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Interview

Experten-Tipps für Familien: Ambulante Versorgung zuhause

Birgit Schwarz-Nenninger

Im Interview

Birgit Schwarz-Nenninger

Pflegeberaterin

Birgit Schwarz-Nenninger hat schon viele Seiten der Pflege gesehen: Nach dem Aufbau einer Einrichtung für betreutes Wohnen sowie einer WG für Demenzkranke hat sie eine Tagespflege geleitet. Sie war Pflegedienstleistung eines ambulanten Dienstes und hat zuletzt in einer vollstationären Einrichtung gearbeitet. Heute ist sie Pflegeberaterin.

Birgit Schwarz-Nenninger hat schon viele eigene Erfahrungen in der Pflege gesammelt – sowohl ambulant als auch stationär – und war u. a. Pflegedienstleitung eines ambulanten Dienstes. Heute teilt sie im pflege.de-Magazin ihre Erfahrungen zur häuslichen Versorgung von Pflegebedürftigen und gibt Familien Tipps, worauf sie bei der Auswahl und Zusammenarbeit mit ambulanten Diensten achten sollten.

Die meisten Menschen wünschen sich, im eigenen Zuhause alt zu werden. Für welche Situation ist die ambulante Versorgung sowohl für die Betroffenen als auch ihre Angehörigen tatsächlich die ideale Versorgungsform?

Ich würde sagen immer dann, wenn ein entsprechendes Netzwerk aus privater Versorgung und professioneller Pflege gewährleistet ist. Da der Tag nun mal 24 Stunden hat, muss die Versorgung – je nach Betreuungs- und Pflegebedarf – zu jeder Zeit gewährleistet sein. Oft ergibt sich ein organisierter Betreuungsplan aus pflegenden Angehörigen und dem ambulanten Pflegedienst.

Kannst Du sagen, bei welchem Pflegebedarf die ambulante Versorgung sinnvoller ist als die stationäre Versorgung?

Da gibt es für mich keinen Unterschied. Es kann sowohl jemand mit Pflegegrad 1 und leichter Demenz als auch jemand mit Pflegegrad 4 zuhause gepflegt werden, wenn die Voraussetzungen dafür geschaffen sind. Damit meine ich eine barrierefreie Wohnung, die Schulung von Angehörigen in Bezug auf Transfer und Mobilisation, aber auch, dass Entlastungsmöglichkeiten für Angehörige bestehen. Denn keiner kann rund um die Uhr eine intensive Pflege leisten. Und selbst wenn man Unterstützung durch einen ambulanten Dienst bekommt, sind es ja immer nur kurze Zeiträume, die die ambulanten Pflegekräfte vor Ort sind. Daher muss ambulante Pflege auch akzeptieren, dass es Zeiten gibt, in denen der Pflegebedürftige alleine ist. Für diese Zeitfenster gibt es dann zum Beispiel den Hausnotruf.

Du hast gerade schon gesagt, dass die ambulante Pflege häufig durch Angehörige mit Unterstützung eines ambulanten Pflegedienstes organisiert wird. Was sollten Angehörige vor der Zusammenarbeit mit einem ambulanten Pflegedienst wissen?

Angehörige sollten akzeptieren können, dass sich fremde Leute im Haus bewegen. Das führen sich die wenigsten Angehörigen bewusst vor Augen und haben das Gefühl, ständig dabei sein zu müssen, wenn ihr Angehöriger von einer „fremden Person“ gepflegt wird. Das sorgt jedoch für eine angespannte Atmosphäre u. a. beim Pflegebedürftigen, so dass Angehörige das schnellstmöglich ablegen und den Pflegekräften vertrauen sollten.

Wenn sich Familien für einen ambulanten Pflegedienst entscheiden: Was ist Angehörigen und Betroffenen bei der häuslichen Versorgung am wichtigsten? Was liegt ihnen häufig am Herzen?

Mir sind immer wieder die zwei gleichen Dinge aufgefallen: 1. Vertrauen in die Pflegekräfte und 2. ein möglichst geringer Personalwechsel. Die Familien wünschen sich natürlich, dass jeden Tag und rund um die Uhr die gleiche Pflegekraft kommt. Das lässt sich aber nicht realisieren, da eine Pflegekraft ja auch nur acht Stunden arbeitet und mal Urlaub braucht und mal krank ist. Die Pflegekräfte wechseln sich zudem mit Früh- und Spätdiensten ab, so dass es schlichtweg unmöglich ist, dass rund um die Uhr sieben Tage die Woche nur eine Pflegefachkraft zum Patienten kommt. Genauso wenig ist dies ja auch im Krankenhaus und in stationären Einrichtungen wie einem Pflegeheim möglich.

