Woher bezieht die Ukraine ihr Öl

Auch im Krieg fließt russisches Gas über die Ukraine nach Europa – nur eben zu wenig. Der ukrainische Gasnetzbetreiber erhebt Vorwürfe gegen Gazprom.

Woher bezieht die Ukraine ihr Öl

11.07.2022, Mecklenburg-Vorpommern, Lubmin: Rohrsysteme und Absperrvorrichtungen in der Gasempfangsstation der Ostseepipeline Nord Stream 1 und der Übernahmestation der Ferngasleitung Opal stehen still, nachdem Nord Stream 1 am 11. Juli in die jährliche Wartung gegangen ist.dpa

Die Pipeline Nord Stream 1 ist seit Montag für zehn Tage in der Wartung, was heißt: Es fließt vorerst kein russisches Gas über die Ostsee nach Europa. Doch ist das alles?

Interessanterweise fließen gerade 41,3 Millionen Kubikmeter russisches Gas täglich über die Ukraine in die EU (Stand Dienstag). Das vom Krieg erschütterte Land erhält so von Russland weiterhin Transitgebühren und erfüllt seine Transitverpflichtungen gegenüber der EU. Doch Hand aufs Herz: Sind 41 Millionen Kubikmeter nicht viel zu wenig für ganz Europa und Deutschland, das sich langsam auf den Gasnotstand vorbereitet? Laut der Bundesnetzagentur kommen nur noch 22 Millionen Kubikmeter russisches Gas über die Ukraine in Weidhaus an der bayerisch-tschechischen Grenze an.

Ukraine staunt: Gazprom zahlt und liefert wenig

Noch im April, mitten im Krieg, lieferte der russische Energieriese Gazprom mit rund 108 Millionen Kubikmetern fast die vertraglich maximal zugesicherte Gasmenge über die Ukraine nach Europa. Rund 67 Millionen Kubikmeter mehr als heute.

Nun erhebt der ukrainische Gasnetzbetreiber GTS Vorwürfe gegen Gazprom. „Gazprom nutzt die freien Kapazitäten der ukrainischen Gastransportnetzes bewusst nicht, um Druck auf die EU auszuüben“, behauptet ein Sprecher des Netzbetreibers gegenüber der Berliner Zeitung. „Gebuchte und bezahlte Kapazitäten in Höhe von 77,2 Millionen Kubikmetern pro Tag über den Eingangspunkt Sudzha (an der russischen Grenze zur Westukraine, Anm. d. Red.) werden nicht genutzt. Der Gastransit in die EU über ukrainische Röhren überschreitet keine 42,1 Mio. Kubikmeter täglich.“

Gazprom könnte „ohne zusätzliche Maßnahmen oder Kosten“ täglich weitere 35 Millionen Kubikmeter bereits gebuchter Kapazität über Sudzha nutzen. Das Erstaunen der Ukrainer ist riesig: Gazprom buche und zahle, nutze aber nicht einmal bereits gebuchte und bezahlte Kapazitäten. Wie ist das möglich?

Da die Ukraine aber der EU die Vorbereitung auf die nächste Heizperiode erleichtern möchte, wäre der Gasnetzbetreiber mit Sitz in Kiew nach eigenen Worten „sogar bereit“, eine zusätzliche vorübergehende Erhöhung des Ukraine-Transits auf die Mengen zu erwägen, die mit der Wartung von Nord Stream 1 weggefallen seien, hieß es weiter.

Diese Anteilnahme gegenüber europäischen Problemen gilt allerdings nicht für alle Fälle, denn das ukrainische Energieministerium hat vor kurzem die Rückgabe einer Nord-Stream 1-Turbine des deutschen Herstellers Siemens an Gazprom als „enttäuschend“ kritisiert. Kanada wollte die Turbine lange nicht zurückgeben, hat sich zuletzt aber dafür entschieden, die Turbine sanktionskonform nach Deutschland zu liefern.

