Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln Bedeutung

Der preußische General schrieb mit seiner Theorie "Vom Kriege" einen Klassiker. Dabei wurde sein Werk oft missverstanden und falsch gelesen. Clausewitz, der vor 175 Jahren starb, hat für Militärs, Politiker, Manager gleichviel Interessantes parat.

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Der Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln: Kein Wort der Weltliteratur wird so absurd aus dem Zusammenhang gerissen, sinnverkehrt und verdammt wie die Warnung des preußischen Generals Carl von Clausewitz ("Vom Kriege", 1832), dass die Staatsführung den Krieg, wenn er schon unvermeidlich wird, sich niemals verselbständigten lassen darf. Die Weltgeschichte seit Napoleon - dessen Erfolge und Misserfolge der preußische Offizier und Kriegsschul-Lehrer erlebte, erlitt und studierte - ist voll von Kriegen, die diese Mahnung bestätigen, vom Russland-Feldzug der Grande Armée Napoleons 1812 bis zum Irak-Krieg der Amerikaner und Briten seit 2003.

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Clausewitzsche Kriege waren im 19. Jahrhundert die politisch, finanziell und militärisch kaltblütig vorbereiteten Feldzüge Preußens gegen Dänemark (1864) und gegen Österreich (1866). Als das Ziel erreicht war - "chirurgisch", würde man heute sagen -, endete die Auseinandersetzung. Der Krieg, der politisch außer Kontrolle geriet, war der deutsch-französische von 1870/71, der auch militärisch in seiner zweiten Phase, dem Winterkrieg an der Loire, nicht mehr beherrschbar war.

Doch die europäischen Generalstäbe verzichteten darauf, die Lehren zu ziehen. So marschierten ihre Armeen in den lange erwarteten und doch niemals in tödlichem Ernst durchdachten oder gar technisch-wirtschaftlich vorbereiteten Großen Krieg von 1914, den niemand mehr anzuhalten wusste, bis er Weltkrieg wurde. Es waren nicht so sehr die ineinander verbissenen Heere, die die Diplomatie zum Schweigen verurteilten, sondern die riesigen Blutopfer, die im demokratischen Zeitalter der Rechtfertigung durch Sieg bedurften, und der Modus der Kriegsfinanzierung durch Anleihen, der im Fall der Niederlage Staatsbankrott und Revolution versprach. Die Politik wurde zum Gefangenen des "absoluten Krieges" (Ludendorff), vor dem Clausewitz stets gewarnt hatte - das Ende sah entsprechend aus: ein Frieden, um allen Frieden zu beenden.

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"Der Krieg bleibt doch immer ein ernsthaftes Mittel für einen ernsthaften Zweck" - so mahnte Clausewitz in vielen Kapiteln seines berühmten Buches. Er liebte es, erfahrener Lehrer, seine philosophisch-strategischen Ausführungen durch Thesen eindringlich zu akzentuieren und leicht fasslich zu machen: Die Zwecke muss die Politik vorgeben, sie bestimmen den Einsatz der Mittel. Sind die Mittel unzureichend - wie in Preußens hoffnungsloser Auflehnung gegen die Expansion des imperialen Frankreich, die vor 200 Jahren die Katastrophe des friderizianischen Staates zur Folge hatte - dann muss die Politik sich bescheiden, auf bessere Zeiten hoffen und ihre Kräfte neu organisieren. Preußen lernte diese Lektion erst nach der Schlacht von Jena und Auerstedt vor 200 Jahren, Scharnhorst wagte den "Griff ins Zeughaus der Revolution", und die zivilen Reformer riefen eine Bürgergesellschaft ins Leben.

Clausewitz war Kriegstheoretiker, gewiss, aber noch mehr Theoretiker des Managements, und am meisten Theoretiker der Politik: "Es ist unmöglich, den Krieg von der Politik zu trennen, ihn nach eigenen, selbsthändigen Gesetzen zu behandeln." Seine Lehre, in knapp anschaulicher Sprache gehalten und philosophisch geordnet, ist kunstvolle Kombination aus militärischer Zeiterfahrung - vom "kleinen Krieg" der spanischen Guerilla mit ihren asymmetrischen Kampfesformen bis zu den Vernichtungsschlachten Napoleons -und überzeitlicher Analyse menschlichen Verkehrs. Der Krieg erscheint darin nur als besondere, auf Entscheidung und Extrem setzende Variante. Es geht um Zufall und Wahrscheinlichkeitskalkül, um Unübersichtlichkeit und den jähen Übergang, wenn rechenhafte Planung auf unbedingten Gegenwillen trifft. Das berühmte Wort des älteren Moltke ist Geist von Clausewitzschem Geist: "Jede strategische Planung reicht bis zur ersten Feindberührung. Danach ist alles ein System von Aushülfen." Generäle, Manager, Politiker sind gewarnt.