Was viele ambulante Dienste aber durchaus anbieten, ist die sog. Bezugspflege: Dabei soll die ambulante Pflege durch möglichst wenige Pflegekräfte gestemmt werden und es gibt eine Bezugspflegefachkraft, die über alles Bescheid weiß und den Überblick behält. Sie selbst kommt zwar nicht jeden Tag selbst zum Pflegebedürftigen, hat aber ein Team aus Pflegehelfern um sich, die beim Patienten sind und regelmäßig Bericht erstatten. Dadurch überprüft sie konsequent die Pflegeplanung und ist der feste Ansprechpartner für Angehörige. In Abstimmung mit der Familie kann sie die Pflegeplanung auch verändern, falls sie beobachtet, dass bestimmte Maßnahmen keinen Erfolg zeigen.

Familien wünschen sich natürlich, dass jeden Tag und rund um die Uhr die gleiche Pflegekraft kommt

Birgit Schwarz-Nenninger

Das klingt nach einer guten Lösung für Angehörige als auch für den Betroffenen selbst. Gewährt denn jeder ambulante Pflegedienst Bezugspflege?

Nein, ich glaube nicht. Das ist aber keine böse Absicht des Pflegedienstes, sondern einfach dem akuten Personalmangel geschuldet. Es ist bei vielen ambulanten Diensten festgeschrieben, wird aber glaube ich nicht überall gelebt.

Info

Fragen Sie nach der Bezugspflege!

Angehörige können beim ambulanten Pflegedienst aber einfach nachfragen, ob Bezugspflege möglich ist. Es kostet nicht extra, daher kann es jeder in Anspruch nehmen, sofern es angeboten wird. Fragen Sie einfach gezielt nach!

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Wie können sich Angehörige und der ambulante Dienst die Pflege am besten aufteilen? Ist es üblich, dass man sich abspricht, wer die Versorgung tagsüber und nachts übernimmt? Oder dass der Pflegedienst beispielsweise intime Tätigkeiten durchführt und die Angehörigen eher die Wäsche des Oberkörpers und die Mundpflege übernehmen?

In erster Linie ist es natürlich individuell. Aber ich finde schon, dass genaue Absprachen sehr wichtig sind, eben auf den Einzelfall abgestimmt. Gerade intime Pflegesituationen können besser von professionellen Pflegekräften durchgeführt werden, weil bei Angehörigen immer eine Hemmschwelle besteht. Da kommt das sog. Weißkittelsyndrom ins Spiel. Das bedeutet, dass intime Pflegesituationen von Betroffenen besser akzeptiert und eingeordnet werden, wenn sie von einer Pflegekraft im weißen Kittel anstatt von einem Angehörigen durchführt werden.

Gerade intime Pflegesituationen können besser von professionellen Pflegekräften statt Angehörigen durchgeführt werden.

Birgit Schwarz-Nenninger

Angehörige sollten aber auch Veränderungen gegenüber offen sein und ständig im Austausch mit dem Pflegedienst sein. Wenn man merkt, dass die Aufteilung der Betreuung nicht passt, sollte man Abläufe und Absprachen auch wieder verändern. Daher ist es auch sehr wichtig, sich mit dem ambulanten Pflegedienst immer abzusprechen, zu reagieren und ständig zu evaluieren, was die einzelnen Maßnahmen bringen. Und wenn sich Sachen nicht als gut erweisen, muss man sie eben auch ändern –auch das macht einen guten Pflegedienst aus.

Kennst Du aus Deiner Erfahrung ein Modell der Aufgabenteilung, mit dem viele Familien gut fahren und das oft gut funktioniert?

