Alex capus das leben ist gut

Alex Capus feiert in seinem Roman „Das Leben ist gut“ die Dinge, die bleiben. Wo sich Menschen begegnen, werden sie fassbar. Auf in die Bar!

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Gegen Abend wird das schwere Rollgitter hochgeschoben. Dann öffnet die „Sevilla Bar“, die üblichen Flaschen an den Wänden, ein ausgestopfter Stierkopf über dem Tresen, eine Kneipe in einer Schweizer Kleinstadt. Die charmant-schäbige Bar ist der Mittelpunkt des jüngsten Werks von Alex Capus. Dort sitzen sie an den abgewirtschafteten Holztischen, die Frauen, die sich einander zuwenden, die Stammgäste und die stillen Trinker am Tresen. Der Ich-Erzähler zapft das Bier und leert die Aschenbecher. Er ist es, der die Bar betreibt und sich Gedanken über die Bedeutung von festen Orten für das Leben macht. Dass ein ganz selbstverständliches Prinzip der Moderne, das der Mobilität, befragt wird, macht den schmalen Roman bemerkenswert. Am Ausschank steht einer, der die Dinge liebt, die bleiben.

Der Held ist seit zwanzig Jahren mit der gleichen Frau verheiratet und in der kleinen Stadt aufgewachsen. Er ist davon überzeugt, dass sich das Leben überall dort abspielt, wo sich Menschen begegnen, dass erst an einem bekannten Ort die Veränderungen der Welt sichtbar werden und man nur dort gestaltend eingreifen kann - wenn die Frauen sich eine rosa Damentoilette wünschen, greift er zum Farbtopf.

Verschone die Welt!

Diese Grundfreude an der Beständigkeit zeigt sich auch in Liebesdingen. Den Erzähler und seine Gattin verbindet eine noch immer frische Zuneigung, die mit dem Beginn des Romans nicht ernsthaft auf die Probe gestellt wird, als die Frau aus Berufsgründen wochentags zu pendeln beginnt. Die Schilderung einer genügsamen Lebensform ist literarisch eine gute Idee. Man kann an die Stoa denken oder an Odo Marquard, den Philosophen, der meinte, es komme nicht darauf an, die Welt zu verändern, sondern darauf, sie zu verschonen. Das „Modell constantia“ erscheint als eine Option in der bewegten Gegenwart. Deren Hang zu Veränderung, Beschleunigung, Steigerung wird allerdings im Roman nur schwach skizziert. So ist die „Sevilla Bar“ mit ihrem moosbewachsenen Ziegeldach zwar bereits von Glasfassadenbürotürmen umzingelt, und die Investoren lauern nur darauf, sie niederreißen zu können. Aber alle Veränderungsskepsis kippt ins antikapitalistische Klischee - oder ins Komische, wenn den Erzähler beim Anblick einer Telefonzelle die allergrößte Rührung überfällt.

Gut ist die episodenhafte Erzählung immer dort, wo sie im leichten Ton dicht an Menschen bleibt und damit jeden politisch problematischen Beiklang meidet, der in Zeiten großer Migrationsbewegungen aus einem Plädoyer für das Lokale und Beständige hervorgehen könnte. Es ist aber ganz im Gegenteil so, dass hier jeder einen Ort des Bleibens sucht - der Einheimische und die einstmals Fremden. Denn es waren spanische Einwanderer, die ein Vereinslokal gründeten und damit den Ort schufen, der als „Sevilla Bar“ zum Gegenbild virtueller Kommunikation wird, wo getrunken, getanzt und über den Wert einen Kampfstierkopfs gestritten wird. Ohne Bars und Kneipen, findet der Erzähler, ist die res publica undenkbar.

Die Welt greifbar machen

Der erzählende Kneipier ist zugleich Schriftsteller und trägt damit deutliche Züge des Autors Alex Capus. Der gebürtige Franzose lebt seit 40 Jahren in einer schweizerischen Kleinstadt, in Olten an der Aare im Kanton Solothurn. Dort hat er auch eine Kneipe mit einem Stierkopf über dem Tresen erworben. Autobiographisch grundiert waren schon seine 2014 unter dem Titel „Mein Nachbar Urs“ publizierten Geschichten. Und das seit Gottfried Keller für die Schweizer Literatur typische Interesse an der zum Greifen nahen kleinen Welt findet sich bei Capus von Anfang an.

Daneben gibt es bei dem ehemaligen Journalisten aber auch jene Bücher, die sich in geographische und historische Ferne begeben: gut recherchierte Romane, zumeist mit einem faktischen Kern. Zuletzt verband „Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer“ (2013) das Leben von drei ungewöhnlichen Figuren aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Davor hatte „Léon und Louise“ (2011) eine große Leserzahl für die Liebesgeschichte eines jungen Paares in den Wirren des Ersten und Zweiten Weltkriegs gewonnen.

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Capus will offensichtlich vermitteln, dass man im Leben zugleich an der Peripherie und im Zentrum sein kann. Es komme auf den Blickwinkel und darauf an, wo Freundschaft und Liebe, wo Ruhe in der Unruhe zu finden seien. Auch der neue Roman wird durch die Geschichte des Liebespaares gerahmt. Die Frau verlässt das Haus (dass sie allerdings als Strafrechtsprofessorin bis dahin stets an der Seite ihrer Familie gewesen sein soll, passt nicht ganz zum sonst soliden Realismus der Erzählung). Sie lässt einen Mann zurück, der über das gemeinsame Altern ebenso nachdenkt wie über ihre großen Reisen.

Und auch wenn er sich dabei eine etwas süßliche Sentimentalität nicht ganz verkneifen kann, bleibt es das Verdienst des Autors, ein in der Literatur ganz seltenes Phänomen zu schildern: einen Menschen, der mit dem zufrieden ist, was er hat.