Wer hat es lebe der Zentralfriedhof geschrieben?

Wer hat es lebe der Zentralfriedhof geschrieben?

HERBERT NEUBAUER / APA / picturedesk.com

„Die Szene wirkt makaber“, singt Wolfgang Ambros in seinem Klassiker „Es lebe der Zentralfriedhof“. Gestern Abend bei seinem Konzert auf Wiens berühmtesten Friedhof war die Stimmung bei den 9.000 Zuschauern aber unbeschwert und ausgelassen.

Die Wiener haben nun mal ein entspanntes Verhältnis zum Tod. Auf „a schene Leich“ legen sie großen Wert. Und die Erkenntnis, „Es wird a Wein sein und mir wern nimma sein“, taugt als Ansporn für ein bedingungsloses Leben im Moment. Der Moment, als Wolfgang Ambros vor der wunderschönen Kulisse der Lueger-Kirche die Bühne betreten hat, war demnach ein ganz besonderer und wurde von seinen Fans frenetisch bejubelt.

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„Nachklang“ heißt die Veranstaltungsreihe der Wiener Friedhöfe, die mit dem Interpreten des berühmten Liedes über den berühmten Friedhof heuer einen Mega-Coup landen konnte. Es war eine Art Ewige-Ruhestörung, die aber nie geschmack- oder pietätlos war. „Wir spielen nach vorne, die Gräber sind hinten“, hat Wolfgang Ambros im Ö3-Interview erklärt, „meine Frau war beim Soundcheck spazieren und hat gemeint, dort rieselt die Musik nur leise, bis in die Erde dringt das sicher nicht.“

„Es lebe der Zentralfriedhof“ hat Wolfgang Ambros ungefähr nach einer Stunde gespielt, direkt nach „Heit drah i mi ham“. Und so wie die Fans da mitgegangen sind, hätte es auch durchaus heißen können: Es bebe der Zentralfriedhof. Auch die restliche Setlist war genial: Eigene Klassiker wie „Zwickt’s mi“ oder „Langsam wochs ma z’amm“ waren genauso dabei wie große Hits von Rainhard Fendrich oder Georg Danzer.

Wer hat es lebe der Zentralfriedhof geschrieben?

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„Es lebe der Zentralfriedhof“ wurde von Wolfgang Ambros und Joesi Prokopetz 1975 anlässlich des hundertjährigen Jubiläums dieser Wiener Sehenswürdigkeit geschrieben. Hier befinden sich u.a. die Ehrengräber von so großen Musikern wie Mozart oder Beethoven, Udo Jürgens oder Falco. Wolfgang Ambros selbst hat keinerlei Ambitionen, hier ein Ehrengrab zu bekommen. Außerdem entscheiden darüber ohnehin die Angehörigen. Er selbst möchte dort begraben werden, wo er stirbt. Und so groß wie er gestern aufgespielt hat, kann das dann durchaus auch auf einer Bühne sein. Viele weitere Konzerte stehen jedenfalls noch an.

Wer hat es lebe der Zentralfriedhof geschrieben?

Milenko Badzic

Ö3-Reporter Clemens Stadlbauer

Aus der Ö3-Musikredaktion...

Ö3-Reporter Clemens Stadlbauer berichtet hier regelmäßig über aktuelle Trends und News aus der Musikwelt. Neben seiner Arbeit bei Ö3 hat er fünf Bücher veröffentlicht, darunter den Bestseller „Quotenkiller“. Stadlbauer ist verheiratet und Vater einer Tochter.

„Ö3-Wecker“ mit Robert Kratky, 9. September 2021

Als remasterte Deluxe Edition bringt Bellaphon dieses makabre und morbide Meisterwerk, dessen Humor mindestens so rabenschwarz ist wie das 180g-Vinyl, in das es gepresst ist, jetzt in die Wohnzimmer der Musikliebhaber. Schon der Titeltrack zeigt Wolfgang Ambros' Hang zu respektlosen, despektierlichen Wortspielen à la »Wanns Nacht wird über Simmering, kummt Leb'n in die Tot'n, und drüb'n beim Krematorium tan's Knochenmork abbrat'n.«. Die Nummer ist Kult!! Geschrieben anlässlich des hundertsten Geburtstages des namensgebenden Wiener Zentralfriedhofs, wirbt sie in schnodderigen Doppeldeutigkeiten auch für Toleranz »...die Szene wirkt makaber, de Pfarrer tanz'n mit de Hurn und Judn mit Arabern.«

