Where the Wild Things Are
Bis einer heult
Nein, Kinder sind nicht so s��, lustig und weise, wie sie in unserer Kultur gern darge�stellt werden. Kindsein hei�t, sich im einen Moment als Quell und Zentrum des Univer�sums zu f�hlen – und im n�chsten voll�kommen ohnm�chtig. Kindsein hei�t, zugleich die Welt und das eigene Ich erkunden,
defi�nieren zu m�ssen – und die Grenze, an der beides oft schmerz�haft anein�an�der�rum�pelt. Kinder sind erstmal kleine Wilde – alles andere ist ein Lern�er�folg.
Dies Unzi�vi�li�sierte hat Maurice Sendak in einen Bilder�buch�klas�siker gepackt: Where The Wild Things Are ist die Geschichte von Max, dem Jungen im Wolfs�kost�m, der allzu �berm�tig tollt und tobt und deshalb ohne Abend�essen ins Bett geschickt wird. Und der sich daraufhin auf eine Insel phan�ta�siert, die von gro�en,
wolper�tin�ger�ar�tigen Monstern bev�lkert wird. Statt sich aber von den furcht�er�re�genden, haarigen Gesellen einsch�ch�tern zu lassen, starrt Max sie nieder und macht sich zu ihrem K�nig.
9 S�tze und 18 Zeich�nungen sind das nur, und wahrlich nicht die offen�sicht�lichste Vorlage f�r einen abend�f�l�lenden Spielfilm. Und erst recht scheint es alles andere als ein nahe�lie�gender Stoff zu sein f�r Spike Jonze als Regisseur und Dave Eggers als Dreh�buch�autor. Jonze ist als hipper Meister
sch�n nerdig-hand�ge�bas�telter Musik�vi�deos – etwa f�r Fat Boy Slim oder die Beastie Boys – ber�hmt geworden, hat sich dann im Kino kauzig-intel�lek�tu�ellen Sp��en wie Being John Malkovich und Adap�ta�tion verschrieben. Literat Eggers hingegen
machte sich einen Namen durch seine teils fast doku�men�ta�ri�schen, (auto-)biogra�fi�schen Romane. Beides scheinbar nicht die Kandi�daten f�r Kinder�buch-Phan�ta�sie�welten.
Aber man darf sich von solch ober�fl�ch�li�chen Einord�nungen nicht t�uschen lassen. Sehr schnell wird klar, dass beide exakt die perfekten Leute f�r dieses Projekt waren. Jonze tut es unendlich gut, dass er seinen Spiel�trieb endlich einmal unge�hin�dert von der zunehmend nervigen, neuro�ti�schen Selbst�re�fle�xi�vit�t
seines bishe�rigen Skript�lie�fe�ranten Charlie Kaufman ausleben kann. Und Eggers kann durchaus zwei seiner bishe�rigen Haupt�in�ter�essen – Kindheit und impro�vi�sierte Familien – weiter verfolgen.
Gemeinsam haben sie die verbor�genen Themen des Buchs heraus�ge�kit�zelt und ausge�sponnen — und sie haben seine Phantasie-Welt geradezu repor�ta�ge�haft real gemacht. Jonze bleibt dem Hand�ge�machten, der Boden�haf�tung, dem Alltags�an�ge�hauchten seiner �sthetik auch hier treu. Das ist das
genaue Gegenteil der eska�pis�ti�schen, k�rper�fernen Plas�tik�welten, die sonst derzeit im Kino alles beherr�schen, was sich �Phantasie� auf die Fahnen geschrieben hat. Jonze hat den Versu�chungen der Compu�ter�grafik weise wider�standen, hat sie nur da behutsam einge�setzt, wo sie die Mimik der Monster ausdrucks�voller zu machen vermochte. Sonst aber ist es ein ungemein stoff�li�cher, sinn�li�cher Film, bei dem man st�ndig meint, Fell, Staub, Sonnen�licht regel�recht greifen zu
k�nnen.
Diese Stoff�lich�keit ist essen�tiell, weil nur so das Ungest�me, der Radau, das Remmi�demmi wirklich k�rper�liche Wildheit bekommen. Man sp�rt die gl�cklich machende Veraus�ga�bung des ausge�las�senen Spiels, aber auch die Gefahr der Verlet�zung, die es mit sich bringt.
Doch nicht nur die K�rper, auch die Seelen der Monster sind hier v�llig glaub�w�rdig: Jonze und Eggers haben aus der undif�fe�ren�zierten Horde der Vorlage wirkliche, starke Charak�tere gemacht, von hinrei�ender
Allt�g�lich�keit und mit sehr gut nach�voll�zieh�baren mensch�li�chen Macken. Und das ist der entschei�dende Dreh, wie aus der kurzen, traum�ar�tigen Fabel ein Spielfilm werden konnte. Nein, Wo die wilden Kerle wohnen ist kein �Kinder�film� – es ist ein Film �ber das Kindsein. Und zwar einer der aller�besten, die es gibt.
Die sechs Gesellen verk�r�pern unter�schied�liche Aspekte von Max' Pers�n�lich�keit – in, an und mit ihnen spielt er durch, was ihn in seinem realen Leben
bewegt. Aber gott�sei�dank, ohne dass der Film – der alles andere ist als didak�tisch oder p�dago�gisch – das je explizit machen, ausspre�chen, breit�walzen w�rde. Wo die wilden Kerle wohnen beh�lt, bei allem psycho�lo�gi�schen Realismus, die Kraft eines M�rchens. Der Film erkl�rt nie, buch�sta�biert nie aus, l�sst vieles wunderbar ange�deutet und halb�be�wusst: Man macht diese Reise mit Max und aus seiner Sicht durch.
