In der Liebe und im Krieg ist alles erlaubt Englisch

»Die Auslandschinesen sind weder für die Kommunisten noch für die Nationalisten« auf Taiwan, beteuert ein westlicher Diplomat in Bangkok, »sie sind nur für sich selbst.« Und der in Penang geborene Architekt Lim Tschong-keat sagt, was die Mehrheit der Auslandschinesen empfindet: »Ich spreche chinesisch, ich bin in kultureller Hinsicht Chinese, aber China ist für mich ein ebenso fremdes Land wie Deutschland oder die USA.«

Die ersten Chinesen kamen auf dem Land- und auf dem Seewege nach Südostasien, lange bevor die Kolonialmächte diesen Teil der Welt entdeckten -ein Chinese aus Malakka oder Penang ("Baba-Chinese") gilt in Malaysia ebensoviel wie in den Vereinigten Staaten ein Nachfahre der Mayflower-Einwanderer. Eine neue große Auswandererwelle setzte im vergangenen Jahrhundert ein, als die Kolonialmächte billige und treue Arbeitskräfte für Bergwerke und Plantagen brauchten.

Die Chinesen haben sich nur selten, und wenn, dann nur in buddhistischen Ländern wie Thailand, mit der einheimischen Bevölkerung assimiliert. Wohin sie sonst auch gingen, brachten sie ihre Kultur, ihre Götter, ihre Gewohnheiten und Gebräuche und ihren Stolz mit, zu irgend etwas zu gehören, das mehr war als ein Land: »Dschung Guo«, Reich der Mitte, Mittelpunkt der Welt.

Alle Nicht-Chinesen wurden von ihnen als Barbaren betrachtet und ihre Gastländer als wirtschaftliche Kolonien, in denen man arbeiten und ein Vermögen machen konnte. Geldverdienen ist ihre einzige Leidenschaft.

»Arbeite, arbeite und gib nichts aus, das ist das Rezept unseres Erfolges«, sagt der Chinese U Tschu-liang, 74, einer der reichsten Männer von Bangkok, Herr über zwei Banken und zwanzig Firmen. Es ist das Rezept, nach dem in jedem Land Südostasiens der Handel, die Industrie und das Bankwesen fast vollständig unter chinesische Kontrolle geraten sind.

In Malaysia befinden sich 85 Prozent des gesamten Einzelhandels in chinesischen Händen, in Kambodscha beherrschen die Chinesen 80 Prozent des Importhandels und 90 Prozent der Industrie. Die Chinesen kontrollieren die

* Das ehemals britische Kolonialherrenhaus gehört dem chinesischen Clan des Tschung Lye-hock.

wichtigsten Banken, wie die Bangkok Bank in Thailand und die Oversea Chinese Banking Corporation in Singapur, die größte Bank Südostasiens.

60 Prozent aller Investitionen in Südvietnam nehmen Chinesen vor. 80 Prozent des Lebensmittelhandels, 100 Prozent der Textilindustrie und 85 Prozent aller Importe sind dort Domäne der Chinesen -- Zahlen, die mit geringfügigen Variationen für alle Länder Südostasiens gelten.

Diese Wirtschaftsmacht haben die Chinesen über Generationen durch Opfer, Anspruchslosigkeit und Risikobereitschaft, aber hauptsächlich durch Geschicklichkeit und harte Arbeit erlangt. Und: Geldverdienen ist ihre einzige Leidenschaft, Geld ist ihre einzige Waffe. »Ohne Gold kannst du nicht das Schwert deines hungrigen Feindes kaufen«, lautet ein chinesisches Sprichwort.

Mit Geld haben sich die Chinesen zu Zeiten der Pogrome freigekauft, mit Geld kaufen sie jetzt Lizenzen, Genehmigungen und Konzessionen.

Da die Chinesen weder durch die Religion behindert werden -- der Islam beispielsweise betrachtet hemmungsloses Profitstreben als Sünde -- noch durch soziale und kulturelle Tabus, welche die einheimische Bevölkerung vom »unmoralischen« Geschäftemachen fernhalten, sind die Chinesen den Völkern Südostasiens eindeutig überlegen. Wucherzinsen beim Geldverleih etwa gelten als legitim, denn eine Überlieferung lehrt, daß »in der Liebe, im Krieg und im Geschäft alles erlaubt« sei.