Und wenn wir schon in Wien sind, dann gehört da natürlich auch eine heimelige Heurigenstimmung dazu. Die wird mit viel Schmäh auf den Korn bzw. 'Doppler' genommen, denn "Wem heut net schlecht ist" (»...des konn ka Guada sei. Wer no ned gspiebn hot, trinkt no a Glaserl Wei«). Eher Caféhausstimmung rührt sich im "Espresso", die zwischen dramatisch und melancholisch wechselt, typische Situationen aufgreift und so ganz nebenbei auch noch die Kommerzmusik amüsant auf die Schippe nimmt. Ob es die "G'söchta" dort oder anderswo waren, die ihn zur gleichnamigen Nummer animierten? Soulig, aber mit einem wütenden Pöbelgesang beschimpft er die Möchtegerns mit Krawatten, möcht sie auf der Geisterbahn ausstellen oder ihnen in die 'Gosch'n' hauen.

Ist es Weltschmerz im Allgemeinen oder Besonderen, der ihn dann zum Ausklang dieser ersten Seite der LP treibt? So morbid wie sie anfängt, hört sie auch auf. "Heit drah i mi ham" ist für mich der echte 'Killer' auf dieser Platte. Gänsehaut ohne Ende... Kein schönes Lied, aber ein großartiges. Mit Worten, Melodie und Instrumentierung wird hier ein Selbstmord inszeniert. Die einsam jaulende Gitarre im Intro....uuuh! Beängstigend ruhiger Sprechgesang lässt die Badewanne volllaufen und den Abschiedsbrief schreiben. An einem Tag, den man feiern muss, an dem der kleine Schnitt Erleichterung und Freiheit bringt. Ambros lässt die Verzweiflung und Anspannung im Vorfeld des Suizids Revue passieren. Dissonant bis kakophonisch schraubt sie sich hoch und klingt langsam wieder aus. Boah, wie intensiv!! Das Geräusch des abhebenden und zurückfahrenden Tonarms lässt eigentlich nur die eine Möglichkeit zu: Diese geschundene Seele jetzt umgehend auf den Zentralfriedhof zu begleiten...

...grad noch schnell das Grablaternderl holen...

...oder auf die nicht weniger zynische, aber deutlich weniger morbide zweite Seite zu wechseln. Dort geht�s mit "Zwickt's mi" los � und neee � es muss mich niemand zwicken, 'latürnich' verwundert's mich nicht, dass mein sehr geschätzter Kollege Steve in seiner Besprechung zu
Auf Ana Langen, Finster'n Stross'n die passende Hintergrundanekdote aus der WG zückt. Bei mir hielt die »Heilige Dreifaltigkeit des 'Liedermachings' « in Form eines Mixtapes Einzug in den Walkman, das mir ein guter Freund aus der Schultheatergruppe zusammenstellte. Neben dem "Zentralfriedhof" enthielt es selbstverständlich auch diesen Gassenhauer.

Doch wer den Ambros auf seine 'Radio-Hits' reduzieren will, der sollte mal hinhören, was er in feinstem verkaterten Blues über die "Familie Pingitzer" und ihren 'bladen' Buah Alois zu erzählen hat. "De Kinettn wo i schlof" geht dann so richtig tief runter. In einer Baugrube [Kinettn] schlafen, seit zehn Tagen nicht gewaschen und rasiert - und dann wird diese Zuflucht auch noch zugeschüttet... die pure Melancholie.

Doch gleich drauf gibt�s (nach deutlich hörbarer Klospülung samt Vor- und Nebengeräuschen) mit "A Gulasch und a Seit'l Bier" einen Aufmunterer, der mit seinem Barrelhouse Piano selbst eingefleischte Vegetarier und Abstinenzler mitreißt. Das Vinyl schleicht auf Samtpfoten, melancholisch "I glaub i geh jetzt" vor sich hinätzend, raus und schließt die LP als runde Angelegenheit ab.

