Birte pranger wer ist das

Der Text erläutert einige im Mittelalter gebräuchliche Formen des Prangers und kann das Textverständnis im Kapitel DE GRULL unterstützen. Der Bericht Marikens, vom Seelsorger der kleinen Dorfgemeinde mit dem Schandstuhl bedroht worden zu sein, bezieht sich auf die mittelalterliche Prangerstrafe, die sich heute noch in der Formulierung „An den Pranger gestellt werden“ spiegelt.

Wenn in früheren Zeiten Menschen an den Pranger gestellt wurden, war das eine öffentliche Veranstaltung. Um die besten Plätze - möglichst ganz vorne, ganz nah dran - wurde gekämpft. Solch ein Spektakel wollte sich niemand entgehen lassen. Faszination der Demütigung. Heute gibt es Rache- und Abrechnungs-Veranstaltungen anderer Art, aber mit ähnlichem Zulauf. Menschen stellen sich freiwillig an den Pranger, aber auf was sie sich da eingelassen haben, wissen sie oft vorher nicht. Jeden Nachmittag, acht Stunden lang, in insgesamt zwölf Talkshows kann man dabei sein, wenn Menschen angepöbelt, zusammengebrüllt und wüst beschimpft werden. Meist geht es um Sex, um Beziehungen und um persönliches Scheitern. Das Private wird öffentlich inszeniert - mit sehr guten Einschaltquoten und vielen Kindern und Jugendlichen vor dem Fernseher. Ein interessantes Umfeld für Werbekunden, die Sender machen so ein gutes Geschäft. Heute nun trafen sich die Ministerpräsidenten der Länder, auch mit dem Ziel, diese Schmuddel- und Pöbelrunden möglichst in den Abend zu verbannen.

Birte pranger wer ist das

Zoff um täglichen Schmuddel-Talk
Ein kritischer Beitrag über die Zurschaustellung von Menschen und den Privatproblemen in Talkshows privater Sender.

Sabine Platzdasch und Michaela Wich-Glasen über die manchmal widerwärtige Zurschaustellung von Menschen.

KOMMENTAR:

Zehn Uhr in Deutschland: Vera, Arabella, Bärbel, Birte und die anderen beginnen ihren Wettlauf um die schrillste Talkshow des Tages. Mit Birte Karalus begann RTL seine Quotenoffensive. Gegenstand der ersten Sendung: Streit in einer Alkoholiker-Familie.

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TALKSHOW-GÄSTE:

(Ausschnitt "Birte Karalus, RTL)

"..... das Maul halten."

"Du solltest mal das Maul halten. Du bist der absolute Hammer."

"Du mußt dich erstmal um deine eigene Tochter kümmern."

"Ich kümmer’ mich um meine Tochter, sie ist wieder zurück. Schnauze halten mal darüber."

"Wer will immer nur haben, haben, haben?"

KOMMENTAR:

Die Rechnung ging auf. Das Drama um Eifersucht, Sorgerecht und menschliches Elend brachte auf Anhieb riesige Einschaltquoten. Harter Konfrontationstalk als Vorbild, andere Sendungen zogen nach. Bei Arabella streiten sich die Talkgäste inzwischen sogar in der Pause weiter.

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TALKSHOW-GÄSTE:

(Ausschnitt "Arabella", Pro 7)

"Du bist nach Hause gekommen zu mir und hast gesagt ...."

"Zu Besuch mit der Mennie ...."

"Nee, da war die Mennie ...., lüg’ doch nicht."

KOMMENTAR:

Mit diesen Sendungen erzielen die Privaten am Tag hohe Marktanteile. Voraussetzung für den Quotenerfolg: Das Studio wird zum Aufmarschplatz für menschliche Dramen, extreme Meinungen und zurschaugestellte Intoleranz.

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TALKSHOW-GAST:

(Ausschnitt "Bärbel Schäfer", RTL)

"Also, ich finde Schwule und Lesben zum Kotzen."