Unter den geschwungenen Dächern ihrer Tempel verehren sie eine seltsame Ansammlung von Göttern. So gibt es einen Gott für den Handel, einen für das Glücksspiel, einen für den Schmuggel, zuweilen ist der Gott auch nur ein verstorbener chinesischer Geschäftsmann, der ein Vermögen gemacht hat. Diesen Göttern opfern sie Weihrauch und Geld, eigens dafür gedrucktes Opfergeld freilich, »aber die Götter wissen es ja nicht«, so Ah Tschon, ein chinesischer Hausdiener in Penang.

Die Sippe ist Nährboden für den Wirtschaftserfolg.

In den Legenden mittelloser Kulis, die Großkapitalisten wurden, spielen Götter eine wichtige Rolle. Aw Boon Haw, Gründer des »Tiger Balm Empires«, Herr dazu über eine Bank, einen Zeitungskonzern, Grundstücke und eine Schallplattenfirma, erhielt von seinem Gott im Traum das. Geheimrezept für den berühmten öligen Balsam, der angeblich viel mehr als nur »Rheuma, Gicht, Hexenschuß, Kopfschmerzen, Insektenstiche, Sodbrennen und steife Muskeln« zu heilen vermag.

Weniger den Göttern als vielmehr chinesischer Gerissenheit schreiben die Südostasiaten die legendären Wirtschaftserfolge der Chinesen zu. Manche versuchen, die Chinesen nachzuahmen, dann passiert beispielsweise folgendes:

Im August 1972 hatte in Saigon ein Chinese von einem Vietnamesen für den sechsfachen Wert eine 500-Piaster-Note gekauft, deren Seriennummer mit 77 endete. Sogleich setzte eine wilde Jagd nach Banknoten derselben Serie ein. Innerhalb von wenigen Tagen schnellte ihr Preis auf das Zwanzigfache des Nominalwertes in die Höhe.

»Wenn ein Chinese so etwas kauft, muß ein Geschäft damit zu machen sein«, hieß es bei den Vietnamesen, und es kursierten Gerüchte, diese Banknoten würden im Falle eines Sieges einzig von den Vietcong anerkannt werden.

Die unumstrittene Überlegenheit der Auslandschinesen in allem, was mit Geld und Handel zu tun hat, erklärte einst Tunku Abdul Rahman, der erste Premierminister von Malaysia, so: »Ein Chinese allein trinkt Tee, zwei spielen, drei gründen eine Firma. Ein Malaye allein schläft, zwei schlafen und drei Malayen schlafen auch.«

Da kein Chinese in Südostasien lange Zeit ganz allein bleibt, sind Firmen schnell gegründet. Familien- und Sippenbande führen Chinesen allenthalben zusammen. Denn »ein isolierter Chinese«, sagen sie, »ist wie eine Lotosblume ohne Wasser -- er muß sterben«.

Dieses »Wasser«, der Clan, ist wichtiger Nährboden auslandschinesischer Wirtschaftserfolge. Beispiel: Ngeow Seng-kek, 68, Besitzer eines Millionen-Vermögens in Johore Bahru (Malaysia).

Als er vor fünfzig Jahren an Bord einer Dschunke aus der Provinz Kuangtung eintraf, hatte er nichts als seinen Familiennamen, Er ging zum Verein der Ngeow-Sippe, erhielt Unterkunft und Nahrung und schließlich auch Arbeit bei einem Herrn Ngeow. Drei Jahre lang arbeitete er ohne Lohn, doch dann erhielt er von seinem »Towkay«, dem Oberhaupt des Clans, eine runde Summe, mit der er sein erstes Geschäft eröffnen konnte.

Damit war die Hilfe der Sippe aber noch längst nicht zu Ende: Sie schaffte die ihm versprochene Frau aus China herbei, sorgte dafür, daß er während der japanischen Besatzung entkam, und gab ihm wieder Kredit. Heute gehören Ngeow eine Textilfabrik, zwei Läden und sechs Häuser. Seine sechs Kinder leben in verschiedenen Ländern Südostasiens, und da er jetzt der »Towkay« ist, hilft er nicht nur ihnen, sondern allen Ngeows, die seiner bedürfen. »Wer das Wasser trinkt«, philosophierte der Sippenboß, »sollte niemals die Quelle vergessen.«

Es gibt Verbände für die Träger jeden chinesischen Sippennamens (Li, Wang, Tschang etc.), Vereine für Leute, die aus der gleichen chinesischen Provinz, der gleichen Stadt stammen, denselben Dialekt sprechen -- Gesellschaften vorwiegend für gegenseitige Hilfe.