Wenn es wirklich noch einen Beweis brauchen sollte, dass Vinyl sich lohnt, dann dreht der sich gerade auf meinem Plattenspieler. Auch wenn mir der direkte Vergleich zur Originalpressung von 1975 fehlt, unterstelle ich jetzt einfach mal, dass hier das Remastering ähnlich behutsam und wohltuend war, wie die Überholung meiner Anlage ähnlichen Baujahres. Denn das Ergebnis klingt sowas von rund, voll, warm und dynamisch, dass das auch früher, als ja bekanntlich fast alles besser war, kaum zu toppen gewesen wäre. Und weil es trotzdem ein paar Gelegenheiten gibt, bei denen digital dann halt doch praktischer ist, gibt es hier den Download-Code samt ein paar Bonustracks gleich dazu.

Grad weil die Schallplatte so in sich stimmig und abgeschlossen wirkt, fällt es mir ein bisschen schwer, jetzt noch auf das Bonusmaterial einzugehen.

"Aufzogn mit'n Rum", das die Single B-Seite von "Zwickt's mi" war und der verballhornte Sirtaki "Wüst oda wüst ned", der auf der "Verwahrlost aber Live" und mehreren Best Of-Zusammenstellungen Einzug gehalten hat, sind freundliche Draufgaben. Das ist nett zu haben, aber nicht wirklich essentiell. Vielleicht ist die Spielzeitbegrenzung einer LP für den Inhalt gar nicht so nachteilig...

Die vielen verschiedenen Versionen des Mitklatschers und Schunklers "Gö do schaust" hauen mich dagegen genausowenig vom Hocker wie das TV Playback von "Wüst oda wüst ned". Sie könnten vielleicht als Anschauungsmaterial dafür dienen, wie aufkommerzialisiert diese ganzen Inszenierungen für die Massenmedien sind. Aber das nur am Rande, man kann sich ja auch beim Download freiwillig beschränken, denn der enthält ja auch die Tracks der Langrille.

Die Platte lohnt sich wirklich � für begeisterte 'Zentralfriedhofsgänger' der ersten Stunde, deren Originalvinyl schon dünn ist genauso wie für diejenigen, die dessen morbiden Charme neu- oder wiederentdecken möchten. Eine wirklich sorgsame und liebevoll aufgemachte Wiederauflage, im Klappcover mit stabiler Innenhülle, eines solchen Klassikers � sehr schön gemacht!

Line-up:
Wolfgang Ambros (Akustische Gitarre, Gesang)
Kurt Hauenstein (E-Bass)
Dick Sells (E-Bass)
Alan Tham (Schlagzeug)
Joris Dudli (Schlagzeug, Congas)
Hartmut Pfannmüller (Tamburin, Pauken)
Günter Grosslercher (akustische Gitarren)
Norbert Niedermayer (Akustische Gitarren)
Theo Bina (E-Gitarre, Slide Gitarre)
Christian Kolonovits (Klavier, E-Klavier, Synthesizer, Mellotron, Orgel, Akkordeon)
Art Farmer (Flügelhorn)
Robert Politzer (Trompete, Flügelhorn)
Garney Hicks (Posaune)
Harry (Tenor Saxofon)
Herlinde, Edith, Leonie (Chor)
Streicher der Wiener Volksoper
Hans Grötzer (Solo-Geige)

Tracklist
Seite 1:
01:Es lebe der Zentralfriedhof
02:Wem heut net schlecht is
03:Espresso
04:Gsöchta
05:Heite drah i mi ham
Seite 2:
01:Zwickt's mi
02:Familie Pingitzer
03:De Kinettn wo i schlof
04:A Gulasch und a Seitl Bier
05:I glaub i geh jetzt
Bonusmaterial:
01:Aufzogn mit'n Rum
02:Wüst oda wüst ned
03:Gö, da schaust
04:Zwickt's mi (Deutsche Version)
05:Gö, do schaust
06:Wüst oda wüst ned (TV Playback)
07:Gö, da schaust (TV Playback)
08:Gö, da schaust (Instrumental)

Externe Links: