Hugo von HofmannsthalElektraHugo von Hofmannsthal<< zurück weiter >> An den grell erleuchteten Fenstern klirrt und schlürft ein hastiger Zug vorüber: es ist ein Zerren, ein Schleppen von Tieren, ein gedämpftes Keifen, ein schnell ersticktes Aufschreien, das Niedersausen einer Peitsche, ein Aufraffen, ein Weitertaumeln. In dem breiten Fenster erscheint Klytämnestra. Ihr fahles, gedunsenes Gesicht, in dem grellen Licht der Fackeln, erscheint noch bleicher über dem scharlachroten Gewand. Sie stützt sich auf eine Vertraute, die dunkelviolett gekleidet ist, und auf einen elfenbeinernen, mit Edelsteinen geschmückten Stab. Eine gelbe Gestalt, mit zurückgekämmtem schwarzem Haar, einer Ägypterin ähnlich, mit glattem Gesicht, einer aufgerichteten Schlange gleichend, trägt ihr die Schleppe. Die Königin ist über und über bedeckt mit Edelsteinen und Talismanen. Ihre Arme sind voll Reifen, ihre Finger starren von Ringen. Die Lider ihrer Augen scheinen übermäßig groß, und es scheint ihr eine furchtbare Anstrengung zu kosten, sie offen zu halten. Elektra richtet sich hoch auf. Klytämnestra öffnet jäh die Augen, zitternd vor Zorn tritt sie ans Fenster und zeigt mit dem Stock auf Elektra. Klytämnestra Elektra ruhig Klytämnestra zu ihren Begleiterinnen Die Vertraute Daß auch du Die Schleppträgerin zischend Klytämnestra
indem ihre schweren Lider zufallen, weich Die Vertraute und die Schleppträgerin flüstern miteinander. Elektra nähert sich langsam Klytämnestra Klytämnestra Ich will hinunter. Sie geht vom Fenster weg und erscheint mit ihren Begleiterinnen in der Türe, von der Türschwelle aus. etwas weicher. Sie ist heute Die
Vertraute flüsternd Sie redet Die Schleppträgerin Ein jedes Wort ist Falschheit. Klytämnestra auffahrend Ungeduldig weist sie mit dem Stock die Vertraute und die Schleppträgerin ins Haus. Diese verschwinden zögernd in der Tür. Auch die Fackeln verschwinden, und nur aus dem Innern des Hauses fällt ein schwacher Schein durch den Flur auf den Hof und streift hie und da die Gestalten der beiden Frauen. Klytämnestra kommt herab, leise Elektra näher rückend Träumst du, Mutter? Klytämnestra Elektra Klytämnestra ausbrechend Elektra Ein jeder! Klytämnestra
wild Elektra Wenn das rechte Klytämnestra sehr hastig Elektra geheimnisvoll lächelnd Klytämnestra Elektra Nein! es läuft frei. Klytämnestra begierig Elektra Wunderbare Bräuche, Klytämnestra heftig Rede doch! Elektra Klytämnestra Nein, darum frag' ich. Elektra Ein Weib. Klytämnestra
hastig Elektra ruhig Ja! erkannt! Klytämnestra Elektra
ruhig Klytämnestra Die Bräuche sag! Elektra
Nein. Diesmal Klytämnestra Elektra Ein Mann. Klytämnestra Ägisth? Elektra lacht Klytämnestra Wer? gib mir Antwort. Elektra zu Boden stierend, wie abwesend Klytämnestra Gib mir nicht Rätsel auf. Elektra leise Klytämnestra Elektra Klytämnestra Wer sagt das? Elektra Mutter, Klytämnestra Wer fürchtet sich Elektra Wie? Klytämnestra Es heißt, Elektra Klytämnestra Es heißt, sie gaben Elektra Ah! Klytämnestra mit gesenkten Augenlidern Elektra Du lügst! Klytämnestra Elektra Ich seh's in deinen Augen. Klytämnestra Elektra mit einem Sprung aus dem Dunkel auf Klytämnestra zu, immer näher an ihr, immer furchtbarer anwachsend Klytämnestra, von sprachlosem Grauen geschüttelt, will ins Haus. Elektra zerrt sie am Gewand nach vorn. Klytämnestra weicht gegen die Mauer zurück. Ihre Augen sind weit aufgerissen, der Stock entfällt ihren zitternden Händen. Hinab die
Treppe durch Gewölbe hin, Sie stehen einander, Elektra in wildester Trunkenheit, Klytämnestra gräßlich atmend vor Angst, Aug' in Aug'. In diesem Augenblick erhellt sich der Hausflur. Die Vertraute kommt hergelaufen. Sie flüstert Klytämnestra etwas ins Ohr. Diese scheint erst nicht recht zu verstehn. Allmählich kommt sie zu sich. Sie winkt: Lichter! Es treten Dienerinnen mit Fackeln heraus und stellen sich hinter Klytämnestra. Klytämnestra winkt: Mehr Lichter! Es kommen immer mehr heraus, stellen sich hinter Klytämnestra, so daß der Hof voll von Licht wird und rotgelber Schein an die Mauern flutet. Nun verändern sich ihre Züge allmählich, und die Spannung des Grauens weicht einem bösen Triumph. Sie läßt sich die Botschaft abermals zuflüstern und verliert dabei Elektra keinen Augenblick aus dem Auge. Ganz bis an den Hals sich sättigend mit wilder Freude, streckt sie die beiden Hände drohend gegen Elektra. Dann hebt ihr die Vertraute den Stock auf und, auf beide sich stützend, eilig, gierig, an den Stufen ihr Gewand aufraffend, läuft sie ins Haus. Die Dienerinnen mit den Lichtern, wie gejagt, hinter ihr drein. Elektra << zurück weiter >> |