Ab wann ist man süchtig nach videospielen

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Internetsucht

Ab wann ist man onlinesüchtig?

Wir sind alle ständig online. Wie problematisch ist das? Und wo fängt Onlinesucht an?

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Artikel Abschnitt: Gibt es tatsächlich eine Onlinesucht?

Gibt es tatsächlich eine Onlinesucht?

Ja, manche Inhalte im Internet können Menschen süchtig machen. Wissenschaftler:innen und Therapeut:innen teilen Onlinesucht in fünf Kategorien ein:

  • Computerspiele (Gaming)
  • Glücksspiel (wie zum Beispiel Onlinepoker, Lotto oder Wetten)
  • Pornografie
  • Shopping
  • Kommunikation (dazu zählen Messenger-Dienste und Social-Media-Plattformen).

Das heißt: Nicht das Internet an sich ist das Problem. Es sind bestimmte Onlineanwendungen, die Menschen abhängig machen können. Forschende sprechen daher auch von “Internetnutzungsstörung” statt von Onlinesucht.

Oft sind Betroffene von mehreren Anwendungen abhängig, sie sind also beispielsweise Onlinesex- und kaufsüchtig. Unter den Onlinespielen haben Onlinerollenspiele ein besonderes Suchtrisiko. Vermutlich weil sie das klassische Computerspiel mit einer sozialen Komponente verbinden.

Allen Formen der Onlinesucht ist gemeinsam, dass sie das Belohnungssystem des Gehirns aktivieren. Sie benötigen dafür anders als so genannte stoffgebundene Süchte keine chemischen Substanzen wie Alkohol oder Nikotin, die direkt in den Hirnstoffwechsel eingreifen. Sie zählen damit zu den Verhaltenssüchten. Die kennt man auch offline, etwa die Glücksspiel- oder die Kaufsucht.

Artikel Abschnitt: Gilt jemand, der viel online ist, als krank?

Gilt jemand, der viel online ist, als krank?

Im Mai 2019 hat die WHO beschlossen, Onlinespielsucht (Gaming disorder) in den Katalog anerkannter Krankheiten aufzunehmen. Diese Form der Onlinesucht gilt bisher als am besten erforscht. Und man hat Kriterien für die Diagnose festgelegt. Es ist eben nicht jeder, der viel online ist, gleich süchtig und krank. Aber für die tatsächlich Betroffenen verändert sich etwas mit dieser Anerkennung.

Der ICD-Katalog der WHO ist eine Auflistung medizinischer Diagnosen. Auch die deutschen Krankenkassen orientieren sich daran. Das heißt: Wenn eine Krankheit einen ICD-Diagnoseschlüssel bekommen hat, kann ihre Therapie auch bei der Krankenkasse als solche abgerechnet werden. Bis dahin wird sie unter andere Diagnosen gefasst, im Falle von Onlinespielsucht beispielsweise unter “Impulskontrollstörung”.

Der neue ICD-11-Katalog ist seit Mai 2019 beschlossen und wird 2022 in Kraft treten.
Die Anerkennung von Onlinespielsucht als Krankheit ist umstritten. Kritiker:innen, nämlich einige Medienwissenschaftler:innen und die Gaming-Industrie, sagen, dass das Phänomen der Computerspielsucht noch nicht gut genug erforscht sei. Sie befürchten, dass dadurch Menschen zu Unrecht für krank erklärt werden.

Unter den Befürworter:innen der Diagnose sind vor allem Ärzt:innen und Therapeut:innen, die mit Suchterkrankten arbeiten. Für sie ist die offizielle Diagnose ein wichtiger Schritt, um den Betroffenen besser helfen zu können und auch die Ausbildung und Forschung in dem Bereich voranzubringen.

Artikel Abschnitt: Wie häufig kommt Onlinesucht überhaupt vor?

Wie häufig kommt Onlinesucht überhaupt vor?

Wie viele Menschen in Deutschland die Kriterien für eine Sucht erfüllen, ist unklar. Vorsichtige Schätzungen gehen von einem Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Das wären mehrere Hunderttausend Menschen.
Warum gibt es keine genauen Zahlen? Weil die Forschenden kaum hinterherkommen. Die Entwicklung der Digitalisierung geht so rasant, dass die Daten bei Veröffentlichung schon wieder kaum den aktuellen Stand der Dinge abbilden können.

Zu den größeren Befragungen zählt eine von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aus dem Jahr 2015. Demnach haben in Deutschland schätzungsweise über eine viertel Million Jugendliche eine “problematische Internetnutzung”, sind also onlinesüchtig oder drohen, es zu werden. 5,8 Prozent der 12- bis 17-jährigen deutschen Jugendlichen haben hier eine “computerspiel- oder internetbezogene Störung” gezeigt, wie es in der Studie heißt. Das sind in absoluten Zahlen 270.000. Allerdings wurden dafür Fragebögen ausgefüllt – das ist zwar ein anerkanntes Forschungsinstrument, ersetzt aber keine klinische Diagnose.

