Eine Filmkritik von
Marie Anderson Ein Klassiker des gehobenen Horror-Genres Im Ambiente der verwinkelten Gassen, der zahlreichen Brücken, Kanäle und Kirchen ereignet sich ein dichtes Szenario der dunklen Ahnungen, Visionen und Prophezeiungen um ein durch den Tod seiner kleinen Tochter traumatisiertes Paar. „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ aus dem Jahre 1973, der längst zu einem
Klassiker des gehobenen Horror-Genres avanciert ist, fesselt sowohl durch seine geschickt konstruierte, rätselhafte Geschichte als auch durch seine eindringlichen, verstörenden sowie kunstvoll arrangierten Bilder mit berührender bis schockierender Symbolkraft. Über die Familie Baxter, die in Großbritannien mit ihren beiden Kinder Johnny (Nicholas Salter) und Christine (Sharon Williams) auf dem Lande lebt, bricht die schlimmste Katastrophe überhaupt herein, als die kleine
Christine eines Tages beim Spielen im Gartenteich ertrinkt. Während Sohn Johnny in einem britischen Internat untergebracht wird, reisen Vater John (Donald Sutherland) und Mutter Laura (Julie Christie) gemeinsam nach Venedig, wo John den Auftrag hat, eine Kirche zu restaurieren. In einem kleinen Restaurant lernt Laura während des Abendessens mit John die beiden seltsamen ältlichen Schwestern Heather (Hilary Mason) und Wendy (Clelia Matania) kennen – eine intensive Begegnung mit weit reichenden
Folgen, denn die blinde, spirituell orientierte Heather eröffnet Laura, dass sie die verstorbene Christine in ihrem roten Regenmantel und fröhlicher Stimmung am Tisch zwischen den Eltern habe sitzen sehen. Während Laura aus der Bekanntschaft mit den gespenstisch erscheinenden Schwestern einigen Trost absorbiert, sperrt sich John gegen diese in seinen Augen dubiosen Vorstellungen und fürchtet um die seelische Balance seiner Frau. Doch er selbst wird bereits seit der Todesstunde der kleinen
Christine von unheimlichen Visionen heimgesucht, die sich in Venedig drastisch verstärken und den von Schuldgefühlen gepeinigten Mann zutiefst verunsichern. Mit knapper Not entkommt er dem Sturz von einem in schwindelnder Höhe installierten Baugerüst in der Kirche, und als Laura nach einem Unfall ihres Sohnes nach England reist, irrt John auf der Suche nach ihr durch die sich unwegsam verdichtende Stadt, denn er ist davon überzeugt, seine Frau in Begleitung der Schwestern in Trauertracht auf
einer Gondel gesehen zu haben …
Effektvoll visuell wie dramaturgisch auf Höchstspannung ausgerichtet ist es die Strategie des zögerlichen, allmählich in sparsamen Andeutungen erfolgenden Ausstreuens bedeutsamer Informationen, welcher sich Regisseur Nicolas Roeg ganz meisterhaft in Wenn die Gondeln Trauer tragen bedient. Mit geruhsamer, detaillierter und nicht selten banal anmutender Ausführlichkeit entwickelt sich die atmosphärisch ansprechend ausgestaltete Handlung, um dann unvermittelt durch ein beunruhigendes Ereignis einen verborgenen Abgrund zu fokussieren. Das souveräne Spiel der Darsteller erhält durch markante Schnitte oftmals eine doppelbödige Dimension, was zuvorderst bei der legendären, ihrerzeit skandalträchtigen Liebesszene zwischen Julie Christie und Donald Sutherland zum Ausdruck kommt, die auf signifikante Weise das Oszillieren zwischen Nähe und Distanz dieser belasteten Beziehung herausstellt. Mit seinen ebenso sparsam wie sorgfältig ausgeloteten psychologischen Aspekten, seiner stimmigen mystischen Komponente sowie seiner grandios gestalteten, außergewöhnlichen Filmsprache überzeugt Wenn die Gondeln Trauer tragen als nach wie vor beeindruckender Klassiker, dessen geschickt installierte Filigranitäten sich nachhaltig in das Bewusstsein des Zuschauers bohren.
Wenn die Gondeln Trauer tragen (1973)
Es ist die melancholische Atmosphäre des herbstlichen Venedigs jenseits touristischer Attraktionen, die diesen mysteriösen Thriller mit Horror-Effekten prägt, den der britische Filmemacher Nicolas Roeg nach einer Erzählung von Daphne du Maurier an Originalschauplätzen gedreht hat.
