßen der Stadt. Die eine heißt Anne Frank. Sie wird wenig später mit ihrer Familie in einem Versteck untertauchen und schließlich im Konzentrationslager Bergen-Belsen an Erschöpfung, Hunger und Typhus sterben.

Die andere Hannah Goslar, genannt Hanneli, Schulkameradin, beste Freundin, wie Anne jüdischen Glaubens und mit deutschen Wurzeln. Sie wird ebenfalls nach Bergen-Belsen deportiert werden, wo sie Anne ein letztes Mal begegnet. Sie wird das Konzentrationslager überleben.

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In Bergen-Belsen erlebt Hannah das Grauen des Holocausts

Foto: Netflix

Aus dieser Verschränkung von lebendigem Teenager-Dasein und todesschwangerem Horror des Holocausts zieht der Spielfilm »Meine beste Freundin Anne Frank«, der jetzt bei Netflix zu sehen ist, seine emotionale Kraft. Es ist der erste Film aus den Niederlanden über Anne Frank; dort lief er im vergangenen Jahr im Kino und entwickelte sich zum Publikumserfolg.

Mit den aktuellen Debatten über den angeblichen Verräter von Anne Frank hat dieser Film, der auf Hannah Goslars Biografie beruht, nichts zu tun. Glücklicherweise. Denn er zeigt noch einmal eindrucksvoll, warum Annes Geschichte so wirkmächtig ist – und was an der Recherche zu Annes angeblichem Verräter so falsch.

Ein starkes, freches, mutiges Mädchen

Im Mittelpunkt des Films steht Hannah Goslar (Josephine Arendsen), er erzählt ihre Geschichte. Aber der Bezugspunkt, der dieser Geschichte den Rahmen gibt, ist Anne. Die Schauspielerin Aiko Beemsterboer spielt sie als starkes, freches, mutiges Mädchen, das vor Lebendigkeit vibriert. »Der liebe Gott weiß alles – Anne weiß alles besser«, sagt Hannahs Mutter einmal augenrollend, und auch Hannah leidet manchmal unter Annes vorlauten Bemerkungen.

Im Gegensatz zu Anne interessiert sie sich noch überhaupt nicht für Jungs, und Schriftstellerin will sie auch nicht werden, sondern Krankenschwester. Einmal streiten die beiden, weil Anne in einem Biologiebuch die Seiten aufschlägt, auf denen Penis und Vagina abgebildet sind. Hannah ist das peinlich, sie läuft nach Hause. Kurz darauf heißt es, Anne habe mit ihrer Familie Unterschlupf in der Schweiz gefunden, sie sei in Sicherheit.

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Neben diesen Szenen aus dem Alltag steht unvermittelt das Lagerleben in Bergen-Belsen mit all seinen Schrecken: Kälte und Krankheit, Demütigungen und Hunger, Tod und Terror. Hannah ist allein mit ihrer vierjährigen Schwester Gabi; die Mutter ist schon vor der Deportation verstorben, der Vater liegt todkrank auf der Krankenstation.

Hinter einer behelfsmäßigen Sichtbarriere aus Stroh erkennt Hannah eines Tages die Stimme von Anne wieder. Sie ist schon sehr schwach und sagt: »Ich habe niemanden mehr.« Hannah wirft ihr unter Lebensgefahr Essen über den Zaun.

Es sind vor allem diese herzzerreißenden Szenen, die den Wahnsinn der geordneten, fabrikmäßigen Ermordung von Menschen in wenige erschütternde Sätze und Bilder fassen. Die freche, vorlaute, kluge, lustige Anne Frank steht stellvertretend für die Millionen von Menschen, die lebendig waren, geliebt haben und die Welt bereichert – bis die Todesmaschinerie der Nazis sie auslöschte. »Meine beste Freundin Anne Frank« macht das schwarze Loch sichtbar, das der Holocaust in das Leben fraß, bis in unser Heute hinein.

Die Vergangenheit ist nah

Denn dass es keinen Schlussstrich geben kann, niemals – auch das zeigt dieser Film. Aus Erinnern macht er schmerzhaftes Erleben, aus der Vergangenheit Gegenwart. Er kommt damit zum genau richtigen Zeitpunkt. Denn die Suche nach dem Mann, der Anne Frank verriet – was anderes steckt dahinter als der Versuch, eine Erklärung zu finden für den Wahnsinn, ein Gesicht, dem man Schuld zuschieben kann? Dahinter steht auch der Wunsch, das Gedenken zu erleichtern und der Geschichte von Anne Frank die Dringlichkeit zu nehmen, die sie immer noch hat.

Wie nah uns die Vergangenheit noch immer ist, zeigte die bewegende Rede von Inge Auerbacher im Bundestag anlässlich des Gedenkens an die Opfer des Holocausts. »Ruth, ich bin hier!«, rief sie in Erinnerung an ein Mädchen aus, dass sie im Konzentrationslager Auschwitz kennengelernt hatte und das dort starb.

Auch Hannah Goslar hat Anne Frank nie vergessen, sie erinnerte unermüdlich an sie in Büchern, Reden und Gesprächen. Sie lebt noch immer, in Jerusalem, mit 93 Jahren. Sie und ihre Schwester haben zusammen sieben Kinder, 38 Enkel und 27 Urenkel. Das, so steht es im Abspann von »Meine beste Freundin Anne Frank«, sei ihre Rache an Hitler.

Was ist mit der besten Freundin von Anne Frank passiert?

Sie wurde 93 Jahre alt. Die Holocaust-Überlebende Hannah Pick-Goslar - eine von Anne Franks besten Freundinnen - ist im Alter von 93 Jahren gestorben. Dies teilte die Anne Frank Stiftung an ihrem Sitz in Amsterdam mit. Der Stiftung zufolge starb Pick-Goslar am Freitag an ihrem Wohnort Jerusalem.

In welchem KZ war Hannah Goslar?

Hannah Pick-Goslar überlebte das KZ Bergen-Belsen und emigrierte nach dem Krieg nach Israel. Nun ist sie im Alter von 93 Jahren gestorben.

Woher kennt Hanna Elisabeth Goslar Anne Frank?

In Amsterdam freundet sich Hannah bald mit der gleichaltrigen Anne Frank an. Zusammen gehen sie in denselben Kindergarten und später in dieselbe Schule. Neun Jahre wohnen die Mädchen nebeneinander und werden beste Freundinnen. Im Oktober 1940 wird Hannahs Schwester Rachel Gabriele, kurz Gabi, geboren.

Was war der Traum von Anne Frank?

Mit 13 Jahren träumt Anne im Oktober 1942 von einer Karriere als Filmstar in Hollywood. Zwei Jahre später ist es ihr größter Wunsch, ein Buch über ihre Zeit im Versteck zu veröffentlichen.