Wenn ich groß bin kauf ich mir ne schokoladenfabrik

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Erstellt: 11.03.2022Aktualisiert: 26.03.2022, 18:24 Uhr

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Wenn ich groß bin kauf ich mir ne schokoladenfabrik

Hendrik Reimers vor der Schokoladenfabrik von Fairafric in Ghana. © Fairafric

Hendrik Reimers hat in Ghana die erste Schokoladenfabrik, die für den Export produziert, aufgebaut. Der Gründer von Fairafric spricht im Interview über sein Ziel, mehr Wertschöpfung in Westafrika zu ermöglichen, über Kinderarbeit auf den Plantagen und die Defizite des fairen Handels.

Die Leitung für das Videointerview steht und die Stromversorgung auch. Keine Selbstverständlichkeit in Ghana, wo sich Hendrik Reimers trotz turbulenter Tage Zeit für ein ausführliches Gespräch über sein Sozialunternehmen Fairafric nimmt. Gerade steht eine neue Finanzierungsrunde für die Schokoladenfabrik an und der 39-Jährige ist in der heißen Phase der Gespräche mit Investor:innen. Mit dem Geld soll auch ein Speicher für die Photovoltaikanlage finanziert werden, damit Fairafric vom öffentlichen Stromnetz unabhängiger wird.

Herr Reimers, woher kommt Ihre Liebe zur Schokolade?
Ein Freund von Schokolade bin ich schon immer, habe früher aber eher unbewusst konsumiert. Die große Leidenschaft für das Produkt kam erst mit dem Projekt Fairafric. Entstanden ist alles aus der Einsicht, die ich bei einer Reise in Afrika gewonnen habe: Der Kontinent braucht unbedingt mehr Wertschöpfung, um aus der Armut herauszukommen.

Wie verrückt muss man eigentlich sein, um als Softwaremanager eine Schokoladenfabrik in Ghana aufzuziehen? Etwas, das zuvor noch niemand versucht hat.
Das haben tatsächlich viele nicht verstanden, als ich aus einem erfolgreichen IT-Start-up in München ausgestiegen bin. Und ich bin da tatsächlich sehr naiv rangegangen. Hätte ich gewusst, was auf mich zukommt, hätte ich es vielleicht nicht gewagt.

Was waren die größten Hürden?
Wir mussten die gesamte Infrastruktur aufbauen. Die gab es ja nicht. Alle Marken, die heute mit Nachhaltigkeitsanspruch gegründet werden, suchen sich ein Auftragsunternehmen und kümmern sich dann nur ums Marketing. Wir haben uns alles selbst erarbeitet, angefangen vom Kauf der Kakaobohnen über die Produktion der Schokolade bis hin zu ihrer Verpackung und Verschiffung.

Wie konnten Sie das Projekt finanzieren?
Die Fabrik hat rund sieben Millionen Euro gekostet, das ist ungefähr das 20-fache unseres damaligen Jahresumsatzes. Das war nur mit Hilfe ganz vieler Menschen zu schaffen. Die erste Produktion haben wir über eine Kickstarter-Kampagne finanziert, also über einen klassischen Vorverkauf unserer Schokolade im Internet. Banken wollten von unserem Projekt nichts wissen. Aber wir haben nicht locker gelassen. Die KfW-Tochter DEG hat sich unsere Geschäftsidee dann doch einmal angehört. Über das Programm Africa Connect des Bundesentwicklungsministeriums bekamen wir schließlich ein Darlehen von zwei Millionen Euro.

Sie treten mit dem Anspruch an, die fairste Schokolade der Welt herzustellen. Ist der Faire Handel, wie wir ihn kennen, nicht fair genug?
Der Anbau von Kakao ist eng mit Armut verbunden – ein Problem, das der faire Handel lösen will. Aber wo liegen eigentlich die Ursachen der Armut? Kakao wird in Westafrika ja nicht angebaut, weil er dort besonders gut wächst, sondern weil die Arbeitskraft so unfassbar billig ist. Das Grundproblem, die koloniale Wirtschaftsweise, in Afrika den Rohstoff einzukaufen und in Europa etwas daraus zu machen, geht auch der Faire Handel nicht an.

Aber über den Fairen Handel landet doch auch mehr Geld bei den Kleinbauern.
Sie bekommen minimal mehr, bleiben aber in den Verhältnissen, die das Problem ihrer verheerenden Armut verursachen. Immer nur Rohstoffe zu verkaufen, deren Preise auf dem Weltmarkt gewaltig schwanken, lässt die Menschen in Armut und Abhängigkeit.

Wie sieht Ihr Entwicklungsmodell aus?
Wir zahlen den Kleinbäuerinnen und -bauern, wie der faire Handel auch, zusätzlich zum Verkaufspreis Prämien. Aber Fairafric hat eben noch ganz andere Wirkungen. Mit dem Bau unserer Fabrik schaffen wir in Ghana eine Nachfrage nach Fachkräften und eine Zulieferindustrie, das generiert zusätzlichen Bedarf und weitere Arbeitsplätze.