»Sie arbeiten wie ein multinationaler Konzern.«

Weiterhin gibt es Musik- und Literaturklubs, vor allem aber zahlreiche Geheimbünde ("Triads"), denen die Kontrolle über Prostitution, Glücksspiel, Rauschgifthandel, Lotterie und der Schutz von Straßenhändlern, Taxiunternehmern, Hausierern, Restaurantbesitzern etc. untersteht. Sogar chinesische Millionäre, Minen- und Plantagenbesitzer entrichten ihren Beitrag an die Kassen der Geheimbünde.

Dank mehrerer -- lebenslanger -- Mitgliedschaften verfügt jeder Chinese über ein wertvolles Netz an Kontakten. Allein in Thailand existieren 700 chinesische Vereine.

Jeden Tag werden zwischen Kuala Lumpur und Singapur, Penang und Saigon, Pnom Penh und Bangkok unter Chinesen, die den gleichen Dialekt sprechen, telephonisch viele Tonnen Waren verkauft, werden Finanzierungen kreuz und quer zwischen Banken und Unternehmen per Sippendraht vermittelt: Schriftliche Verträge gibt es fast nie.

Chinesische Händler in Indonesien verschicken wertvollen Kautschuk an ihre Partner in Singapur, erklären ihn für minderwertig, damit der Gewinn in Singapur angehäuft wird. In Pnom Penh machen sie zwischen Kambodscha, Saigon und Hongkong mit Waren, Gold und Schwarzmarkt-Dollars Dreiecksgeschäfte, deren Nettoergebnis in harter Währung außerhalb von Kambodscha bezahlt wird. »Die Auslandschinesen«, befand ein amerikanischer Bankier, »arbeiten wie ein multinationaler Konzern.«

Besonders nach dem Abzug der Kolonialmächte aus Südostasien war die Gelegenheit günstig gewesen, in die Fußstapfen der alten Herren zu treten. Sie kauften die europäischen Firmen auf, beliebter wurden sie dadurch nicht.

Denn mit der Gründung der südostasiatischen Nationalstaaten wurde der Nationalismus herrschende Ideologie -- die Chinesen waren mehr denn je Fremde in Ländern, in denen die meisten von ihnen schon geboren waren. Lautete vorher der Hauptvorwurf, sie seien prokommunistisch, so wurden sie jetzt auch noch als Hindernis für die nationale Einheit angesehen, dazu als die neuen kolonialistischen Ausbeuter. die den Rahm abschöpften.

Während der vergangenen zwanzig Jahre wollten daher fast alle Regierungen Südostasiens die chinesischen Gemeinden »entchinesisieren«, ihren Einfluß in den verschiedenen Wirtschaftszweigen reduzieren.

In Kambodscha und Indonesien wurden chinesische Vereine und Handelskammern untersagt, chinesische Bücher verboten, chinesische Tageszeitungen geschlossen und chinesische Schriftzeichen von den Geschäften entfernt.

In Thailand, Indonesien. auf den Philippinen und in Kambodscha wurden die chinesischen Schulen abgeschafft. In Malaysia, wo der chinesische Bevölkerungsanteil zwischen 38 und 40 Prozent liegt, hat die Regierung ein Programm gestartet, das den Anteil der Chinesen an der Volkswirtschaft allmählich reduziert und an Malayen verteilt, die als »Bumiputras« (Söhne des Bodens) Privilegien genießen.

Auf den Philippinen, in Kambodscha und in Thailand dürfen die Chinesen bestimmte Berufe nicht ausüben; in Sabah werden sie aufgefordert, zum Islam überzutreten, in Indonesien und in Thailand sollen sie ihren Namen ändern, auf Sumatra und in West-Kalimantan dürfen sie in der Öffentlichkeit nicht chinesisch sprechen. Kürzlich brachte ein indonesischer Parlamentarier sogar eine Gesetzesvorlage ein, wonach alle indonesischen Chinesen am Telephon indonesisch sprechen sollten.