Ein Modell, das sich aus meiner Erfahrung bei vielen Familien bewährt hat, ist, dass man sich mit dem ambulanten Pflegedienst wirklich ganz genau über Pflegezeiten und Tätigkeiten abspricht. So kann beispielsweise der Pflegedienst am Morgen kommen, die große Grundpflege durchführen und den Pflegebedürftigen dann an den Frühstückstisch bringen. Dann kann der Ehepartner den gemütlichen Teil mit einem schönen Frühstück einläuten, der Betroffene ist gut betreut und beide haben eine schöne Zeit miteinander. Am Nachmittag kommt dann nochmal die Hauspflegekraft, die die großen Fenster putzt oder die Wäsche abnimmt und in der Zeit vor Ort ist. Der Angehörige hat in dieser Zeit freie Zeit für sich, kann spazieren oder einkaufen gehen. Wenn er wieder nach Hause kommt, kann er/sie mit seiner pflegebedürftigen Ehefrau oder dem Ehemann schön Kaffee trinken. Und am Abend kommt dann nochmal die Pflegekraft, macht denjenigen bettfertig und es kann in einen gemütlichen Abend übergehen. Das wäre zum Beispiel ein denkbares Modell.

Expertenmeinung

Geben Sie kritische Pflegesituationen an einen Pflegedienst ab. Egal ob Grundpflege, Betreuung oder Hauswirtschaft. So haben Sie mit dem Betroffenen die schönen Zeiten fernab der Pflege gemeinsam, das ist ganz ganz wichtig!

Birgit  Schwarz-Nenninger

Wie individuell können die ambulanten Pflegekräfte auf die Familien eingehen? Worum darf man den ambulanten Dienst bitten und was ist eher unrealistisch?

Klare Absprachen in Bezug auf pflegerische Tätigkeiten und Pflegezeiten sind immer möglich und eine offene Kommunikation vereinfacht die Zusammenarbeit. Angehörige sollten sich nicht scheuen, ihre ganz persönlichen Bedürfnisse anzusprechen. Zum Beispiel: Wenn es für Angehörige immer wichtig ist, dass rechts von der Auffahrt geparkt wird, dann sollten sie das einfach ansprechen. Oder wenn sie wünschen, dass immer zweimal geklingelt wird, damit sie wissen, dass es der Pflegedienst und nicht der Postbote ist. Also wirklich ganz kleine Sachen. Einfach darüber sprechen!

Und wenn es gar nicht geht, sollten sich Angehörige auch nicht scheuen, den Pflegedienst zu wechseln. Manchmal sind Pflegedienste auch dankbar, wenn der Vertrag aufgehoben wird, etwa weil der Anfahrtsweg ohnehin zu lang ist. Scheuen Sie sich also nicht, über alles mit dem ambulanten Dienst zu sprechen und die ideale Lösung für Ihren Betroffenen zu finden.

Woran erkennt man einen guten Pflegedienst? Gibt es Qualitätskriterien, auf die Familien bei der Auswahl achten können?

Ein persönliches Beratungsgespräch ist unabdingbar und ein seriöser ambulanter Dienst zeichnet sich dadurch aus, dass sich die Pflegedienstleitung Zeit für das Gespräch mit der Familie nimmt und versucht, die bestmögliche Pflege für den Betroffenen zu organisieren. Ich würde keinen Pflegedienst empfehlen, der einfach kommt und erst mal ins Blaue hinaus pflegt, ohne dass ein Gespräch zwischen einer verantwortlichen Pflegekraft und Angehörigen stattgefunden hat.

Ein seriöser ambulanter Dienst nimmt sich viel Zeit für das erste Gespräch mit der Familie.

Birgit Schwarz-Nenninger

Zur Orientierung für die Verbraucher wurden vom Gesetzgeber ja Siegel wie die Pflegenoten des MDK eingeführt. Sind diese Siegel Deiner Meinung nach verlässlich und können sich Angehörige daran orientieren?

Meine ehrliche Meinung ist „nein“. Ich halte davon nichts. Es gibt ja diverse Siegel für die Qualität der Pflege und es ist immer eine Sache der Zertifizierung. Stationäre Einrichtungen wie Pflegeheime und ambulante Dienste können auf eine Zertifizierung hinarbeiten, das kostet eine Menge Geld. Ich glaube, dass es dabei schwarze Schafe gibt, die nur auf die Prüfung hinarbeiten. Es gibt ja inzwischen kaum noch Pflegedienste oder Einrichtungen, die eine schlechtere Pflegenote als eine 1,0 oder eine 1,3 haben. Eigentlich sind ambulante Dienste mit einer schlechteren Note oftmals die aufrichtigeren, weil sie nicht nur auf die Prüfung hinarbeiten. Pflegedienste wissen genau, was geprüft wird, das ist im Vorwege alles bekannt. Und man kann sich darauf einstellen und die Sachen bei der Prüfung und dann eben auch auf dem Papier gut haben und gar nicht in der Umsetzung.