Können Sie konkreter werden?
Wir schaffen Jobs in einer Region, in der es sonst keine gibt. Und wir steigern die lokale Wertschöpfung. Nehmen Sie zum Beispiel das Material für unsere Schaltschränke, das haben wir in Ghana eingekauft und sie von heimischen Elektrikern, die bei uns angestellt sind, zusammenbauen lassen. Oder die Verpackung für die Schokolade. Wir beziehen die von lokalen Betrieben und lassen sie auch vor Ort bedrucken. Das schafft Jobs und gibt auch anderen Firmen ein Beispiel, die ihren Bedarf dann künftig vielleicht nicht mehr in China decken. Da entstehen ganz neue Strukturen. Auch der Fabrikbau war übrigens komplett in ghanaischer Hand.

Wie fair sind die Arbeitsbedingungen für Ihre rund 80 Angestellten?
Wir zahlen als Einstiegsgehalt das Vierfache des ghanaischen Mindestlohns, der bei rund 50 Dollar liegt. Die Menschen sind mit ihren Familien krankenversichert, sie haben eine freiwillige und eine gesetzliche Rentenversicherung. Wir schaffen damit ganz andere Bedingungen.

Was kommt letztlich als Wertschöpfung in Ghana an?
Mit unserem Konzept bleibt pro Tafel zehnmal mehr in Ghana hängen als bei einer in Deutschland produzierten Schokolade, für die nur der Kakao aus Ghana bezogen wurde. Die NGO Inkota hat ausgerechnet, dass vom Verkaufspreis einer herkömmlichen Tafel sechs bis sieben Cent in Ghana ankommen; im Fairen Handel ist das dann ein Cent mehr. Die Wertschöpfung von Fairafric beläuft sich alles in allem auf fast 90 Cent pro Tafel.

Zur person

Hendrik Reimers hat in Dortmund Wirtschaftswissenschaften studiert und anschließend die IBM Sales School absolviert. Danach war der 39-Jährige als Berater bei SAP und bei IBM tätig, bevor er Verkaufschef beim Marktforschungs-Start-up Metoda in München wurde. Ende 2015 gründete er nach einer Rucksackreise durch Afrika das Sozialunternehmen Fairafric.

Fairafric produziert seit 2016 in Ghana die erste Schokolade aus Westafrika, die in europäischen Lebensmittelläden zu finden ist – anfangs mit einem Partner vor Ort auf einer Anlage für Schogetten aus den 1950er Jahren, die Reimers nach Ghana verschiffte. Seit Ende 2020 wird die Bio-Schokolade von Fairafric in einer eigenen, solarbetriebenen Fabrik hergestellt.

In der Fabrik bei Tema, 25 Kilometer östlich der Hauptstadt Accra, sind rund 80 Menschen beschäftigt. Aktuell produzieren sie 2,5 Millionen Tafeln im Jahr. Fairafric-Schokolade wird im Internetshop vertrieben, ist in Deutschland aber auch im Biofachhandel, in Eine-Welt-Läden und in mittlerweile rund 100 Edeka-Märkten zu haben. Exportiert wird auch nach Frankreich, Schweiz, Österreich, Luxemburg, Italien und Holland.

Beim Forum Entwicklung von Frankfurter Rundschau, hr-info und der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) am 23. März wird Hendrik Reimers zu Gast sein. Mehr zur Veranstaltung zum Thema „Kakao - zwischen Armut und Wertschöpfung“ unter fr.de/forum-e.

Und wie profitieren die Kleinbauern davon?
Wir zahlen mit 600 Euro pro Tonne Kakao die höchste Bio-Prämie in Westafrika, die ist dreimal so hoch wie die Prämien des Fairen Handels. Und wir unterstützen die Farmerinnen und Farmer dabei, zusätzliches Einkommen zu erzielen. Zum Beispiel mit Setzlingen für Kokospalmen, die wir anbieten. Die tragen das ganze Jahr über Früchte, für die es einen lokalen Markt gibt. Wir wollen daraus Kokosmilchzucker, Blütenzucker und Raspel machen und in unseren Schokoprodukten mitverarbeiten. Auch unsere Kantine, die wir gerade fertigstellen, wird bei den umliegenden Farmen einkaufen. All das schafft zusätzliches Einkommen.

Kakaoanbau allein ist kein Zukunftsmodell?
Es bringt den Kleinbäuerinnen und -bauern nichts, nur immer mehr Kakao abzubauen, wie es die großen Schokoladenunternehmen propagieren. Da ist auch viel Eigennutz dabei. Denn wenn es viel Kakao auf dem Markt gibt, kann der Preis ja auch nicht steigen. Das ist der falsche Ansatz. Die Farmerinnen und Farmer müssen weg von nur einer Einkommensquelle. Was ist, wenn eine Ernte einmal komplett ausfällt?