Wenn schon, denn schon: Clausewitz warnt vor halbherzigen Entscheidungen im Militärischen - aber das Gleiche gilt für Wirtschaft und Politik. Er verlangte klare Schwerpunktbildung auf der eigenen Linie, Angriff auf den Schwerpunkt der Gegenseite. Ein halber Soldat in einem halben Panzer, so hat General de Gaulle den zitternden Widerstand Frankreichs und Großbritanniens gegen die Wehrmacht im Frühjahr 1940 kritisiert. Er hätte dabei Clausewitz, den er selbstverständlich - auf deutsch - genau studiert hatte, anführen können. Wie auch der Angriff der Wehrmacht auf Russland - genährt aus fataler Unterschätzung der russischen Widerstandskraft - sich durch die Dreiteilung gegen Leningrad, Moskau und Stalingrad verzettelte, statt kompromisslos Schwerpunktbildung zu suchen.

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Der Kalte Krieg war global, bipolar und nuklear: Frieden unmöglich, Krieg unwahrscheinlich (Raymond Aron). Die atomare Waffe hatte 1945 eine strategische Revolution bewirkt und belegte zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit den Krieg mit absolutem Verbot. In der Doppelkrise um Berlin und Kuba 1961/62 blickten die nuklearen Supermächte in den Abgrund. Seitdem ging es um Kriegsverhinderung durch die Doppelstrategie von "Abschreckung und Entspannung", wie die Nato im Harmel-Bericht 1967 ihre Linie definierte. Es gab Stellvertreterkriege, Rüstungskontrolle wurde Fortsetzung der Konfrontation mit anderen Mitteln, Ideologien unterminierten die Festungen.

Die Endzeitwaffe führte die Idee des Krieges ad absurdum. So war der lange nukleare Friede nicht die Zeit, Clausewitz zu studieren - außer in Israel, wo der Generalstab die Lage Preußens und mögliche Anwendungen auf die Gegenwart bis heute besser versteht als alle Gelehrten. Ob allerdings der jüngste Libanon-Krieg, ein halber Luftkrieg und ein halber Bodenkrieg, Clausewitzschen Maßgaben entsprach, ist zu bezweifeln.

Clausewitz war Kenner der Mentalitäten und wusste um die Bedeutung seelischer Energien. Colin Powell pflegte im ersten Golfkrieg der Amerikaner, damals Vorsitzender der Vereinigten Stabschefs, sehr sichtbar einen Band "Vom Kriege" mit sich zu tragen: Mahnung an die Verantwortung der Politik, aber auch Erklärung, woher die Powell-Doktrin der "overwhelming force" (überlegenen Kräfte) kam. Im Golfkrieg von 2003 sind dann die Clausewitzianer, Powell im State Department und Shinseki an der Spitze der Stabschefs, den Technokraten um Cheney und Rumsfeld unterlegen. Das Ergebnis: alle Schlachten gewonnen, der Krieg verloren.

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Massenvernichtungswaffen, apokalyptischer Terror, Chaosstaaten - so beschreibt die nationale Sicherheitsdoktrin der USA von 2002 die neuen Bedrohungen, und die Europäische Union sieht das nicht anders. Asymmetrie ist das Gesetz, und die hochtechnischen Armeen des Westens werden schwerlich noch einen satisfaktionsfähigen Gegner finden - während es an Feinden nicht mangelt, die aus der Anonymität und aus dem Dunkel kämpfen. Der Einsatz militärischer Mittel zur Erreichung politischer Ziele ist vom Balkan, vom Kaukasus und von der indisch-pakistanischen "line of control" bis Iran und Nordkorea wieder denkbar geworden, sei es als irreguläre Kriegführung von niedriger Intensität, sei es als atomare Erpressung all derer, die in Reichweite der Raketen liegen.