Doch das alles sind noch harmlose Maßnahmen gegenüber jenen, die von. Kommunistenfurcht diktiert wurden -- gegen die »Drachensaat« (so der Buch-Titel des amerikanischen China-Beobachters Robert 5. Elegant).

Festessen nach dem ersten Atombombenversuch.

Etwa 30 000 Chinesen wurden 1965 nach dem gescheiterten kommunistischen Putsch in Indonesien umgebracht, Hunderte kamen vier Jahre später bei Pogromen in Malaysia um, wo schon zwischen 1948 und 1960 über eine Million Menschen, vorwiegend Chinesen, in die »New Villages« hinter Stacheldraht verbannt wurden.

25000 Chinesen aus den ländlichen Gebieten West-Kalimantans im indonesischen Teil Borneos wurden verschleppt und in die Elendsquartiere von Pontianak gebracht, 1000 Chinesen werden noch als politische Häftlinge ohne Prozeß in einem Lager nahe Kuching, der Hauptstadt von Sarawak, festgehalten -- einige seit zehn Jahren.

Kein kommunistisches Komplott, keine Verschwörung, kein Aufstand, kein Putschversuch findet in den Staaten Südostasiens statt, ohne daß die Herrschenden die Chinesen als Hintermänner finsterer politischer Pläne bezichtigen. Doch sollten sie, egal ob großer Wirtschaftsboß oder Krämer, tatsächlich das System stürzen wollen, das sie groß gemacht hat?

Was als politische Loyalität gegenüber Peking verstanden wird, ist in Wahrheit die traditionelle kulturelle und rassische Bindung der Chinesen an ihr Heimatland, die noch stärker wurde. als China die Weltbühne betrat.

In Cholon, der großen Chinesen-Vorstadt von Saigon, wurden üppige Festessen veranstaltet, als China 1964 mit seinem ersten Atombombenversuch Weltmachtanspruch erhob. Als Peking in die Uno aufgenommen wurde, trafen Hunderte von Telegrammen aus Kambodscha ein, vor der Bank of China in Singapur wurden Blumen aufgestellt. Doch all das bedeutet nicht, daß die Auslandschinesen Kommunisten sind: Nach Jahrhunderten der Demütigungen fühlten sie sich bestätigt.

Sie schicken regelmäßig über die 60 südostasiatischen Filialen der Pekinger Bank of China Geld an ihre Verwandten in China -- schätzungsweise 350 Millionen US-Dollar jährlich. Damit wird eine typisch chinesische Familienpflicht erfüllt, keineswegs ist es eine Hilfe für das kommunistische Mutterland, das sie »befreien« soll, wie die sowjetische Nachrichtenagentur Nowosti im vergangenen September argwöhnte.

»Falls es in Südostasien zu einer Revolution kommt«, urteilt der Sinologe Stephen Fitzgerald, Botschafter Australiens in China, »dann wird sie bestimmt nicht von den Auslandschinesen ausgeführt. Sie würde höchstens gegen sie von den asiatischen Massen geführt.« Und Singapurs Außenminister Rajaratnam glaubt gar: »Die Auslandschinesen bleiben der beste Gegenpol zum Kommunismus in Südostasien.«

Der Schnittpunkt aller südostasiatischen Ängste vor der roten und gelben Gefahr, Peking, hat ab 1954 kein besonderes Interesse an den Auslandschinesen gezeigt. Wohl hat es sie ermutigt, Geld zu schicken, wohl hat es qualifizierten Chinesen die Heimkehr vorgeschlagen. Aber mit Ausnahme eines kurzen Zeitraumes während der Kulturrevolution durch die Rotgardisten sind die Ausgewanderten niemals von den Führern in Peking aufgefordert worden, im Ausland die Revolution zu schuren.

Obwohl sich die Volksrepublik China mit ihrer Verfassung verpflichtet hat, »die besonderen Rechte und Interessen der chinesischen Bewohner im Ausland zu schützen« (Artikel 98), obwohl der Volkskongreß 30 Sitze für sie bereithält und obwohl die Auslandschinesen als Besucher in Peking empfangen werden »wie verheiratete Töchter, die jederzeit zurückkommen können, wenn ihre Ehemänner sie schlecht behandeln« (Tschou En-lai) -- haben die kommunistischen Behörden niemals ihre Beschützerrolle ernst genommen.