KOMMENTAR:

Diese Sendungen, bei denen es nur um Krawall geht, halten die Landesmedienanstalten für problematisch.

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KLAUS KOPKA:

(Landesmedienanstalt Bayern)

"In fast jedem Titel wird irgendwie eine Herabsetzung schon dargestellt. ‘Ich red’ nicht viel, ich schlag’ gleich zu’, ‘Ich wär’ so gern wie Dollie Buster’, ‘Du bist schön, aber dumm’, ‘Du bist doch eine totale Null’ - also das sind doch eindeutig Dinge, wo von vornherein gesagt wird: ‘Heut’ gibt’s Kloppe, heut’ gibt’s Krawall, heut’ wird hier jemand fertiggemacht’.

KOMMENTAR:

Heute wird bei RTL der alkoholkranke Manfred fertiggemacht. Das Fernsehstudio wird zum Ort einer inszenierten Abrechnung durch die Ex-Frau und die eigenen Kinder.

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TALKSHOW-GAST:

(Ausschnitt "Birte Karalus", RTL)

"Es ist also schrecklich, echt, ich kann heut’ nur noch sagen, mein Erzeuger ist ein Schwein."

KOMMENTAR:

Der Vater ist das Schwein. Das Konzept der Redaktion geht auf. Manfred hat keine Chance.

Colin Goldner ist Psychologe und betreut Menschen, die in Talkshows bloßgestellt wurden. Viele seiner Patienten gingen in die Sendungen, weil ihnen Lebenshilfe versprochen wurde - ein Irrtum.

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COLIN GOLDNER:

(Psychologe)

"Es geht ausdrücklich nicht um Hilfe, es geht ausdrücklich nicht um Unterstützung, es geht noch nicht einmal um Trost, sondern es geht darum, die Menschen zynischerweise in möglichst spektakulärer Form vorzuführen wie in einer Menagerie, wie in einem Zirkus, um nicht zu sagen: wie an einen mittelalterlichen Pranger gestellt."

KOMMENTAR:

Auch Hans Meiser flaniert leichtfüßig auf dem seichten Boulevard der Leidenschaften. Frei nach dem Motto "Quote durch Zote" erlebt er mit 52 gerade seine zweite Pubertät.

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HANS MEISER:

(Talkshow RTL)

"Ich habe 15 schwarze Jeans und 20 schwarze Oberhemden. Übrigens, heute habe ich auch ‘ne schwarze Unterhose an, falls Sie die sehen wollen."

KOMMENTAR:

Spätestens jetzt weiß auch der Letzte, wo es langgeht.

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HANS MEISER:

"Nun hat Markus uns seinen kleinen dicken, fetten Knackarsch gezeigt. Markus, was ist eigentlich, du sagst: Jede Frau, die nicht mit mir ins Bett geht, hat Pech gehabt, denn ich bin gut im Bett. Woher weißt du das?"

MARKUS:

"Also Ficken ist meine Religion."

KOMMENTAR:

Nicht nur gegen diese Sendung wurde ein Beanstandungsverfahren eingeleitet.

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KLAUS KOPKA:

(Landesmedienanstalt Bayern)

"Wenn jetzt ein Kind eine Talkshow ansieht, in der sich Menschen auseinandersetzen in einer Sprache, die es sonst nicht gehört hat, weil das in der Familie nicht üblich ist, in einer Sprache, wo die unterste Stufe beschritten wird, wo Menschen sich nicht nur beschimpfen, sondern auch teilweise in die Tätlichkeit übergehen, dann ist das nicht nur problematisch, dann ist das zu verurteilen, und dann muß das verhindert werden, das dies am Tage läuft."

KOMMENTAR:

Wegen Verstoßes gegen Jugendschutzbestimmungen wurden fünf Sendungen von RTL beanstandet, zu einer Stellungnahme aber war der Sender ebenso wie SAT 1 nicht bereit. Im heftig umkämpften Markt der Nachmittags-Talkshows ein Wettlauf um die härtesten Inhalte.