Streitpunkt: Eingangspunkt in der Ostukraine

Gazprom hat bisher nicht auf Anfragen der Berliner Zeitung zu den Vorwürfen des ukrainischen Gasnetzbetreibers geantwortet. Der ukrainische Gasnetzbetreiber verteidigt sich dagegen weiter. „Trotz des Krieges erfüllt die Ukraine weiterhin ihre Transitverpflichtungen gegenüber der EU“, sagt der GTS-Sprecher weiter. Im Gegensatz zu Russland habe die Ukraine den Transit „nie gestoppt“.

Doch die Wirklichkeit ist etwas komplizierter. In den aktuellen Pressestatements weist der russische Staatskonzern darauf hin, dass die Ukraine seine Transitbuchung über den Eingangspunkt Sokhranivka (an der Grenze zur Ostukraine) stets ablehne. Die Ukraine hatte Mitte Mai den Gastransit durch die Region Luhansk nach Europa wegen der „höheren Gewalt“ gestoppt, weil die Gegend nicht von Kiew kontrolliert werde. Damit entfiel fast ein Drittel der Menge, die nach Europa nach dem bestehenden Vertrag täglich zu transportieren wäre. Gazprom widersprach darauf allerdings, man sehe keine Anzeichen höherer Gewalt und keine Hindernisse für die Arbeit der Sokhranivka-Station im üblichen Modus.

Hier wiederum widerspricht der ukrainische Gasnetzbetreiber GTS. Die Besatzungsverwaltung habe auf einem nicht autorisierten Weg Gas aus der Leitung genommen, teilt der GTS-Sprecher der Berliner Zeitung weiter mit. Und es habe Eingriffe in den Betrieb der ukrainischen GTS-Anlagen in den besetzten Gebieten gegeben.

Deswegen habe der ukrainische Netzbetreiber Gazprom vorgeschlagen, die gewünschte Kapazität in Höhe von rund 32 Millionen Kubikmetern pro Tag von Sokhranivka an Sudzha zu übertragen. „Doch Gazprom macht von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch“, bemängelt die ukrainische Seite. Man wolle aber weiterhin russisches Gas nach Europa transportieren, weil man im Gastransit Schutz vor gezielter Zerstörung der Gastransportinfrastruktur sehe und die Chance, eine humanitäre Katastrophe zu verhindern.

Der Gazprom-Chef Alexei Miller verfolgt allerdings andere Interessen. In einem Wirtschaftskrieg wäre es auch etwas naiv, mit einer anderen Antwort von Gazprom auf die Russland-Sanktionen zu rechnen. Frei nach der Devise: „Unsere Ware, unsere Regeln“, wie Miller Mitte Juni auf dem Wirtschaftsforum in St. Petersburg sagte. Das gilt wohl für die Lieferungen über die Ostukraine, aber auch für Nord Stream 2, die Gazprom nach wie vor befürwortet.

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Woher bezieht die Ukraine ihr Erdöl?

Seit Ende 2015 kauft die Ukraine kein Gas mehr direkt in Russland ein. Stattdessen bekommt sie den Energieträger im Reverse-Flow-Verfahren nun aus der anderen Richtung, vor allem aus der Slowakei, Ungarn und Polen.

Wer beliefert die Ukraine mit Öl?

RWE Supply & Trading beliefert die staatliche Gasgesellschaft „Naftogaz of Ukraine” aus dem europaweiten Gasportfolio des Konzerns. Das Gas fließt über Polen in die Ukraine.

Welche Bodenschätze gibt es in der Ukraine?

SecDev listet die Beute auf: 63 Prozent der Kohlevorkommen, 11 Prozent des Erdöls, 20 Prozent des Erdgases, 42 Prozent der Metalle und 33 Prozent der Vorkommen an Seltenen Erden und anderen wichtigen Mineralien wie Lithium.

Hat die Ukraine eigene Ölvorkommen?

Die Ukraine fördert im Jahr 2022 rund 32.000 Barrel Erdöl am Tag, was im weltweiten Vergleich eine eher geringe Menge ist. Russland hingegen steht mit über 10,7 Millionen geförderten Barrel Erdöl auf Platz 2 der Länder mit der größten Erdölförderung.