»Als unsere Landsleute 1965 in Indonesien ermordet wurden, waren die Proteste aus Peking so stark, daß wir dachten, wir würden bald einige Kanonenboote im Hafen aufkreuzen sehen«, klagte ein chinesischer Journalist in Medan (Nordsumatra), »aber ihr Gerede über Blutschuld war eben nur Gerede.«

»Der Leim, der Südostasien zusammenhält.«

Für Peking sind die aus dem Reich der Mitte ausgezogenen Söhne »ausländische Bürger chinesischer Herkunft« die »Besondere Behörde für die Angelegenheiten der Auslandschinesen« ist geschlossen: beides spricht für eine Politik, die Tschou unlängst bekräftigte:

* Die Auslandschinesen sollen dort

Bürger werden, wo sie leben.

* Sie sollen sich gegenüber den jeweiligen Gastländern loyal verhalten. deren Gesetze und Vorschriften respektieren.

Das Mutterland will sie nicht, sie selbst wollen nicht heimkehren, da, wo sie bleiben wollen, sind sie ungeliebt. teils diskriminiert, gehetzt und unterdrückt, hinweggewünscht. Was aber wäre Südostasien ohne seine Chinesen? »Die Chinesen«, so der Brite Cunningham Brown. »sind der Leim, der Südostasien zusammenhält und es wirtschaftlich lebensfähig macht.«

Indonesien ist symptomatisch dafür. Obwohl es die Chinesen einzuschüchtern sucht, hat das Militärregime keinen besseren Weg gefunden, das Land zu regieren, als durch Doppelherrschaft mit den Chinesen.

»Die Generale helfen den Chinesen, im Geschäft zu bleiben, die Chinesen helfen den Generalen. an der Macht zu bleiben und ein gutes Konto bei den Schweizer Banken zu haben«, zürnte ein indonesischer Student. Ein Universitätsprofessor: »Wir hatten nur die Wahl zwischen wirtschaftlicher Stagnation einerseits und Fortschritt andererseits -- das nur bei weiterer Bereicherung der chinesischen Elite.«

Das ist nicht alles: Die indonesischen Regierungsbeamten verlassen sich auf den Rat anonymer chinesischer Technokraten und Juristen -- Suhartos Chefberater ist Chinese. Jede indonesische Firma hat einen chinesischen Buchhalter, Chinesen stehen sogar hinter den Staatsunternehmen, die eigentlich gegründet wurden, um das chinesische Wirtschaftsmonopol zu brechen.

Von den Krediten, welche die indonesische Staatsbank im vergangenen Jahr im Lande gewährte, gingen 70 Prozent an Chinesen, 75 Prozent aller dortigen japanischen Investitionen wurden über chinesische Mittelsmänner getätigt. »Südostasien verdankt seine Entwicklung mehr menschlichem Einsatz als Naturschätzen«, meint Volkswirt Koh Teng-bin aus Singapur. »und den menschlichen Einsatz haben vorwiegend die Chinesen geleistet.«

Viele Millionen und viele Generationen haben diesen Einsatz geleistet, doch Bürger der Länder, in denen sie wirkten, konnten sie und können sie immer noch nicht so leicht werden -- jedenfalls nicht, wenn sie arm sind.

In Indonesien gibt es derzeit etwa zwei Millionen staatenlose Chinesen. in Malaysia 220 000, auf den Philippinen 380 000, in Thailand 470 000 und

in Kambodscha 240 000. Sie entstammen alle den niedrigsten Klassen, die Reichen finden immer einen Weg.

»In Djakarta muß man mindestens 2000 Dollar zahlen, um Indonesier zu werden«, klagte ein chinesischer Händler dem SPIEGEL. »Das Problem ist eigentlich nicht so sehr, Chinese zu sein, sondern ein armer Chinese.«

Im Außenbezirk von Medan, aus dem alle armen Chinesen vertrieben wurden, floriert beispielsweise die Fabrik von Hock Li: Ihm ist es gelungen, Indonesier zu werden und sich einen mächtigen Beschützer zu kaufen.

In Laos konnte ein Chinese thailändischer Staatsbürgerschaft die Investitionskontrollen für ausländische Anleger umgehen. indem er sich eine laotische Frau kaufte. Jetzt kann er ohne Behinderung eine Zigarettenfabrik, eine Baufirma, eine Zementfabrik und ein

Bankunternehmen betreiben. Dank vier weiterer Frauen unterschiedlicher Nationalität macht er auch in den übrigen Ländern Südostasiens Geschäfte.