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TORSTEN ROSSMANN:

(Pro 7)

"Das Ganze ist in einem sehr wettbewerbsintensiven Umfeld zu sehen. Wenn wir 12, 13 Talkshows haben im deutschen Privatfernsehen, dann ist die Konkurrenz hart, und eine Wettbewerbsdynamik wird natürlich in Gang gesetzt. Das, was den Kritikern überhaupt nicht gefällt, hat in aller Regel den größten Zuspruch bei den Zuschauern."

KOMMENTAR:

Genau dafür arbeiten einige Redaktionen mit allen Tricks. Manche Talkshow-Gäste wissen nicht, worauf sie sich einlassen. Sie werden unter einem Vorwand eingeladen und dann in der Sendung mit einem Gegner konfrontiert.

Beispiel SAT 1: Der Betrug fliegt auf, der getäuschte Überraschungsgast wehrt sich.

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TALKSHOW-GAST:

(Vera-Sendung)

"Mich erstmal hierhinzulocken, unter diesem Vorwand, ich hab’ was gewonnen und tralala...."

KOMMENTAR:

Die Moderatorin - sichtlich hilflos.

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TALKSHOW-GAST:

(Vera-Sendung)

"Und ich sitze dann dahinten und denke mir natürlich nichts, und dann kommt dann hier einer rein und da einer. Jetzt sitze ich hier, und er macht mir Vorwürfe, was ich aus meinem Leben gemacht habe."

0-Ton Talkshow

ARABELLA:

"Elke weiß nicht, warum wir sie eingeladen haben, sie ist aber gerne gekommen, freut sich auf die heutige Sendung."

KOMMENTAR:

Was Elke auch nicht weiß: Das Thema heißt "Jemand wie du sollte keine Kinder kriegen".

0-Töne Talkshow

ARABELLA:

"Ist es sehr viel Arbeit mit fünf Kindern?"

ELKE:

"Ich komme gut damit klar."

ARABELLA:

"Bist du nicht manchmal so ein bißchen überfordert?"

ELKE:

"Nein."

ARABELLA:

"Elke, ich muß ehrlich sagen, ich hab’ gehört, daß das mit der Erziehung zu Hause nicht so ganz hinhaut, jetzt in deinem Fall. Darf ich jemanden ins Studio holen, der ...."

ELKE:

"Ich geh’ sofort raus, ich geh’ sofort raus."

ARABELLA:

"Jeder Gast darf sofort das Studio verlassen, wenn er es möchte."

ELKE:

"Ja, ich geh’ dann sofort raus."

ARABELLA:

"Nur, zuerst hätte ich gerne, daß du einen Blick auf die Gäste wirfst. Herzlich willkommen."

KOMMENTAR:

Auftritt der Anklägerinnen. Sie kommen, um Elke der Kindesmißhandlung zu beschuldigen.

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ARABELLA:

"Möchtest du dich nicht der Diskussion stellen, Elke?"

ELKE:

"Nein, möchte ich nicht, nein."

ARABELLA:

"Elke, wenn du raus möchtest, auf diesen Knopf drücken, das ist der Weg aus dem Studio."

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TORSTEN ROSSMANN:

(Pro 7)

"Für uns als Sender und Veranstalter ist wichtig, daß wir die Gäste optimal auf die Sendung vorbereiten, sie während der Sendung gut betreuen und auch nach der Sendung mit ihnen sozusagen noch verarbeiten und aufarbeiten, was dort in der Sendung passiert ist."

KOMMENTAR:

Auch Dirk-Oliver wurde von Pro 7 als sogenannter Überraschungsgast eingeladen. Nach den Vorgesprächen mit der Redaktion dachte er, es handele sich um eine harmlose Talkshow, für die er eher zufällig ausgesucht wurde.