Partner:
Inhalt
Nachdem ihre geliebte Tochter Christine in einem Teich ihres englischen Landsitzes ertrank, kommen der Restaurator John Baxter und seine Frau Laura nach Venedig. Hier leitet John die Restaurierung der Kirche San Nicolò dei Mendicoli, beider Sohn Johnny bleibt in England auf einer Internatsschule.
Die unverhofften Informationen helfen Laura in der Trauer über den Verlust des Kindes. Heather vermutet, dass auch John die Begabung der Vorausschau hat. Während Laura weiterhin den Kontakt zu den Frauen sucht, steht John ihnen skeptisch gegenüber und lehnt die Parapsychologie ab. Beim Besuch Lauras bei den beiden Schwestern verfällt Heather in eine Trance. Aus diesem Zustand heraus prophezeit sie ein Unglück, sollte sich John weiterhin in Venedig aufhalten.
Als der Sohn der Baxters im Internat einen Unfall erleidet, reist Laura am nächsten Morgen zu ihm. Am selben Tag sieht John in Venedig auf dem Kanal Laura in Trauerkleidung und in Begleitung der Schwestern auf einer Trauergondel vorüberfahren …
Was zu sagen wäre
Ein Film für den zweiten Blick. Ein Film, der beim ersten Blick eher mit langweilig oder wirr beschrieben werden kann, der erst beim zweiten Hinschauen Muster erkennen lässt. Auf den ersten Blick handelt er von einem Ehepaar, das ein Kind verliert, dann in Venedig eine Kirche restauriert, irren Sex in einer bemerkenswert geschnittenen Sequenz hat, und schließlich ein Schwesternpaar kennenlernt, von denen eine blind ist und voraussagt, dass Ehemann John in Venedig den Tot findet. Der Rest des Films handelt davon wie Laura aus Venedig weg möchte und John den „Hokuspokus“ nicht glaubt, aber immer wieder einen kleinen Menschen in rotem Umhang sieht.
Wir sehen Julie Christie ("McCabe & Mrs. Miller" – 1971; Fahrenheit 451 – 1966; Doktor Schiwago – 1965) und Donald Sutherland durch Venedig gondeln oder gehen und verfallen dem morbiden Charme der Stadt, an der jede Ecke an den Tod gemahnt. Todesfratzen an steinernen Göttern, Ratten, jene Vorboten des Todes, im Kanal, ein Lineal, das aussieht, wie das Kreuz auf Golgatha, Leichen werden aus dem Kanal geborgen und jede Menge schwarze Schlagschatten; als Laura einmal Venedig verlässt, sieht das aus, als reise sie ans Licht zurück, hinaus aus der Dunkelheit der todgeweihten Stadt.
Die Autorin der Vorlage ist die britische Schriftstellerin Daphne du Maurier, die Kinogänger womöglich kennen, weil drei ihrer Geschichten Alfred Hitchcock verfilmt hat ("Jamaica Inn" – 1939; Rebecca – 1940 und Die Vögel – 1963). Ihre Geschichten erzählen vordergründig Abenteuer und Romanzen, zeichnen sich aber durch Spannung und psychologische Tiefe aus. Zu ihrer Zeit (1907 – 1989) galten sie als melodramatisch. Hitchcock hat das wohl erkannt und aus seinen Verfilmungen spannende oder gruslige Suspense-Stücke gemacht. Nicolas Roeg tut das nicht.
Seine eigenwillige Schnittarbeit bei "Don't look now" lässt zwar aufmerken und interessiert hinschauen, sie fesselt aber nicht. In den ersten Wochen nach Erscheinen des Films sprechen die Zuschauer auch eher über die explizit geschilderte Sexszene mit Christie und Sutherland ("Klute" – 1971; Stoßtrupp Gold – 1970; M.A.S.H. – 1970; Das dreckige Dutzend – 1967), von der medial kolportiert wurde, die sei gar nicht gespielt. Roeg schneidet sie mit Bildern gegen, in denen wir den beiden beim Ankleiden nach dem Sex zuschauen, bevor sie zum Abendessen das Hotel verlassen. Es sagt was über den als Psychothriller gehandelten Film, wenn im Anschluss vor allem die interessante Montage einer Sexszene in Erinnerung bleibt.
Wertung: 5 von 8 D-Mark