Zu Anfang erlebt Max schwere Kr�n�kungen: Bei einer wilden
Schnee�ball�schlacht gegen die Teenie-Freunde seiner �lteren Schwester wird er unter seinem selbst�ge�bauten Iglu begraben, ohne dass sie ihm beistehen w�rde. Er r�cht sich, indem er in ihrem Zimmer randa�liert. Und dann legt er sich mit seiner allein�er�zie�henden Mutter an, versucht (im Wolfs�kost�m) sein Terri�to�rium abzu�ste�cken. Was der Film schon in all diesen Szenen wunderbar r�ber�bringt ist die st�ndige Mischung aus Allmacht und Frus�tra�tion, aus totaler Liebe und absolutem Hass, die
das Kindsein pr�gen. Gerade die Szenen mit der Mutter (Catherine Keener – wer w�rde die nicht gern entweder zur Mutter haben oder machen...) sind im Z�rt�li�chen wie im Konflikt von einer komplett klischee�freien, hinge�tupften Genau�ig�keit und Glaub�w�r�dig�keit.
Man kann Max' Verwir�rung, Vers�t��rung dar�ber nach�emp�finden, dass f�r die anderen Menschen sich die Welt nicht so allein um ihn dreht, wie sie es aus seiner Sicht tut und tun soll. Wo die wilden Kerle wohnen f�ngt
sehr pr�zise den Moment ein im Kinder�leben, wo die eigenen Bed�rf�nisse noch absolut scheinen, sich aber zunehmend die Ahnung breit macht, dass der Rest der Mensch�heit dies nicht als Verpflich�tung zu deren Befrie�di�gung ansieht.
All dies begegnet Max dann auf der Monster-Insel wieder: Die Freund�schaft, die zugleich stets mit Eifer�sucht vermischt ist. Die Erfahrung von Verletz�lich�keit und Verg�ng�lich�keit. Der Hunger (schlie߭lich ist Max abend�brotlos), im konkreten wie im
�ber�tra�genen Sinne – das Verlangen, gef�ttert zu werden, umsorgt zu werden.
Nur dass Max hier auf einmal quasi in der Rolle des Fami�li�en�ober�haupts ist. Als selbst�er�nannter K�nig ist er f�r seine Unter�tanen verant�wort�lich. (Sp�tes�tens, wenn man an Dave Eggers' Roman�debut A Heart�brea�king Work of Stag�ge�ring Genius denkt, wird einem auch voll�kommen klar, warum das hier genau sein Stoff ist: Darin beschrieb er auto�bio�gra�phisch, wie er, fr�h�ver�waist und heillos
�ber�for�dert, f�r sich und seinen j�ngeren Bruder sorgen musste.)
Max hat den Monstern verspro�chen, dass er alles gut machen wird. Und eine Weile reicht es auch, mit ihnen wie daheim zu Tollen und zu Toben, alle Frus�tra�tion durch pure, ausge�las�sene Wildheit in Energie umzu�wan�deln. Aber pl�tzlich ist niemand sonst da sich darum zu k�mmern, wenn das Spiel ernstere Konse�quenzen hat. Pl�tzlich muss er erfahren, wie es ist, wenn man es dem einen besonders Recht macht und dadurch den
anderen verletzt. Die Monster sind genauso egois�tisch, einge�schnappt, ungerecht wie er daheim selbst, dabei aber eben auch wieder genauso liebens�wert und verstehbar.
Max erlebt auf der Mons�ter�insel eine symbo�li�sche Neugeburt. Und wenn er sich wieder in sein Segelboot setzt und all das gro�e Unbe�nenn�bare, Unsagbare, das ihn nun mit den Monstern verbindet, sich in einem allge�meinen, trau�ernden, feiernden, unzi�vi�li�sierten Wolfs�ge�heul Bahn bricht, dann ist er ein St�ck weit ein
anderer geworden.
Der endg�l�tige Beweis f�r das Genie von Wo die wilden Kerle wohnen ist dann sein Ende, die R�ckkehr nach Hause. Jedes falsche Wort, jede falsche Geste h�tte hier alles kaputt machen k�nnen. Ein Hauch einer expli�ziten Erkl�rung, eine auch nur ann�hernd zu billige Note der Vers�hn�lich�keit, und alles h�tte platt werden k�nnen. Nichts w�re schlimmer gewesen, als wenn der Film hier vernied�licht, gedeckelt, mit Wund�pfl�s�ter�chen verklebt h�tte, was er zuvor an
Rohem, Rauhem aufge�macht hat.
Aber Jonze kann man sich auch hier anver�trauen wie einem idealen Eltern�teil: Am Ende steht nur ein stummer Blick. Max wird mit einem versp�teten, aber noch immer warmem Abend�essen empfangen. Und w�hrend er es verschlingt, fallen seiner �ber�ar�bei�teten, �ber�m��deten, von Sorgen um ihn erst geplagten und nun befreiten Mutter die Augen zu. Es ist ein Zeichen von Schw�che, ist ein Moment, in dem sie nicht die Verant�wor�tung tragen kann, von fr�h bis sp�t
st�ndig f�r ihn da zu sein, in dem sie losl�sst.
Aber der neue Max schaut auf sie, und in seinen Augen sieht man, dass er diesen Moment nun akzep�tieren, dass auch er ein bisschen Loslassen kann. Dass er nun ein St�ck weit versteht, wie es ihr geht. Und dass er den ersten Schritt gemacht hat, irgend�wann einmal – denn auch von der Verg�ng�lich�keit wei� er inzwi�schen etwas – f�r sich selbst zu sorgen.
Thomas Willmann