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DIRK-OLIVER:

(Talkshow-Opfer)

"Ich habe in Gesprächen gesagt und darauf bestanden, daß ich niemals über Geld oder über Beziehungen in der Öffentlichkeit reden würde, und die Redakteurin hat mir immer das Gefühl gegeben und auch zugesagt, daß sie dafür absolutes Verständnis hat, und mir auch immer zugesagt, und vor allen Dingen das Gefühl gegeben, daß es um sowas nie gehen könnte. Also ich war mir sicher, sehr sicher, daß niemals diese zwei Themen angesprochen werden vor der Kamera, war ich mir wirklich sehr sicher, sonst wäre ich niemals hingefahren, niemals."

KOMMENTAR:

Zusammen mit seiner Anwältin konnte Dirk-Oliver die Ausstrahlung der aufgezeichneten Sendung verhindern. Er erinnert sich noch gut an den Moment, als er das Studio betrat. Dort hatte zuvor ohne sein Wissen seine Ex-Freundin Beschuldigungen gegen ihn erhoben.

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DIRK-OLIVER:

"Also, die Überraschungstür ging auf, ein grelles Licht blendete mich, und ungefähr hundert Zuschauer haben mich ausgebuht, ausgepfiffen. Mir schlotterten wirklich die Knie, als ich die Treppe runterging. Ich ging zu dem Rednerpult, und die Moderatorin stachelte auch das Publikum noch an. Und so kam es mir dann vor, als wenn ich in einem großen Stadion stehe, wo ich als Angeklagter ausgebuht werde und ausgepfiffen werde, ohne daß ich überhaupt eine Möglichkeit habe, mich zu rechtfertigen."

KOMMENTAR:

Die Talkshow-Maschine läuft weiter. Bei Birte bricht um 14 Uhr der nächste Gast im Studio zusammen.

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TALKSHOW-GAST:

"Bitte, mein Schatz, ich will ohne dich nicht leben. Ich geb’ dir vor Millionen Zuschauern - ich schlag dich nicht mehr, ich trink nicht mehr und gar nichts mehr. Ich will nur dich haben, nur dich. Ich brauche keine andere Frau."

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KURT BECK:

(Ministerpräsident Rheinland-Pfalz)

"Ich halte eine Reihe von Veranstaltungsformen, wie man sie dort findet, für menschenverachtend und aus diesem Grunde heraus auch jugendgefährdend. Es ist nicht in erster Linie die Tatsache, daß dort sexuelle Themen in nicht angemessener Form behandelt werden, das auch, aber schlimmer ist diese innere Entblößung von Menschen. Das vermittelt ein Menschenbild, das ist unmöglich. Wer die Chance hat, vor einer Kamera etwas an viele Millionen Menschen zu vermitteln, hat auch eine besondere Verantwortung, mit dem Menschsein umzugehen."

KOMMENTAR:

Freiwillig werden die Privaten auf die Nachmittags-Talkshows kaum verzichten. Das weiß auch Joachim Gottberg. Er wacht im Auftrag der Privaten über die Einhaltung der selbstauferlegten Verhaltensregeln. Die sollen ein ethisch einwandfreies Vorgehen garantieren, bleiben aber beim Kampf um Marktanteile immer öfter auf der Strecke.

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JOACHIM GOTTBERG:

(Freiwillige Selbstkontrolle Privatfernsehen)

"Es ist natürlich immer schwieriger, für die Einhaltung von ethischen Maßstäben zu werden, wenn gleichzeitig das Interesse des Publikums nachläßt. Und hier kann ich im Grunde auch nur ans Publikum appellieren. Es ist sehr schwer, wenn auf der einen Seite aus der Öffentlichkeit der Ruf kommt, diese Talkshows, so wie sie sind, zu verändern, zu verbessern oder vielleicht sogar abzuschaffen, auf der anderen Seite die Menschen aber genau das sehen wollen."

Abmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Auch wenn die Menschen "das sehen wollen", wie der Medienwächter sagt - die Verantwortlichen in den Sendern müssen sich die Frage gefallen lassen, ob man alles, einfach alles senden soll, das Quote und damit Geld bringt. Gut, daß es politische Instrumente gibt, die diese Art von persönlicher Zurschaustellung von Menschen zumindest etwas einschränken.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 15.04.1999 | 21:15 Uhr

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