Warum ist Deutschland am Ersten Weltkrieg schuld?

Ein Satz, geschrieben 1958, vierzig Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs: „Jetzt ist diese blutige Geschichte tief genug in den Hintergrund gerückt und von jüngerem, noch böserem Unfug überschattet, so dass es denn wohl endlich möglich ist, sie darzustellen, wie sie wirklich war, in ihrer Schuld und Halbschuld, ihrer ganzen menschlichen Unzulänglichkeit überall, ohne dass die Gelehrten sich länger darüber in die Haare geraten müssten.“ Mit diesen Worten beschloss Golo Mann das Kapitel über die Julikrise 1914 in seiner „Deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts“. Er wurde bald eines Besseren belehrt.

1961, nur drei Jahre später, erschien Fritz Fischers „Griff nach der Weltmacht“. Der Streit darüber, wer schuld sei an der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, wurde neu eröffnet und ein Jahrzehnt lang schärfer und erbitterter weitergeführt als je zuvor. Auch wenn die Öffentlichkeit ihn nach den Fischer-Jahren wieder aus den Augen verlor, was der Forschung durchaus zugute kam, so zeigt das Gedenkjahr 2014 mit seiner Flut von Veröffentlichungen, dass von einem Konsens unter den Historikern noch immer keine Rede sein kann. Und auch, dass die Schuldfrage noch immer heftig bewegt.

Schuld prägte die Debatte

Weil Deutschland das Schlüsselthema der Kriegsschulddebatte war und es immer noch ist, ist diese Debatte nirgends ausdauernder, heftiger und mit größerer öffentlicher Resonanz geführt worden als hierzulande. In anderen Ländern war das Thema im Wesentlichen eine Sache der Historiker, mit gelegentlicher Anteilnahme einer Öffentlichkeit, die mit der Auskunft ganz zufrieden sein konnte, Deutschland alleine trage die Verantwortung für diesen Krieg. In Deutschland hingegen stellte die Debatte die Nation immer wieder neu vor die Frage, was sie von sich zu halten habe.

Und noch etwas hat das Verdikt von Versailles bewirkt: „Schuld“ wurde die Kategorie, die die Debatte auf Dauer prägte. Der moralische, anklagende Gestus, der dem Begriff Schuld eigen ist, ist gegen alle Versuche der Versachlichung letztlich immer bestimmend geblieben – ob nun einzelne Politiker und Generäle, ganze Führungsschichten oder gar Nationen für schuldig erklärt wurden.

Die Sieger wollten bedingungslose Unterwerfung

Aus der Jahrhundertgeschichte der Kriegsschulddebatte treten zwei Hochphasen hervor: die ersten anderthalb Jahrzehnte nach dem großen Krieg und die vom Streit über die Thesen Fritz Fischers erfüllten sechziger Jahre. Zwar hatten alle an der Julikrise beteiligten Mächte schon bald nach dem Ausbruch des Krieges eilig den Versuch unternommen, in sogenannten Farbbüchern die Welt, vor allem aber die eigenen Völker von ihrer Unschuld zu überzeugen.

Aber wirklich dramatisch eröffnet wurde die Kriegsschulddebatte doch erst durch den berüchtigten Artikel 231 des Versailler Vertrages: „Die alliierten und assoziierten Regierungen erklären und Deutschland erkennt an, dass Deutschland und seine Verbündeten als Urheber für alle Verluste und Schäden verantwortlich sind, die die alliierten und assoziierten Regierungen infolge des Krieges, der ihnen durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbündeten aufgezwungen wurde, erlitten haben.“ Alle Versuche Deutschlands, wenigstens gegen diesen Artikel einen Vorbehalt aufrechtzuerhalten, waren vergeblich. Die Sieger bestanden auf bedingungsloser Unterwerfung.

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Überall in Europa wird an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren erinnert. Die Deutschen tun sich damit schwer. Ein Grund dafür sei die ungelöste Schuldfrage, sagte die Historikerin Cora Stephan im Detuschlank.

Deutschland tut sich schwer mit dem öffentlichen Gedenken an den Beginn des Ersten Weltkriegs. Mit dieser Feststellung beginnt ein Manifest, das die Historikerin und Publizistin Cora Stephan gemeinsam mit drei Kollegen zu Beginn des Jahres veröffentlicht hat.

Ein Grund dafür sei die für viele Deutsche noch ungelöste Schuldfrage. "Dass Deutschland Schuld am Weltkrieg ist, das hört man in Deutschland, aber nicht in England und nicht in Frankreich", sagte Cora Stephan im Deutschlandfunk.

Die Deutschen hätten in einem Aufwasch auch noch diese Schuld auf sich genommen, so die Historikerin. "Es gibt nur wenige persönliche Erinnerungen, was der Großvater oder Urgroßvater gemacht hat", betonte sie. In Frankreich und Großbritannien sei das anders.

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In Deutschland stieß die Kriegsschuldthese auf ebenso vehemente Ablehnung wie die Forderung der Alliierten nach Auslieferung der deutschen "Hauptkriegsverbrecher". Diese beiden "Ehrenpunkte" des Versailler Vertrags machten in der unmittelbaren Nachkriegszeit jede sachorientierte Diskussion zwischen den ehemaligen Kriegsgegnern unmöglich. Zwar verzichteten die Alliierten nach 1922 auf die Auslieferung der sogenannten Hauptkriegsverbrecher, doch der "Kriegsschuldparagraph" belastete über Jahre die zwischenstaatlichen Beziehungen und verstärkte die Ressentiments der deutschen Bevölkerung gegen die westeuropäischen Nationen. Während von deutscher Seite immer wieder die Streichung des "Kriegsschuldparagraphen" gefordert wurde, rückte Frankreich ebenso beharrlich den Schuldvorwurf in den Vordergrund, um die buchstabengetreue Umsetzung des Versailler Vertrags zu erzwingen. Demgegenüber war Großbritannien um eine Normalisierung der Kontakte zu Deutschland bemüht und zeigte kein Interesse an einer weiteren öffentlichen Auseinandersetzung um die Kriegsschuldfrage.

Warum war Deutschland Schuld an dem Ersten Weltkrieg?

Die deutsche Regierung zielte 1914 nicht auf die Entfesselung eines europäischen Krieges; sie war in erster Linie bedingt durch die Bündnisverpflichtung gegenüber Österreich-Ungarn.

Wer trägt die Schuld am Ausbruch des Ersten Weltkrieges?

Wer daran die Hauptschuld trug, war auch lange unumstritten: Das Deutsche Reich mit seinem Streben nach Weltgeltung und seiner Sehnsucht nach einem "Platz an der Sonne" unter den Kolonialmächten.

Warum Deutschland Kriegsschuld?

Kriegsschuldfrage nach 1914 Die hohen Reparationskosten und die Beschuldigung der Alleinschuld belastete Deutschland innenpolitisch. Es entstand eine antisemitische Verschwörungstheorie, die den Juden die Schuld an der Niederlage im Ersten Weltkrieg gab.

Was war das Ziel von Deutschland im Ersten Weltkrieg?

September 1914 legte Kanzler Bethmann Hollweg in seinem „Septemberprogramm“ die Kriegsziele fest. Deutschland wollte seine seit der Reichsgründung stark gewachsene Machtstellung sichern und seine Ansprüche auf eine Weltpolitik geltend machen. „Sicherung des Deutschen Reichs nach West und Ost auf erdenkliche Zeit.