Schokolade für den Export nach Europa zu produzieren, ist ja nicht ganz trivial. Woher haben Sie das Know-how?
Wir arbeiten mit modernster Technik aus der Schweiz und wir bekommen viel Unterstützung durch den deutschen Schokoladenhersteller Ludwig Weinreich, ein Traditionsunternehmen aus Herford, das viel Bio- und Fairtrade-Schokolade produziert. Weinreich ist 2019 mit einem Viertel bei uns Gesellschafterin geworden, hat uns beim Bau der Fabrik beraten, hilft bei der Rezeptentwicklung und Qualitätssicherung und trainiert unsere Leute.

Ist es schwer, lokale Kräfte für die Produktion zu finden?
Das Gegenteil ist der Fall. Wenn wir eine Stelle ausschreiben, bekommen wir mehrere Hundert Bewerbungen. Es gibt unzählige junge Leute in Ghana, die einen Universitätsabschluss, aber keine Arbeit haben und sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten. Sie finden hier alles: vom Kältetechniker über die Betriebswirtin bis zum Informatiker, der Steuerungssysteme programmieren kann.

Ideale Bedingungen für Arbeitgeber, die Fachkräfte suchen ...
Dafür gibt es andere Probleme. Wir mussten uns selbst um Frisch- und Abwasser kümmern, die Müllentsorgung organisieren, das Internet hinlegen lassen und auch die Zuwegung bauen.

Wie sieht es mit der Energieversorgung aus?
(lacht) Das ist tatsächlich eine Herausforderung, der Strom fällt regelmäßig aus. Wir hatten in den vergangenen Tagen extreme Spannungsschwankungen, sodass unsere Brandmeldeanlage in Flammen aufging. Unser ganzes Fabrikdach ist deshalb mit Photovoltaik bestückt, aber wir konnten uns bislang noch keinen Speicher leisten. Im Notfall müssen deshalb noch die Dieselgeneratoren anspringen.

Sie bauen jetzt auch eine Chocolaterie-Schule auf. Gibt es für die Absolventen überhaupt einen Markt?
Davon bin ich überzeugt. Wir wollen noch mehr Menschen eine Chance geben und noch viel mehr Jobs schaffen. Die ersten fünf Trainees der Schule sind fast durch mit ihrem Programm und produzieren schon Pralinen. Die werden unter der Brand Amanase – benannt nach dem Ort, in dem die Fabrik steht – übers Internet vertrieben. Wer will, kann nach der Ausbildung sein eigenes Business machen oder aber bei uns in der Fabrik eine Aufgabe übernehmen. Zum Beispiel in unserem Besucherzentrum, in dem Touristinnen und Touristen lernen können, wie Schokolade hergestellt wird.

Zunächst haben Sie nur für den Export nach Europa produziert. Denken Sie auch an einen regionalen Vertrieb? Mit der wachsenden Mittelschicht in Westafrika gibt es doch auch eine Zielgruppe für Bio-Schokolade.
Unsere Beschäftigten haben sich am Anfang tatsächlich beschwert, dass auf der Schokolade „Made in Ghana“ steht, Fairafric aber im Land nicht zu bekommen war. Als Freihandelszonen-Unternehmen durften wir die Schokolade im Land auch gar nicht verkaufen. Jetzt aber können wir das über eine Tochtergesellschaft und sind in ghanaischen Läden schon gut vertreten. In den Regalen liegt Fairafric neben der Ritter Sport – und wir sind günstiger.

Warum schuften laut Studien eigentlich immer noch mehr als 1,5 Millionen Kinder auf Plantagen in Westafrika?
Weil die Armut groß ist. Außerdem fragen sich Eltern, wieso sie ihre Kinder eigentlich auf die Schule schicken sollen, wenn es danach keinen Job gibt. Wenn wir die Armut konsequent bekämpfen und Menschen in gute Arbeit bringen würden, dann wäre das Thema erledigt. Die großen Schokoladenunternehmen müssten die Kakaobäuerinnen und -bauern eben selbst anstellen und einen Lohn zahlen, von dem eine Familie leben und ihre Kinder zur Schule schicken kann. Wenn die Arbeit teurer wäre, gäbe es auch Anreize, auf den Farmen effizienter zu arbeiten und die Produktivität zu steigern. Kakao wird heute meist noch wie vor 100 Jahren angebaut. Die Farmerinnen und Farmer schlagen die Schoten immer noch mit Macheten auf.

Wo sehen Sie Fairafric in zehn Jahren?
Schokolade ist erst der Anfang. Unser Vision ist es, bis zum Jahr 2030 rund 10 000 Menschen in gut bezahlte Arbeit zu bringen. Und das nicht nur mit Schokolade. Es gibt eine ganze Reihe von Produkten, bei denen es noch keine Wertschöpfung in Westafrika gibt. Der Klassiker sind Cashewkerne aus Ghana, die erst nach Asien transportiert werden, um sie dort zu knacken, und dann zum Rösten nach Europa. Der Weltmarkt für Tee und Kaffee ist noch viel größer als der für Schokolade. Oder denken Sie an die vielen Früchte, die von hier als Püree exportiert und in Europa zu Saft verarbeitet werden. Gleichzeitig werden Fruchtsäfte aus Spanien, Thailand und Dubai nach Ghana eingeführt. Das ärgert mich kolossal.

Interview: Tobias Schwab

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