Sehr wohlhabende Chinesen haben mehrere Staatsbürgerschaften. Als Tan Lark-sye, zu seinen Lebzeiten der größte Kautschukhändler in Singapur, die Staatsbürgerschaft wegen seiner Renitenz gegenüber dem chinesischen Inselherrscher Lee Kuan Yew entzogen werden sollte, suchte er den Innenminister auf, zeigte ihm seine fünf verschiedenen gültigen Pässe und sagte: »Bitte sehr, suchen Sie sich einen aus!«

Singapur, die bevorzugte Heimstatt ähnlich Glücklicher, ist das Traumziel der Staatenlosen, denn es ist das einzige Land in Südostasien, in dem die Chinesen an der Macht sind.

Mit 75 Prozent Bevölkerungsanteil sind sie die Mehrheit, dort gibt es eine chinesische Regierung und chinesische Schulen, dort besuchen Auslandschinesen die einzige chinesische Universität Südostasiens, die Nanyang University.

Singapur floriert, ausländische Investitionen und innere Stabilität haben einen außergewöhnlichen Wirtschaftsboom entstehen lassen. Singapur ist die Oase, das Paradies für wohlhabende Chinesen aus den Nachbarländern, die hier für ihre Geschäfte eine sichere Basis haben, einen Tresor für ihr Geld und ihre Anlagen. Aber es ist eben auch der Traum vieler Armer, die alles dafür geben würden, um von Sabah oder Indonesien nach Singapur umzusiedeln.

Es mutet an wie schicksalhafte Tragik dieser Chinesen, die Geld zum einzigen Lebenssinn erhoben haben: Ihr Paradies Singapur, Finanzmetropole und gefühlsmäßiges Zentrum aller »Hua Tschiao«, ist nur mit Geld zu öffnen.

Singapur ist kein Ausweg, vielmehr muß Südostasien mit seinen Chinesen fertig werden -- das fällt schwer. Denn die einheimische Elite hält die politische Macht in Händen, die Wirtschaft aber gehört den Chinesen.

Ein Wandel bahnt sich an. Die alte Generation, die noch in China geboren ist, stirbt langsam aus, in ein paar Jahren werden alle in Südostasien lebenden Auslandschinesen auch dort geboren sein, ihre Schulbildung auf Chinesisch, Englisch, Malaiisch oder Indonesisch erhalten haben.

An vielen Orten haben sich die Chinesen bereits angepaßt -- sie haben ihre Namen geändert, sie haben die Landessprache gelernt, die eigene zum Teil vergessen, sie haben hier und da sogar darauf verzichtet, öffentlich Schweinefleisch zu essen, um bei den islamischen Nachbarn keinen Anstoß zu erregen.

Schickten noch im vergangenen Jahrhundert chinesische Diplomaten in den USA ihre Exkremente heim ins Reich der Mitte, weil sie »dort hingehören«, und besteht aus demselben Grund ein schwunghafter Transport mit Särgen und den sterblichen Überresten der Auslandschinesen, so wird diese Art von Nostalgie allmählich durch eine andere, erlesenere Bindung an die Quelle ihrer Identität ersetzt. Junge, gebildete Chinesen von heute, die in Peking studieren können, wissen weit mehr über China als ihre Väter.

Integration ohne den Zwang, auf das kulturelle Erbe zu verzichten -- das halten Soziologen für die Lösung. Jacques Amyot von der Tschulalongkorn-Universität in Bangkok: »Die beste Politik, die eine Regierung gegenüber den Chinesen verfolgen sollte, wäre eine absolut tolerante Haltung, dann wären die Chinesen nicht mehr Fremde.«

Bis dahin, und das kann lange dauern, werden die Chinesen immer glauben, sie gehörten woanders hin, und Südostasien wird weiterhin Brutstätte problematischer, gespaltener Persönlichkeiten bleiben, solcher Menschen wie des Chinesen Saw Kuat-kim auf Sumatra, der erklärte: »Ich habe zwei Augen, mit einem blicke ich nach China, mit einem auf dieses Land, in dem ich geboren wurde.«