Artikel Abschnitt: Woran erkennt man, ob jemand onlinesüchtig ist?

Woran erkennt man, ob jemand onlinesüchtig ist?

Therapeut:innen machen Onlinespielsucht an drei Kriterien fest. Diese müssen über ein Jahr lang anhalten oder extrem ausgeprägt sein.

  1. Kontrollverlust über das Onlinespiel. Das heißt, die Betroffenen haben erfolglos versucht, ihr Spielen zu reduzieren. Sie können gar nicht oder nur sehr schwer steuern, wann, wie oft, wie intensiv, wie lange und in welchen Situationen sie spielen. Ihnen fehlt etwas, wenn sie nicht spielen können.
  2. Das Onlinespiel ist die Hauptbeschäftigung. Das heißt, die Gedanken der Betroffenen kreisen nur noch um vergangene und kommende Spiele und das Spielen gewinnt immer mehr an Priorität und nimmt einen immer größeren Raum auf Kosten anderer Interessen und Aktivitäten ein. Hobbys und Freund:innen werden vernachlässigt oder ganz aufgegeben.
  3. Die Betroffenen riskieren negative Konsequenzen. Das heißt, sie spielen exzessiv weiter, obwohl wichtige Beziehungen oder schulische und berufliche Chancen schon darunter leiden, etwa wenn die Partnerin oder der Partner droht, sich zu trennen, oder der Job in Gefahr ist.

Eine Diagnose können nur Ärzt:innen und Therapeut:innen stellen. Sie sprechen ausführlich mit den Betroffenen und eventuell auch mit den Angehörigen.

Es gibt auch Selbsttests im Internet, die zeigen sollen, ob man online-süchtig ist. Nicht alle sind fundiert und aussagekräftig, einige können aber als Anhaltspunkt dienen, um die eigene Internetnutzung zu überdenken. Außerdem gibt es inzwischen einige Apps, die die tägliche Bildschirmzeit am Handy messen und eine gute Rückmeldung sein können. Wer sich Sorgen macht, sollte aber ärztlichen oder therapeutischen Rat suchen.

Über den Autor:

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Wissenschaftsjournalistin, freie Autorin für Online, Audio und TV. Mag Herz und Verstand. Lieblingsthemen: Gesundheit, Psychologie und Nachhaltigkeit.

Quellenangaben zum Artikel:

Unsere Quellen

  • Brand, Matthias et al.: Integrating psychological and neurobiological considerations regarding the development and maintenance of specific Internet-use disorders: An Interaction of Person-Affect-Cognition-Execution (I-PACE) model (Neuroscience & Biobehavioral Reviews, 2016)
  • Rumpf, Hans-Jürgen et al.: Prävalenz der Internetabhängigkeit (PINTA) (Bundesministerium für Gesundheit, 2011) (PDF)
  • Orth, B. et al.: Die Drogenaffinität Jugendlicher in der Bundesrepublik Deutschland 2015. Teilband Computerspiele und Internet. BZgA-Forschungsbericht. (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, 2017) (PDF)
  • ICD-11, International Classification of Diseases 11th Revision. The global standard for diagnostic health information (World Health Organization)
  • Smartphone-süchtig? Hier geht es zum Test! (Institut für Psychologie und Pädagogik, Universität Ulm)
  • Online-Sucht Selbsttest (Landesverband Westfalen-Lippe)
  • Menthal Balance – Your personal information scale for Android (Menthal)
  • Stodt, Benjamin: Geschickt geklickt! Reflexion und Selbstregulation bei der Internetnutzung (Schriftenreihe Medienforschung, 2018)

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Wann ist man süchtig nach Gaming?

Computerspielsüchtige verspüren ein fast unwiderstehliches Verlangen, sich an den Rechner zu setzen und zu spielen. Das kann so weit gehen, dass darüber nicht nur Aufgaben und soziale Kontakte, sondern selbst grundlegende Bedürfnisse wie Schlafen, Essen und Trinken vernachlässigt werden.

Wie viel sollte man am Tag zocken?

Die 14- bis 15-Jährigen zocken im Schnitt 132 Minuten pro Tag, die 16- bis 18-Jährigen verbringen 128 Minuten mit Videospielen. Dabei gibt es große Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Während Mädchen rund 89 Minuten pro Tag spielen, sind es bei den Jungen im Schnitt 139 Minuten.

Wie viel zocken ist ungesund?

Unsere Studien sagen also nicht aus, dass ein Kind sechs bis acht Stunden am Tag Videospiele spielen sollte. Denn im Umkehrschluss geht alles, was man in dieser Zeit nicht trainiert und nicht gelernt hat, eben auch verloren.