Die Pflegesiegel sind daher meines Erachtens nicht verlässlich. Die Prüforgane sind bestimmt gut, aber man kann das beeinflussen. Und es ist kein adäquater Vergleich, da auch nicht alle ambulanten Dienste das gleiche Siegel haben.

Mein Tipp an Familien lautet vielmehr: Sprechen Sie persönlich mit dem ambulanten Dienst! Wie tritt mir der erste Mitarbeiter des ambulanten Dienstes gegenüber, den ich treffe? Und wenn es nur so ist, dass Pflegedienst xy jedes Mal von meinen Nachbarn kommt und immer halb in meiner Auffahrt steht und ich ihn darauf anspreche. Wenn die Pflegekraft sagt „Tut mir leid, wir versuchen das in Zukunft zu berücksichtigen“, dann ist das für mich schon das erste Qualitätskriterium. Aber wenn die Pflegekraft einfach wieder ins Auto steigt und wegfährt und jedes Mal wieder da parkt, dann ist irgendwas falsch. Weiche Sachen zählen vielmehr als die harten Zahlen, finde ich. Angehörige sollten sich auf ihr Bauchgefühl verlassen.

Wann sollten Familien am Wunsch, zuhause wohnen zu bleiben, nicht weiter festhalten und stattdessen für Ihren Pflegebedürftigen die vollstationäre Pflege in einem Heim in Anspruch nehmen?

Dafür gibt es mehrere mögliche Szenarien. Allgemein kann man sagen: Immer dann, wenn eine psychische oder physische Gefährdung vorliegt – sowohl für den Pflegebedürftigen als auch für den pflegenden Angehörigen. Wenn es beispielsweise nachts häufiger vorkommt, dass der Pflegebedürftige alleine aufsteht und fällt, kann der Angehörige ja nicht mehr ruhig schlafen und sich erholen. Die permanente Betreuung tagsüber und nachts kann in der ambulanten Versorgung niemand abdecken, die stationäre Einrichtung hingegen schon.

Ein Umzug in eine stationäre Einrichtung ist auch dann richtig, wenn alle Hilfsmittel für die ambulante Versorgung ausgeschöpft sind und nicht mehr reichen oder wenn die Angehörigen gar nicht vor Ort wohnen und den steigenden Pflegebedarf im häuslichen Umfeld nicht decken können. Oder aber, wenn Angehörige die Situation zuhause einfach nicht mehr aushalten. Solche nicht aushaltbare Situationen kann man zunächst gut über die Kurzzeitpflege ausprobieren und schauen, wie sich die Situation entwickelt, wenn der Betroffene nicht mehr zuhause wohnt. Angehörige können ihren Pflegebedürftigen ja während der Kurzzeitpflege trotzdem die ganze Zeit in der stationären Einrichtung besuchen und bei ihm sein, wenn sie möchten. Heutzutage gibt es ja auch Pflegeheime, in denen Angehörige mit im Zimmer schlafen können, wenn sie das wollen.

Als Alternative zum Pflegeheim bleibt natürlich auch noch die Möglichkeit der 24-Stunden-Pflege, sofern die finanziellen Mittel dafür vorhanden sind.

Vielen Dank, liebe Birgit, für das spannende Interview. Hast Du noch einen abschließenden Tipp für alle Familien, die Ihre Angehörigen zuhause unterbringen möchten, den Du ihnen mit auf den Weg geben möchtest?

Im Gesetz steht „ambulant vor stationär“ – das finde ich gut! Jeder hat ein Zuhause, das kann auch eine Wohneinrichtung sein. Ich habe zum Beispiel auch schon ein Wohnheim für ehemals obdachlose Männer mit betreut. Die Senioren sind dann nicht in ein Pflegeheim gekommen, sondern wir als ambulanter Dienst haben sie in dieser Wohngemeinschaft versorgt. Jeder hat in irgendeiner Form ein Zuhause und ich finde es immer besser, die ambulante Versorgung zumindest auszuprobieren. Es gibt für so viele Situationen eine gute Lösung!

Erstelldatum: 7102.50.01|Zuletzt geändert: 1202.20.61